Studien, die die Auswirkungen regelmäßiger jährlicher Grippeimpfungen speziell auf ernste und fatale Verläufe von Influenza bei Älteren untersucht haben, gab es bisher kaum. Eine Veröffentlichung im Canadian Medical Association Journal (CMAJ) schließt nun diese Lücke [1]:
Sie zeigt, dass das Risiko, auf Intensivstationen eingeliefert zu werden oder zu sterben, für Grippepatienten über 65 deutlich sinkt, wenn sie über mehrere Jahre lang regelmäßig Schutzimpfungen erhalten haben. Und zwar sowohl im Vergleich zu Patienten ohne Impfung als auch zu solchen mit lediglich einer aktuellen saisonalen Grippeschutzimpfung.
„Diese Studie ist besonders beachtenswert, da sie einen sehr guten Effekt regelmäßiger Influenza-Impfungen bei der Risikogruppe älterer Menschen zeigt, und zwar hinsichtlich der entscheidenden Zielparameter ‚schwere Erkrankung‘ und ‚Tod‘“, unterstreicht Prof. Dr. Thomas Mertens, seit Anfang des Jahres emeritierter Ärztlicher Direktor der Abteilung Virologie am Universitätsklinikum Ulm.
Viele ältere Menschen erhalten regelmäßig im Herbst eine Grippeschutzimpfung, deren Wirksamkeit allerdings mit entsprechenden Auswirkungen auf die Akzeptanz umstritten ist. Dr. Itziar Casado und ihre Kollegen vom Instituto de Salud Publica, Navarra in Spanien, untersuchten deshalb die Influenza-Verläufe von 728 Patienten mit einem Alter über 65 Jahren in 20 spanischen Krankenhäusern in den Wintern 2013/2014 und 2014/2015, um zu klären, ob regelmäßige saisonale Schutzimpfungen schwere Influenza-Verläufe verhindern können.
Daten von 728 Grippepatienten im Vergleich mit 1.826 passenden Kontrollen
130 dieser Patienten wurden in eine Intensivstation eingeliefert und/oder starben im Krankheitsverlauf. Sie wurden als schwere Fälle, die übrigen 598 als leichtere Fälle eingeordnet. Jedem dieser Patienten, die wegen Influenza aufgenommen wurden, ordneten die Autoren 2 bis 3 ansonsten entsprechende Patienten zu, die aufgrund anderer Erkrankungen in das jeweils gleiche Krankenhaus eingeliefert worden waren. Somit verglichen sie die 130 schweren Fälle von Influenza mit 333 passenden (matched) Kontrollpatienten und die 598 leichteren Fälle mit 1.493 entsprechenden Kontrollen. Damit basieren ihre statistischen Fallanalysen auf insgesamt 2.554 Fallakten.
Weiterhin unterschieden die Autoren alle Patienten aufgrund ihrer Schutzimpfungs-Historie in 4 Gruppen:
in Ungeimpfte,
in solche mit lediglich einer Impfung in der aktuellen Saison,
in solche mit Impfungen in den 3 vorherigen Jahren, aber nicht in der aktuellen Saison und
schließlich in solche, die sowohl in den 3 Jahren zuvor als auch in der aktuellen Saison eine Grippeschutzimpfung erhalten hatten.
Kombiniert mit der Einteilung in schwere und leichtere Verläufe ergaben sich dadurch 8 verschiedene Gruppen von Influenza-Patienten mit den jeweils passenden Kontrollpatienten für definierte Analysen.
„Die großen Matched-Kontrollgruppen sind statistischen Erwägungen geschuldet“, erklärt Mertens. „Interessant wäre aber auch gewesen, in den verschiedenen Erkrankungsgruppen die persönlichen Impfstatus zu erheben. Insofern wäre eine prospektive Studie eine sinnvolle Ergänzung zu der vorliegenden retrospektiven Betrachtung.“
Hinsichtlich schwerer Verläufe profitieren die Patienten deutlich mehr
Die Wirksamkeit der Schutzimpfung, bezogen auf das Verhindern einer Hospitalisierung, lag im Vergleich zu der Gruppe der Ungeimpften bei 31% für die leichteren Fällen von Influenza. Bei den schweren Fällen konnte die Schutzimpfung allerdings 74% der Hospitalisierungen und 70% der Todesfälle verhindern.
Auch im Vergleich der Impf-Historie zeigte sich in der Gruppe mit leichteren Verläufen nur ein geringer Unterschied der Wirksamkeit, ob die Patienten regelmäßig oder nur aktuell eine Schutzimpfungen erhalten hatten. Bei den schweren Influenza-Verläufen aber zeigte sich eine deutlich höhere Wirksamkeit bei Patienten mit regelmäßigen Impfungen: Bei ihnen waren die Hospitaleinweisungen um 55%, die Einweisungen in eine Intensivstation um 65% und Todesfälle durch Influenza um 56% geringer. Waren die Patienten dagegen entweder nur in den 3 vergangenen Jahren oder nur in der aktuellen Saison geimpft worden, zeigte sich keine Verbesserung der Wirksamkeit.
Alle Impfungen wurden mit einem in Spanien für Menschen ab 65 Jahren kostenfrei abgegebenen trivalenten inaktivierten Influenza-Vakzin durchgeführt. Von den 728 an Influenza Erkrankten trugen 325 Patienten Viren des Typs A(H1N1), 256 den Typ A(H3N2), 106 einen nicht näher bestimmten Typ A und 39 den Typ B. In der untersuchten Saison 2013/14 waren Infektionen mit Typ A (H1N1)pdm09 und in der untersuchten Saison 2014/15 Typ A(H3N2) dominant.
„Wir wissen, dass die verfügbaren Influenzavirus-Impfstoffe keinen absoluten Schutz vor Infektion und Erkrankung verleihen und dass die Schutzwirkung je nach kursierendem Virus unterschiedlich ist“, bemerkt Mertens dazu. „ Diese hohe Veränderlichkeit der Influenzaviren macht auch die Planung und Durchführung von Studien zur tatsächlichen Schutzwirkung schwierig und aufwändig.“
Die Fälle von Influenza werden nicht seltener, sondern verlaufen milder
In ihrer Diskussion betonen die Autoren, dass die Schutzimpfung insbesondere der Entwicklung von schweren Krankheitsverläufen entgegenwirke. Somit würden ältere Patienten gerade in Jahren, in denen die Wirksamkeit eines Impfstoffs geringer ausfällt, besonders von regelmäßigen Impfungen in den vorhergehenden Jahren profitieren.
„Diese Studie untermauert die Impfempfehlung der STIKO für Menschen über 60 Jahre“, bilanziert Mertens. „Die Grippeimpfung ist nicht perfekt, aber sie ist das Beste, was wir haben! Bei einer angenommenen 50-prozentigen Schutzwirkung vor Tod und bei angenommenen 10.000 Todesfällen in einer Saison könnten 5.000 Leben durch die einfache und preiswerte Impfmaßnahme gerettet werden. Die Fachleute des Robert Koch Institutes haben berechnet, dass die jährlichen influenzabedingten Todesfälle in Deutschland in den Jahren 1984 bis 2013 zwischen wenigen Fällen und bis zu 25.000 Fällen (in 1995/1996) betrugen.“
REFERENZEN:
1. Casado I, et al: CMAJ (online) 8. Januar 2018
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Je regelmäßiger, umso besser – wiederholte jährliche Influenza-Impfung schützt Senioren besser vor Komplikationen und Tod - Medscape - 16. Jan 2018.
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