Wenn R2D2 dem Patienten das Wasser reicht: Der Bund will die Pflege digitalisieren und technisieren

Christian Beneker

Interessenkonflikte

16. Januar 2018

Roboter, die Patienten betten, Tassen, die über die Flüssigkeitsaufnahme wachen oder Sensoren, die Alarm schlagen, wenn ein alter Mensch gestürzt ist oder wenn er das Bett lange nicht verlassen hat. Glaubt man dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), so soll der Mangel an Pflegekräften in der ambulanten Pflege, in Heim oder Klinik durch solche technischen Hilfsmittel zumindest teilweise ausgeglichen werden.

Aber bisher kommen die technischen und digitalen Pflegehilfen bei den Adressaten nicht so recht an. Vor allem die Pflegenden haben oft wenig Interesse an der Digitalisierung und Technisierung ihres Arbeitsplatzes. Pflege 4.0 interessiert nicht.

Deshalb lobte das BMBF 20 Millionen Euro für Projekte aus, die das technisch Machbare in der Pflege paradigmatisch und sinnfällig darstellen sollen. Inzwischen haben 4 so genannte Pflegepraxiszentren (PPZ) die Ausschreibung des BMBF gewonnen und ihre Arbeit aufgenommen und zwar in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Niedersachsen.

Potentielle Anwender sollen hier erleben, was in ihren Einrichtungen möglich wäre, wenn sie sich für mehr Technik und Digitalisierung am Pflege- und Krankenbett entscheiden würden. Koordiniert wird die Arbeit an den 4 Standorten vom Pflegeinnovationszentrum im OFFIS-Institut im Niedersächsischen Oldenburg.

R2D2 auf der Akutstation

Eines der 4 geförderten Projekte beginnt derzeit an der Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Dort soll eine komplette unfallchirurgische Akutstation mit 12 Zimmern und 28 Betten in ein Schaufenster für innovative Technik in der Patientenversorgung verwandelt werden, berichtet die Projektkoordinatorin und Leiterin der Stabsstelle Pflege an der MHH, Dr. Regina Schmeer.

Die ersten Ideen muten futuristisch an: So könnten kleine Roboter die Patienten zu den verschiedenen Untersuchungen durch die unübersichtlichen Flure der MHH geleiten. Auf der Station selber könnten rollende, über Smartphones gesteuerte Transportroboter das leidige Schleppen der Wasserkisten übernehmen „oder sie könnten auch zur Apotheke geschickt werden“, sagt Schmeer.

R2D2 auf der Akutstation – das könnte eine deutliche Entlastung bringen. Immerhin liefen die Pflegenden derzeit pro Schicht rund 10 Kilometer, sagt Schmeer zu Medscape.

Da könnte auch noch eine weitere Idee helfen: Zukünftig könnte nur noch das Smartphone der Pflegeperson klingeln, wenn ein Patient sich über die Klingelanlage meldet. Statt sofort in das Zimmer zu gehen, könnte diese dann zuerst zurückrufen, abklären, was der Patient braucht und dann zum Beispiel gleich ein Medikament holen und ins Krankenzimmer mitnehmen. „Damit ist ein Weg gespart“, sagt Schmeer.

Derartige Ideen gibt es noch viel mehr, wie Jochen Meyer vom Pflegeinnovationszentrum in Oldenburg berichtet: Roboter-Arme, die Bleistifte vom Boden aufheben, Pflegebetten, die melden, wenn sich der Patient lange nicht bewegt hat, Alarme, die auf den Intensivstationen nicht mehr alle durcheinander piepen und schnarren, sondern nur noch den für den Patienten zuständigen Pflegenden per Vibrationsalarm benachrichtigen. „So könnte die Alarm-Fatique überwunden werden, die Ermüdung durch ständige Signale“, sagt Meyer.

Die Anwender sind bisher zurückhaltend

Allerdings sind solche Neuerungen nicht jedermanns Sache. „Wir haben festgestellt, dass viele neue Entwicklungen für die Pflegenden zu fremd sind“, sagt Prof. Dr. Frank Weidner, Pflegeforscher und Direktor des Institutes für angewandte Pflegeforschung, zu Medscape. „Die tatsächliche Probleme der Benutzer wurden zu wenig berücksichtigt.“

 
Wir haben festgestellt, dass viele neue Entwicklungen für die Pflegenden zu fremd sind. Prof. Dr. Frank Weidner
 

So hätten die Pflegenden auf Intensivstationen andere Problem als sich mit Datenbrillen auszustatten, die ihnen permanent die Werte ihrer Patienten ins Blickfeld spielen. Weidners Institut hat im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) im Juni 2017 eine Studie zur „ePflege“ vorgelegt.

Sie hat 270 Projekte untersucht hat, in denen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eingesetzt werden. Die Ergebnisse zeigen: Die Pflegenden verfügen über weniger technische Kenntnisse, als die Entwickler der Digitalhilfen meinen. Zudem nützen diese Technologien den Pflegenden wenig und sie sind oft zu teuer.

Was ist tatsächlich praxistauglich?

„Wer von den Pflegepatienten würde seinerseits 3.000 Euro für ein paar Sensoren in seiner Wohnung auf den Tisch legen?“, fragt Weidner. „Überdies liegen bislang noch wenige Erkenntnisse zu Mehrwerten und Wirtschaftlichkeit von IKT-Lösungen in der Pflege vor“, heißt es in der Studie. Will sagen: Ob die Technik die Pflege wirklich einfacher und besser macht, liegt im Dunkeln. Selbst die passenden Evaluationsmethoden seien noch nicht entwickelt, heißt es.

 
Ein Roboter, der ein Wasserglas von A nach B bringt, ersetzt noch keine Fachkraft. Johanna Knüppel
 

Eben das kritisiert auch Johanna Knüppel, Referentin beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe e.V.. „Ein Roboter, der ein Wasserglas von A nach B bringt, ersetzt noch keine Fachkraft“, so Knüppel zu Medscape.

Allerdings gebe es durchaus sinnvolle Anwendungen. So könne die IT-Kommunikation auf den Pflegestationen ausgebaut werden, „zum Beispiel durch eine endlich funktionierende digitale Patientendokumentation“, sagt Knüppel. „Allerdings kann man kein System anschaffen, ohne zuvor mit der Pflegenden zu sprechen.“

 
Wer von den Pflegepatienten würde seinerseits 3.000 Euro für ein paar Sensoren in seiner Wohnung auf den Tisch legen? Prof. Dr. Frank Weidner
 

Wie teuer und sinnlos die Technik werden kann, wenn man nicht mit den Anwendern spricht, zeigten z.B. mancherorts die Hebe- und Tragehilfen. Knüppel: „Da wurden große Geräte angeschafft, um dann zu bemerken, dass die Patientenzimmer viel zu klein für sie waren. Die teure Ausstattung stand dann auf dem Flur.“

Schmeer von der MHH sieht das Problem. Bevor von den 4 Millionen Euro Projektgeld etwa Roboter angeschafft werden, will sie wissen, was Pflege braucht und will. Dazu veranstalten die Initiatoren in Hannover eine Reihe von Workshops.

„Die Pflegenden haben zum Beispiel ein Zeitproblem“, sagt Schmeer. „Das heißt, technische oder digitale Hilfen müssen nützlich sein und vor allem muss ihr Nutzen schnell zu erkennen sein.“ So müssen die Pflegekräfte am Ende entschieden, ob es ihnen dient, wenn ein Transport-Roboter über die Flure ihrer Station kurvt – oder eben nicht.

Kommentar

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