Es soll Männer geben, die von der Existenz eines Orgasmus, der durch die Stimulation der Prostata ausgelöst wird, noch nie etwas gehört haben. Geschweige denn, dass sie je einen solchen erlebt hätten. Diesen eklatanten Mangel an Wissen und Erfahrung hat der britische Sexualforscher Dr. Roy Jerome Levin aus Sheffield jetzt zum Anlass genommen, um im Fachblatt Clinical Anatomy über den Prostata-induzierten Orgasmus zu berichten – der nach seinen Angaben von den meisten Männern, die ihn kennen, als „Superorgasmus“ bezeichnet wird [1].
Spezielle Geräte können die Prostata stimulieren
Während es zahlreiche Studien gebe, die sich mit der Bedeutung der Prostata für die Fortpflanzung beschäftigten, existierten kaum welche, die sich mit dem Anteil der Drüse an der männlichen Lust auseinandersetzten, kritisiert Levin. In den meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über den männlichen Orgasmus komme der Prostata-induzierte Höhepunkt, der besonders stark und lustvoll sei, entweder gar nicht vor oder werde in 1, 2 Sätzen abgehandelt.
Im Internet hingegen stoße man auf eine riesige Zahl von Webseiten, die sich mit dem Thema beschäftigten, schreibt Levin. Eine Google-Suche nach den Stichworten „websites for prostate-induced orgasms“ habe im August 2017 zu 383.000 Treffern geführt. (Anmerkung der Autorin: Im Dezember 2017 erzielte man auf diese Weise bereits 898.000 Treffer.) Zudem gebe es Firmen, die spezifische Produkte entwickelt hätten, um die Prostata ohne Gebrauch der Hände über den Enddarm zu stimulieren – von dem die Drüse nur durch ein dünnes bindegewebiges Septum getrennt ist.
Die Nutzer dieser Geräte betonen Lewin zufolge, dass es für einen Prostata-induzierten Orgasmus Entspannung, Zeit und Übung bedürfe. Einige Anwender bekommen während der Stimulation offenbar eine Erektion, während sie bei anderen ausbleibt. Manche erleben, dass sie ganz kurz vor dem Höhepunkt anfangen zu zittern oder wellenartige Schauer durch ihren Körper ziehen. Alle Nutzer scheinen sich jedoch einig darin zu sein, dass der Prostata-induzierte Orgasmus noch wesentlich lustvoller ist als der Höhepunkt, der durch die Stimulation des Penis ausgelöst wird.
Superorgasmen machen süchtig
Lewin selbst wurde auf das Thema offenbar durch einen Kollegen aufmerksam, dessen Erlebnisse er in einem kurzen Fallbericht wiedergibt. Demnach wollte der 63-jährige Mediziner, Dr. A. genannt, die Symptome einer Prostataentzündung bei sich lindern. Er nahm dazu täglich 2,5 mg des PDE-5-Inhibitors Tadalafil ein und beschloss, den Heilungsprozess durch eine Massage der Prostata zu fördern, für die er einen Stimulator der Firma Aneros benutzte. Er legte sich hierzu auf den Bauch und stützte das Becken durch mehrere Kissen ab, zwischen denen er Platz für seinen Penis ließ, der während der Prostatamassage manchmal erigierte und manchmal nicht.
Wie Levin berichtet, führte die Stimulation der Prostata nach nur wenigen Malen – ohne dass der Mann dabei ursprünglich sexuelle Fantasien gehabt habe – zu den erwähnten Superorgasmen, die hochgradig suchterzeugend seien. Obwohl das Gerät über den Anus nur einige Zentimeter weit in den Enddarm eingeführt wird, beschreibe Dr. A. die Orgasmen anfänglich gefühlt im Penis, Damm und Becken, ähnlich wie bei einem gewöhnlichen Höhepunkt. Würden sie intensiver und erreichten die Kategorie der Superorgasmen, sei der ganze Körper beteiligt, wobei unwillkürliche Muskelzuckungen aufträten, heißt es in dem Fallbericht weiter. Zu einem Ejakulat komme es nicht.
Frust statt Lust
Bekannt ist die walnussgroße Drüse, die unterhalb der Blase liegt und dort einen Teil der Harnröhre vollständig umschließt, vor allem, weil sie relativ häufig entartet. Prostatakrebs ist bei Männern in der westlichen Welt die häufigste Krebsart überhaupt und steht bei den Verursachern von krebsbedingten Todesfällen an zweiter Stelle, berichtet Levin. In Deutschland erkranken jährlich rund 65.000 Männer an einem Prostatakarzinom; mehr als 12.000 von ihnen sterben daran.
Noch häufiger ist eine gutartige Vergrößerung der Prostata, von der bei den Über-50-Jährigen bereits jeder zweite Mann betroffen ist. Da das angeschwollene Organ Druck auf die Harnröhre ausübt, verspüren die Betroffenen vermehrt das Bedürfnis, Wasser zu lassen. Gleichzeitig kommt es genau dabei zu Problemen: Aus einem einst kräftigen Urinstrahl wird dann allmählich oft nur noch ein Tröpfeln.
Drüse mit Nährlosung
Schon weit weniger wissen die meisten Männer über die Bedeutung der Prostata für ihre Zeugungsfähigkeit. Die Drüse produziert nämlich ein milchiges, dünnflüssiges Sekret, das laut Levin rund 30% des Ejakulats ausmacht. Dieses dient als Nährlösung für die Samenzellen und enthält unter anderem das Eiweiß Spermin, das die DNA der Spermien stabilisiert, sowie das prostataspezifische Antigen (PSA), welches das Ejakulat verflüssigt. Zudem ist das Prostatasekret mit einem pH-Wert zwischen 6,4 und 6,8 schwach sauer, wodurch die Spermien beweglicher werden.
Bei der Ejakulation ziehen sich die Muskeln der Prostata zusammen und pressen das Sekret so durch die Ausführgänge der Drüse in die Harnröhre. Gleichzeitig kommen dort unter anderem auch die fruchtzuckerhaltigen Sekrete der Samenblase und die aus den Hoden stammenden Spermien an.
Hirn-Prostata-Connection?
Der Bericht von Dr. A. geht noch einen Schritt weiter: Nach einiger Zeit konnte er den Prostata-induzierten Orgasmus offenbar in seiner gewohnten Umgebung allein durch Vorstellungskraft, also ohne eine Stimulation des Organs, auslösen. Diese Fähigkeit hielt dem Bericht zufolge nach dem letzten Einsatz des Stimulators noch mindestens 12 Monate lang an. Zudem sei es Dr. A. schließlich gelungen, auch durch Masturbation oder gewöhnlichen Geschlechtsverkehr bis zu 10 Orgasmen hintereinander zu erleben, bevor er schließlich ejakuliert habe.
Es könne aufgrund der Vielzahl an Berichten Einzelner kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die Stimulation der Prostata durch die Wand des Enddarms hindurch ekstatische Gefühle hervorrufen könne, die außergewöhnlich lustvoll seien, schlussfolgert Levin. Die exakten Mechanismen, über die diese Orgasmen ausgelöst würden, seien jedoch unklar. Als einen ersten Schritt, um den Prostata-induzierten Orgasmus weiter zu erforschen und ihn mit einem Penis-induzierten zu vergleichen, schlägt der Forscher nun den Einsatz von Hirnscans mit bildgebenden Verfahren vor.
REFERENZEN:
1. Levin RJ: Clin. Anat. 2018;31:81-85
Medscape Nachrichten © 2018 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Extrem lustvoll und mysteriös: Der Prostata-induzierte Orgasmus des Mannes als neues Forschungsobjekt - Medscape - 3. Jan 2018.
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