Akute Herzinsuffizienz als „nicht versiegende Quelle therapeutischer Enttäuschungen“ – Aufruf zu radikalem Kurswechsel

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

11. Januar 2018

Die akute Herzinsuffizienz wird trotz jahrzehntelanger Bemühungen nicht gut verstanden. Das Feld ist grundlagenwissenschaftlich unterbelichtet. Betroffene Patienten haben nach wie vor ein hohes Sterbe- und Re-Hospitalisierungsrisiko. All das müsse sich dringend ändern, fordern 2 prominente Herzinsuffizienz-Forscher.

„Bitte 10 Kardiologen, das Syndrom der akuten Herzinsuffizienz zu beschreiben, und du wirst 50 falsche Antworten bekommen“, schreibt Prof. Dr. Milton Packer aus Dallas, Texas. Patienten mit akuter Herzinsuffizienz würden derzeit auf der Basis von Annahmen behandelt, die nachweislich falsch seien. „Was wir brauchen, ist ein radikales Umdenken!“, meint der Kardiologe vom Baylor University Medical Center [1].

Packer ist nicht irgendwer: Seit Jahrzehnten engagiert er sich in der Herzinsuffizienz-Forschung und hat seit Ende der 1980er-Jahre eine beeindruckende Anzahl wissenschaftlicher Meilensteine gesetzt.

 
Bitte 10 Kardiologen, das Syndrom der akuten Herzinsuffizienz zu beschreiben, und du wirst 50 falsche Antworten bekommen. Prof. Dr. Milton Packer
 

Unterstützt wird sein Aufruf im Journal of the American College of Cardiology: Heart Failure von Prof. Dr. Alexandre Mebazaa, Anästhesiologe und Intensivmediziner an der Sorbonne in Paris. Dieser hat als Herausgeber und Koautor gemeinsam mit anderen im Jahre 2008 ein ganzes Buch der akuten Herzinsuffizienz gewidmet.

Auch Mebazaa fordert „radikale Veränderungen“ der wissenschaftlichen Programme auf diesem Gebiet und massive Investitionen in die Grundlagen- und klinische Forschung. Die Zahl der Publikationen zur akuten Herzinsuffizienz sei konstant niedrig [2].

 

 

„Da ist nichts Akutes an der akuten Herzinsuffizienz“

„Verstehen wir die Mechanismen und können wir sie therapeutisch beeinflussen? Kennen wir die Therapieziele bei akuter Herzinsuffizienz und erreichen wir sie mit den heute zur Verfügung stehenden Medikamenten?“, fragt Packer.

Seine Antworten lauten „Nein“. Das Syndrom sei eine „nicht versiegende Quelle therapeutischer Enttäuschungen“. Packer selbst musste als Erstautor mehrfach negative Ergebnisse großer Studien verkünden.

Als einen Grund dafür benennen die beiden Spezialisten 2 grundsätzliche Missverständnisse, die bereits aus der Benennung des Syndroms resultieren: Da sei nichts Akutes an der akuten Herzinsuffizienz, so Packer. Und keinesfalls, betont Mebazaa, gehe es allein ums Herz.

 
Die akute Herzinsuffizienz ist eine nicht versiegende Quelle therapeutischer Enttäuschungen. Prof. Dr. Milton Packer
 

Die Vokabel „akut“ meint strukturelle oder funktionelle Änderungen, die innerhalb von Minuten oder Stunden auftreten, denkt man zum Beispiel an den akuten Myokardinfarkt. Solche akuten Veränderungen finden bei den meisten Herzinsuffizienz-Patienten aber nicht statt. Es handelt sich  eher um ein  plötzliches Ereignis, das dazu führt, die oft längst bekannte chronische Herzinsuffizienz eines Patienten nun als akut zu bezeichnen.

Dabei hat sich in der Regel der bedrohliche Zustand, medizinisch unbeobachtet, über Tage und Wochen entwickelt: im Allgemeinen gehen dem Ereignis allmählich ansteigende Füllungsdrücke im Herzen voraus.

Es ist das Leitsymptom Dyspnoe mit dem die Patienten vorstellig werden. Die Dyspnoe zu beseitigen, gilt als ein maßgebliches Therapieziel. Aber: „Die klinische Verbesserung der Dyspnoe korreliert nicht mit der Diurese und wird nicht wesentlich durch periphere Vasodilatatoren beeinflusst“, gibt Packer zu bedenken.

Ähnliches gilt für das Verhältnis von erhöhten Füllungsdrücken und Schwere der Dyspnoe sowie zirkulierenden natriuretischen Peptiden. Zwar ist es befriedigend, wenn die subjektive Atemnot unter der Therapie nachlässt, aus ätiologischer Sicht aber scheint die Dyspnoe, wie schon bei der chronischen Herzinsuffizienz, auch bei der akuten Herzinsuffizienz kein klinisch relevanter Zielparameter zu sein.

Therapie zwischen den Ereignissen muss optimiert werden

Obwohl es gelungen ist, mit neuen Medikamenten das Myokard maßgeblich zu entlasten, hat dies nichts am Ausmaß kardialer Mikroverletzungen und kaum etwas an der Prognose der Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz geändert.

 
Die klinische Verbesserung der Dyspnoe korreliert nicht mit der Diurese und wird nicht wesentlich durch periphere Vasodilatatoren beeinflusst. Prof. Dr. Milton Packer
 

Dies, ebenso wie die pathophysiologische Heterogenität der Patienten, das Scheitern aller Bemühungen um eine Prognoseverbesserung mithilfe neuer Medikamente und dem Versagen von Kurzzeit-Interventionen müsse zwangsläufig zur Annahme führen, dass die akute Herzinsuffizienz keine Krankheitsentität sei, sagt Packer. Sie müsse lediglich als klinisches Ereignis begriffen werden.

Derzeit sei man noch viel zu sehr darauf fokussiert, den hospitalisierten Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz zu versorgen. Dieses klinische Ereignis ist zwar schwerwiegend, sei aber mit existierenden Therapieoptionen gut in den Griff zu bekommen.

Innovationen brauche es dagegen, um die zugrundeliegenden kardialen Veränderungen zu beeinflussen, so der US-Kardiologe und meint damit Substanzen, die diesen Akutereignissen vorbeugen. Ihm geht es also um die Therapieoptimierung zwischen den Akutereignissen. Dies komme einem therapeutischen Strategiewechsel gleich.

„Wir verstehen die akute Herzinsuffizienz noch immer nicht“, schreibt Mebazaa. Bevor weitere Phase-3-Studien starten, müsse daher zunächst geklärt werden, welche Mechanismen dazu führen.

Der Begriff „Herz“ ist seiner Ansicht nach schon nicht ideal, um den Zustand der akuten Herzinsuffizienz zu beschreiben. Denn die Herzveränderungen werden begleitet von zahlreichen extrakardialen Veränderungen, einschließlich solchen des neuroendokrinen Systems. Außerdem beeinflussen die meisten heute bei akuter Herzinsuffizienz eingesetzten Medikamente, abgesehen vom kardiogenen Schock, kaum das Herz direkt.

Zurück auf Start: Zu klären ist, was eigentlich behandelt werden soll

„Die auslösenden Faktoren einer akuten Herzinsuffizienz werden übersehen und oft nicht behandelt“, meint der Intensivmediziner. Dabei macht es prognostisch für die ersten Wochen nach dem Ereignis einen Unterschied, ob das Herz im Zusammenhang mit einem akuten Koronarsyndrom, mit einer Infektion oder etwa mit Vorhofflimmern dekompensiert ist, verdeutlicht Mebazaa.

 
Die auslösenden Faktoren einer akuten Herzinsuffizienz werden übersehen und oft nicht behandelt. Prof. Dr. Alexandre Mebazaa
 

Er vergleicht die Situation mit einer akut dekompensierten COPD (chronisch obstruktiven Lungenerkrankung), der eine Pneumonie vorangegangen ist – war diese antibiotisch behandelt worden, wirkt sich das bei dem Patienten prognostisch günstig aus.

Mebazaa erinnert außerdem daran, dass orale Herzinsuffizienz-Therapien lediglich bei Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) wirksam sind. Diese machen aber nur eine Minderheit der Patienten mit akuter Herzinsuffizienz aus – bei ihnen ist die LVEF meist erhalten.

„Viele Patienten mit optimaler medikamentöser Einstellung werden dennoch mit akuter Herzinsuffizienz hospitalisiert.“ Hinzu komme die geradezu einzigartig hohe Rate von Re-Hospitalisierungen dieser Patienten innerhalb eines Monats, weil diese nach Entlassung erneut dekompensieren.

Der Franzose macht mehrere studienmethodische Vorschläge, um einer Lösung offener Fragen näher zu kommen. Vor allem aber weist er hin auf ein erhebliches Ungleichgewicht der Forschungsaktivitäten zuungunsten der akuten Herzinsuffizienz, etwa verglichen mit akutem Myokardinfarkt und Schlaganfall.

Angefangen von der Grundlagenwissenschaft bis hin zu nichtpharmakolgischen und Arzneimittelstudien am Menschen braucht es seiner Meinung nach transnationale Anstrengungen, um nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit nun voranzukommen in puncto Prognoseverbesserung und Senkung der Hospitalisierungsraten.

Dazu müssten spezifische Forschungsfonds etabliert werden, mit denen Grundlagenwissenschaft und Humanstudien gefördert werden. „Und zweitens sollte jedes Studienprogramm zur chronischen Herzinsuffizienz mindestens 20% Ressourcen für die Erforschung der akuten Herzinsuffizienz beinhalten.“



REFERENZEN:

1. Packer M: JACC Heart Fail 2018;6(1):73-75

2. Mebazaa A: JACC Heart Fail 2018;6(1):76-79

Kommentar

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