Atlanta – Die Ergebnisse einer kleinen Studie legen nahe, dass man der Heilung der Hämophilie A einen Schritt näher gekommen ist: Eine einzige Infusion des Gentherapeutikums Valoctocogen roxaparvovec (AAV5-VIII) verbesserte bei Patienten mit schwerer Hämophilie A (FVIII-Level ≤ 1 IU/dl) die Werte des Blutgerinnungsproteins Faktor VIII deutlich. 85% der Patienten wiesen sogar viele Monate nach der Behandlung noch normale oder fast normale Faktor-VIII-Werte auf.
Die Ergebnisse von Forschern des Barts Health NHS Trust in London, Großbritannien, um die Hämatologin Dr. Savita Rangarajan wurden auf der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) 2017 veröffentlicht und in ähnlicher Form im New England Journal of Medicine publiziert [1;2].
„Die bisherigen klinischen Daten für diese Gentherapie haben unsere Erwartungen übertroffen – sowohl was die Erhöhung der Faktor-VIII-Werte als auch was die Verringerung der jährlichen Blutungsrate angeht“, kommentierte Studienleiter Prof. Dr John Pasi, Clinical Director am Barts Health NHS Trust gegenüber Medscape die Ergebnisse.
Einmalige Injektion des Virusvektors
Auf der Jahrestagung stellte Pasi die Daten für AAV5-VIII für 2 Kohorten von Patienten vor. Den Teilnehmern wurde intravenös eine einmalige Injektion Valoctocogen roxaparvovec (AAV5-hFVIII-SQ), ein Codon-optimierter, adeno-assoziierter Virustyp 5 Vektor, der den Faktor VIII enthält, verabreicht.
In einer Kohorte (n = 7) erhielten die Probanden 6 × 1013 Vektorgenome (vg)/kg, in der andere Kohorte (n = 6) 4 × 1013 vg/kg. Wie Pasi berichtete, erreichten von den 13 Patienten 11 normale oder fast normale Faktor-VIII-Werte. Blutungen und die externe Gabe von Faktor VIII wurden in der Hochdosis-Kohorte stark reduziert. Beobachtet wurden die Teilnehmer über 52 Wochen.
Bei den Teilnehmern, die die höhere Dosis erhalten hatten, wurden prophylaktisch Kortikosteroide gestartet, sobald sie eine Erhöhung der Alanin-Aminotransferase auf das 1,5-Fache über dem Ausgangswert zeigten. Die Behandlung mit den Steroiden wurde gut vertragen. Den Teilnehmern mit niedrigerer Dosis des Vektors wurden keine prophylaktischen Kortikosteroide verabreicht.
Valoctocogen roxaparvovec wurde in allen Dosen gut vertragen und kein Patient entwickelte Hemmstoffe für Faktor VIII. 2 Teilnehmer hatten schwerere Nebenwirkungen: Einer entwickelte bei der Infusion Pyrexie mit Myalgie und Kopfschmerzen, der andere benötigte einen Knie-Totalersatz aufgrund chronischer Arthropathie.
Im NEJM veröffentlichten Rangarajan und Kollegen nur die Daten von 9 Patienten, die in 3 Dosis-Kohorten eingeteilt worden waren (niedrige Dosis: 6 × 1012 ,1 Teilnehmer), mittlere Dosis (2 × 1013, 1 Teilnehmer) und hohe Dosis (6 × 1013, 7 Teilnehmer). Auch hier betrug die Nachbeobachtung 52 Wochen.
Jährliche Blutungsrate sank von 16 auf 1
In der Hochdosis-Kohorte sank die mediane jährliche Blutungsrate unter den Teilnehmern, die eine prophylaktische Therapie mit dem Gerinnungsfaktor erhalten hatten von median 16 Ereignissen pro Patient vor Studienbeginn auf 1 Ereignis nach dem Gentransfer.
Unter der Gentherapie stabilisierte sich die Gerinnung so, dass ab Woche 22 keine Blutungen mehr auftraten. Die Faktor-VIII-Aktivität lag bei den Empfängern der niedrigen und mittleren Dosis bei 3 IE oder weniger pro Deziliter. In der Hochdosiskohorte (n = 7) lag die Faktor-VIII-Aktivität zwischen den Wochen 2 und 9 nach dem Gentransfer bei allen 7 Teilnehmern bei mehr als 5 IE/dl und bei 6 Teilnehmern normalisierte sie sich sogar (> 50 IE/dl).
Die Normalisierung hatte auch 1 Jahr nach der Gentherapie noch Bestand. Bei 6 von 7 Teilnehmern hatte sich durch die Hochdosis-Infusion die Gerinnung über den Zeitraum eines Jahres stabilisiert.
Ein „Meilensteinstudie“ auf dem Weg zur Heilung
Wie Pasi betont, scheint damit die Gentherapie bereits nach einer einzigen Infusion eine lang anhaltende Wirkung zu haben. Und dies sei im Vergleich zu sehen zur konventionellen Therapie der Hämophilie A, die in der schweren Ausprägung mehrere intravenöse Infusionen pro Woche erfordere.
„Als wir anfingen, dachten wir, dass es schon eine riesige Leistung wäre, eine 5-prozentige Verbesserung zu zeigen. Es ist einfach erstaunlich, jetzt normale oder fast normale Faktor-Spiegel mit einer drastischen Reduzierung der Blutungen zu sehen. Damit haben wir das Potenzial, die Versorgung von Menschen mit Hämophilie durch eine einzige Behandlung zu verändern“, stellt Pasi in einer Pressemitteilung der University of London fest.
Er ergänzt: „Nun wird die Zeit zeigen, ob der Erfolg dauerhaft ist.“ Hämophilie A-Patienten hätten damit eventuell die Möglichkeit „phänotypisch geheilt“ zu werden, stellt auch Prof. Dr. Margaret Ragni von der University of Pittsburgh, Pennsylvania, im Gespräch mit Medscape fest.
„Diese ... Meilensteinstudie weist den Weg zu einer Heilung der Hämophilie“, wertet Dr. H. Marijke van den Berg, von der PedNet Hemophilia Research Foundation in Baarn, Niederlande, im begleitenden Editorial die Ergebnisse [3]. Und ergänzt: „Von der Gentherapie für die Hämophilie A, die ja als eine Art ‚ultimativer Gral‘ angesehen wird, war nicht zu erwarten, dass sie so bald durchführbar sein würde.“
„Die Einführung der Gentherapie bei Patienten mit Hämophilie A wird natürlich von der Nachhaltigkeit der Therapie und von Sicherheitsaspekten abhängen ... Doch ließe sich die Therapie perfektionieren, hätten Kinder, die mit dieser verheerenden Krankheit geboren werden, die Aussicht auf ein Leben ohne Blutungen“, fügt van den Berg hinzu.
Die Hämatologin hebt hervor, dass es trotz der hohen Dosis des Vektors keine größere Lebertoxizität gab und sich bei keinem der Teilnehmer Inhibitoren entwickelt haben. Noch dazu hätten die Vektor-DNA-Spiegel im Urin, im Sperma und im Speichel im Lauf der Zeit abgenommen.
„Bemerkenswert an dieser revolutionären neuen Gentherapie sind die tiefgreifenden lebensverändernden Effekte, die sie Patienten mit Hämophilie bietet“, kommentiert Prof. Dr Jo Martin, Präsident des Royal College of Pathologists, in der Pressemitteilung der University of London.
Derzeit läuft die Studie weiter und soll im Februar 2022 abgeschlossen sein. Das Team um Rangarjan und Pasi will den Therapieansatz nun auf Hämophilie-Patienten in den USA, Europa, Afrika und Südamerika ausweiten.Schwerwiegende Sicherheitsbedenken ergaben sich im Verlauf der kleinen Studie nicht, allerdings, so die Studienautoren, könnten hier auch noch keine endgültigen Schlüsse gezogen werden.
REFERENZEN:
1. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH), 9. bis 12. Dezember 2017, Atlanta/USA
2. Rangarjan S, et al: NEJM (online) 9. Dezember 2017
3. Van den Berg HM: NEJM (online) 9. Dezember 2017
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Diesen Artikel so zitieren: Heilung für Hämophilie A in Sicht? Gentransfer-Therapie normalisiert die Blutgerinnung - Medscape - 28. Dez 2017.
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