Die Angst vor der Bürgerversicherung geht um – Niedergelassene Ärzte, aber auch GKV-Vertreter lehnen „Einheitskasse“ ab

Christian Beneker

Interessenkonflikte

12. Januar 2018

Vehement wehren sich Vertreter der Ärzteschaft gegen eine Bürgerversicherung, die möglicherweise infolge der GroKo kommen könnte. Der Vorsitzende des NAV Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich, erklärt in einem Schreiben an die Mitglieder, die Ärzte sollten „parat und gegebenenfalls widerstandsbereit sein“, um die Bürgerversicherung zu verhindern. Das Schreiben liegt Medscape vor.

Heinrich denkt dabei etwa an Ärztedemonstrationen und Praxisschließungen, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte. Selbst gesetzliche Krankenkassen warnen. Zwar haben sie grundsätzlich nichts gegen einen Systemwechsel. Aber sie fürchten, dass er sie teuer zu stehen kommen könnte. Einig sind sich die GKV und die Kritiker des Umstiegs offenbar in einem: keine Einheitskasse!

Wie berichtet, will die SPD, dass sämtliche neu Versicherten im Falle eines Systemwechsels in eine Bürgerversicherung eintreten. Bisherige PKV-Versicherte – auch Beamte – könnten wechseln, müssten aber nicht, erklärte der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach jüngst die Pläne seinen Fraktionskollegen.

Für den Kassenbeitrag würde für jedermann nur der Bruttoverdienst herangezogen und die Versicherten sollen nicht mehr zahlen als ihre Arbeitgeber (Beitragsparität). Der Zusatzbeitrag fiele weg. In diesem Modell sollen die PKVen auch Tarife der Bürgerversicherung anbieten können. Die SPD sieht im jetzigen System eine 2-Klassen-Medizin – und will sie abschaffen.

Indessen befürchtet Heinrich vom MAV Virchow-Bund: „Mit wohlklingenden Begriffen wie ‚Beitragsparität‘ und ‚Wahlfreiheit für Beamte‘ wird vernebelt, dass knallharte Tatsachen in Richtung einer unumkehrbaren Einheitskasse geschaffen werden sollen.“

 
Mit einer einheitlichen Gebührenordnung sollen die Fundamente des ärztlichen Selbstverständnisses erschüttert werden … Dr. Dirk Heinrich
 

Er geht noch weiter: „Mit einer einheitlichen Gebührenordnung sollen die Fundamente des ärztlichen Selbstverständnisses erschüttert werden, nämlich die Freiberuflichkeit und die Autonomie, die Vergütung eigenständig zu regeln.“

2-Klassen-Medizin erst durch die Bürgerversicherung?

Dabei gebe es gar keine 2-Klassen-Medizin, wie Heinrich sagt. Der Unterschied zwischen den Versicherungsarten schlage sich höchstens in den Wartezeiten auf Facharzttermine nieder. „Probleme gibt es üblicherweise nur in Bereichen, in denen zu wenige Fachärzte einer Fachgruppe existieren“, so Heinrich. Aber: „Die medizinische Versorgung von Kassen- und Privatpatienten unterscheidet sich nicht.“

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, kritisiert, der Vorwurf der 2-Klassen-Medizin sei eine gefährliche Falschaussage: „Das deutsche Gesundheitssystem ist mit Abstand das gerechteste System, was Umfang und Qualität der Leistungen betrifft und es garantiert den Zugang aller Bürger zur Versorgung.“

 
Die medizinische Versorgung von Kassen- und Privatpatienten unterscheidet sich nicht. Dr. Dirk Heinrich
 

Erst eine Bürgerversicherung würde eine 2-Klassen- Medizin hervorbringen. Denn wer es sich werde leisten können, werde im Falle einer Bürgerversicherung Zusatzleistungen einkaufen. Genau dies schaffe dann die 2-Klassen-Medizin.

Auch gesetzliche Krankenkassen warnen

Die gesetzlichen Krankenkassen warnen unterdessen, dass ein Systemwechsel für sie teuer werden könnte. Der Übergang dürfe nicht übers Knie gebrochen werden, betont in diesem Zusammenhang der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK), Dr. Jens Baas, in einem Interview.

Er befürchtet, dass bei einem Systemwechsel nach Gusto der SPD die GKV die Probleme der PKV lösen muss. Etwa dann, wenn die PKV-Versicherten es sich aussuchen könnten, ob sie wechseln oder nicht. Dann würden ältere und kranke PKV-Versicherte mit ohnedies hohen Beiträgen und hohen Risikozuschläge wohl die ersten sein, die bei der GKV anklopfen – und Geld kosten, meint Baas. Die Jüngeren mit den niedrigen Risiken würden aber der PKV treu bleiben.

Auch der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, fürchtet um sein Portemonnaie: „Die GKV sorgt dafür, dass unser Gesundheitswesen zu den modernsten der Welt gehört. Die PKV dagegen hat mehrere Probleme: ein Kostenproblem, ein Qualitätsproblem und ein Finanzierungsproblem. Es kann nicht Aufgabe der GKV sein, diese Probleme zu lösen“, sagt Litsch gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa).

 
Die GKV sorgt dafür, dass unser Gesundheitswesen zu den modernsten der Welt gehört. Martin Litsch
 

Dabei sei die Form einer möglichen Bürgerversicherung noch gar nicht in Stein gemeißelt, meint Baas: „Auch die Frage nach der Wechselmöglichkeit, für einen beschränkten Zeitraum oder jederzeit, ist ungeklärt. Hinzu kommt die Frage, wie eine einheitliche Vergütung in der ambulanten ärztlichen Versorgung erreicht werden kann“, sagt der TK-Chef.

Tatsächlich schlägt Lauterbach in seinem Papier den Fraktionskollegen vor, die gegenwärtigen Unterschiede zwischen EBM und GOÄ auf einem höheren Niveau als derzeit in der GKV anzugleichen. Kein Wunder, dass Baas warnt: „All dies birgt das Risiko, der GKV zunächst einmal hohe Mehrkosten zu verursachen.“

Einig mit den Ärztevertretern ist sich Baas in der Ablehnung einer Einheitskasse. Der Systemwechsel dürfe „keinesfalls ein erster Schritt in Richtung Einheitsversicherung sein“, sagt Baas in dem Interview. „Wir brauchen einen gesunden Wettbewerb!“

 
Wir brauchen einen gesunden Wettbewerb! Dr. Jens Baas
 

Noch gebe es keine konkreten Widerstandspläne, hieß es in der Pressestelle des MAV-Virchow-Bundes. Wenn es aber zur Bürgerversicherung komme, werde man im Virchow-Bund über Demonstrationen und Praxisschließungen nachdenken.



REFERENZEN:

1. NAV-Virchow-Bund: Informationen zur Bürgerversicherung

Kommentar

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