Wie schädlich ist die Luft an vielbefahrenen Straßen, vor allem für COPD- und Herz-Patienten?

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

22. Dezember 2017

Regelmäßige Spaziergänge gelten als gesund. Schadstoffe, die von Autos an vielbefahrenen Straßen in die Luft gepustet werden, können die gesundheitlichen Vorteile der körperlichen Aktivität allerdings zunichtemachen. Dies gilt insbesondere, wenn die Lunge – etwa bei Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) – bereits vorbelastet ist. Das zeigt eine Studie aus England, die in Lancet veröffentlicht worden ist [1].

Rudy Sinharay vom National Heart and Lung Institute am Imperial College, London, und sein Team verglichen die Auswirkungen eines 2-stündigen Spaziergangs entlang der Oxford Street, einer vielbefahrenen Geschäftsstraße in London, und eines Spaziergangs im Hyde Park, einem großen Stadtpark in der englischen Hauptstadt. Die Probanden waren 120 Männer und Frauen über 60 Jahren, 39 mit stabiler ischämischer Herzkrankheit, 40 mit COPD und 40 gesunde Freiwillige.

Prof. Dr. Holger Schulz

Realistische Lebensszene

Die Autoren haben auf diese Weise „eine realistische Lebensszene nachgespielt“, kommentiert Prof. Dr. Holger Schulz, Leiter der Arbeitsgruppe „Epidemiologie der Lunge“ am Helmholtz Zentrum München, gegenüber Medscape. „Das ist sehr realitätsnah und ergänzt sinnvoll die typischerweise in der Epidemiologie genutzten Ansätze.“

Die Studienteilnehmer unternahmen im Abstand von 3 bis 8 Wochen beide Spaziergänge, den entlang der Oxford Street und den im Hyde Park. Während der Spaziergänge wurden die Konzentrationen an Ruß, Feinstaub, Feinstpartikeln und Stickstoffdioxid in der Luft gemessen. Außerdem ermittelten die Wissenschaftler Parameter der Lungenfunktion und der Herz-Kreislauf-Gesundheit.

„Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass an vielbefahrenen Straßen wie der Oxford Street in London die gesundheitlichen Vorteile von Spaziergängen nicht immer die Gefahr durch verkehrsbedingte Luftverschmutzung überwiegen“, berichten die Autoren.

Veränderung der Lungenkapazität

Bei den gesunden Studienteilnehmern verbesserte der Spaziergang im Hyde Park die Lungenfunktion. Die Einsekundenkapazität (FEV1) stieg um bis zu 7,5%. Die Verbesserung hielt – in geringerem Maß – bis zu 26 Stunden nach dem Spaziergang an.

Im Gegensatz dazu war der Spaziergang entlang der vielbefahrenen Oxford Street nur mit einer geringen und vorübergehenden Verbesserung der Lungenkapazität verbunden. „Dies deutet darauf hin, dass die Exposition gegenüber Luftschadstoffen die durch das Spaziergehen verursachte Verbesserung der FEV1 unterdrückt“, so die Autoren.

 
Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass an vielbefahrenen Straßen … die gesundheitlichen Vorteile von Spaziergängen nicht immer die Gefahr durch verkehrsbedingte Luftverschmutzung überwiegen. Rudy Sinharay und Kollegen
 

Bei den Studienteilnehmern mit COPD und ischämischer Herzerkrankung stieg die FEV1 sowohl nach dem Spaziergang auf der Oxford Street als auch nach dem Spaziergang im Hyde Park – allerdings in deutlich geringerem Ausmaß als bei den gesunden Probanden.

Mehr Atemwegsymptome bei COPD

Bei den Patienten mit COPD kam es – anders als bei den herzkranken und den gesunden Teilnehmern – in Assoziation mit den Luftschadstoffen zu einer leichten Zunahme der Atemwegsobstruktion. Dieser Effekt war mit stärkeren respiratorischen Symptomen assoziiert: Studienteilnehmer mit COPD litten nach dem Spaziergang entlang der vielbefahrenen Straße stärker an Husten, Auswurf, Atemnot und einem pfeifenden Atemgeräusch als nach dem Spaziergang im Park.

Bei den anderen Studienteilnehmern verliefen die Spaziergänge entlang der Oxford Street dagegen größtenteils beschwerdefrei, abgesehen von etwas mehr Husten bei den Teilnehmern mit ischämischer Herzkrankheit.

Effekt auf arterielle Steifheit

Um den Effekt auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit zu beurteilen, ermittelten Sinharay und seine Kollegen Parameter der arteriellen Steifheit, die Pulswellengeschwindigkeit und den Augmentationsindex.

Der Spaziergang im Hyde Park führte bei den gesunden Freiwilligen zu einer Reduktion der Pulswellengeschwindigkeit und damit der arteriellen Steifheit, ein Effekt, der bis zu 26 Stunden anhielt. „Beim Spaziergang auf der Oxford Street ging dieser Effekt nicht nur verloren, sondern kehrte sich sogar um“, berichten die Autoren.

 
Wir empfehlen, dass sich ältere Menschen – wann immer möglich – Parks oder andere Grünanlagen abseits vielbefahrener Straßen für ihre Spaziergänge suchen sollten. Rudy Sinharay und Kollegen
 

Die Teilnehmer mit COPD oder ischämischer Herzkrankheit zeigten nach dem Spaziergang im Hyde Park ebenfalls eine verringerte Pulswellengeschwindigkeit, nach dem Spaziergang auf der Oxford Street war sie dagegen erhöht.

Alle 3 Gruppen zeigten nach dem Hyde-Park-Spaziergang eine Reduktion des Augmentationsindexes. Nach dem Oxford-Street-Spaziergang war dieser Effekt deutlich geringer ausgeprägt, zu einigen Zeitpunkten sogar umgekehrt.

Schützen Herzmedikamente vor Luftverschmutzung?

„Die Effekte von Luftschadstoffen auf Pulswellengeschwindigkeit und Augmentationsindex waren vorwiegend bei COPD-Patienten und gesunden Teilnehmern zu beobachten, weniger bei Patienten mit ischämischer Herzkrankheit“, berichten die Autoren.

Um diesen der Intuition widersprechenden Befund näher zu erforschen, führten Sinharay und seine Koautoren bei den Probanden mit ischämischer Herzkrankheit eine nach Medikamenten-Einnahme stratifizierte Analyse durch. Es zeigte sich, dass die Luftverschmutzung auf der Oxford Street bei Herzkranken, die keine Medikamente einnahmen, zu einer Verschlechterung der arteriellen Steifheit führte, aber bei denjenigen, die Medikamente einnahmen, nur geringe Auswirkungen hatte.

„Die Daten deuten darauf hin, dass Medikamente wie Statine, ACE-Hemmer und Calciumkanal-Blocker, die die arterielle Steifheit verbessern, die negativen Effekte von Luftverschmutzung bei Patienten mit Herzerkrankungen reduzieren könnten“, so die Autoren.

Für Schulz ist dies eine „wichtige Information für Patienten“. Seine Empfehlung: „Wenn man eine Herzerkrankung hat und in einer belasteten Umgebung lebt bzw. weiß, dass man sich häufig an verkehrsreichen Ort aufhalten muss, dann kann man sich durch eine optimale Therapie vor diesen schädlichen Effekten schützen.“

 
Das gilt nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für Mütter mit Kindern im Kinderwagen. Sie sollten definitiv nicht an der Hauptstraße entlanglaufen. Prof. Dr. Holger Schulz
 

Weiter spazieren gehen, aber nicht an der Hauptstraße

Sinharay und seine Kollegen betonen, dass ihre Studienergebnisse ältere Menschen nicht davon abhalten sollten, spazieren zu gehen, insbesondere, da dies für diese Bevölkerungsgruppe häufig die einzige körperliche Aktivität sei. Aber „wir empfehlen, dass sich ältere Menschen – wann immer möglich – Parks oder andere Grünanlagen abseits vielbefahrener Straßen für ihre Spaziergänge suchen sollten.“

„Das gilt nicht nur für ältere Menschen“, sagt Schulz, „sondern auch für Mütter mit Kindern im Kinderwagen. Sie sollten definitiv nicht an der Hauptstraße entlanglaufen.“

Aus Messungen wisse man, dass schon 5 bis 10 Meter von einer Straße entfernt deutlich geringere Belastungen herrschen. Hilfreich sei auch, in parallel verlaufende Nebenstraßen auszuweichen. „Befindet sich eine Häuserfront dazwischen, ist die Luft meist schon viel besser.“

Der Luftverschmutzung nur aus dem Weg zu gehen, reiche aber nicht aus, betont der Münchner Epidemiologe im Gespräch mit Medscape. Die Einrichtung von Umweltzonen in den Innenstädten könne helfen, die Luftverschmutzung zu reduzieren, aber „wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen. In München liegt die durchschnittlich mit dem Auto zurückgelegte Distanz bei 1 bis 5 km. Viele Strecken ließen sich auch zu Fuß, mit dem Fahrrad oder Bus und Bahn zurücklegen“, betont Schulz.

Ist Diesel das Problem?

Darüber hinaus gibt er zu bedenken, dass die Studie aus England zwar „wichtig und interessant“ sei, aber nur knapp 120 Teilnehmer umfasste. Zudem wurde sie auf einem Teilstück der Oxford Street durchgeführt, auf dem vorwiegend dieselbetriebene Busse und Taxen fahren.

„Schaut man sich die gemessenen Schadstoffbelastungen an, war es vor allem das Stickstoffdioxid, dessen Konzentrationen über den im Jahresmittel geltenden EU-Grenzwerten lagen. Weitere Studien müssen nun überprüfen, ob die gefundenen Zusammenhänge auch an anderen Orten, etwa in deutschen Innenstädten, und auf Straßen, auf denen mehr Benziner als Dieselfahrzeuge unterwegs sind, gelten.“



REFERENZEN:

1. Sinharay R, et al: Lancet (online) 5. Dezember 2017

Kommentar

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