Vitamin-D-Supplemente in der Schwangerschaft? Umfassender Studien-Review rät von der routinemäßigen Gabe ab

Petra Plaum

Interessenkonflikte

21. Dezember 2017

Wenn Schwangere Vitamin D supplementieren, fördert dies offenbar die gute Gewichtszunahme ihrer Feten und vermindert moderat das frühkindliche Asthmarisiko. Das vermittelt der neueste Review zu diesem Thema, erschienen im British Medical Journal. Ein Autorenteam um Dr. Daniel E. Roth von der Abteilung für Pädiatrie am Hospital for Sick Children und der Universität von Toronto hat ihn aus 43 aktuellen Studien mit 8.406 Müttern und ihren Kindern erarbeitet [1].

Aber: „Die Evidenz ist bisher nicht ausreichend, um zu ethischen oder politischen Empfehlungen zu führen“, folgern die Autoren. Denn andere Vorteile für Mütter und Kinder, zum Beispiel in Bezug auf Infektanfälligkeit, Knochendichte oder Frühgeburtlichkeit, fanden sich bislang nicht.

„Die Qualität des systematischen Reviews ist als gut bis sehr gut zu bewerten“, kommentiert die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Stangl, Arbeitsgruppe Humanernährung am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaft der Martin‐Luther‐Universität Halle‐Wittenberg. Der Review erfülle die AMSTAR-Kriterien weitestgehend. Stangls Forschungsschwerpunkt ist Vitamin D, und sie geht mit Roth und seinen Kollegen konform: „Die Supplement-Einnahme ist nach der derzeitigen Datenlage erst einmal nicht angezeigt.“

Prof. Dr. Kai Bühling

Prof. Dr. Kai Bühling, Leiter der Hormonsprechstunde Klinik und Poliklinik für Gynäkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, nennt den neuen Review „sehr gut“. Aus dem Review und seiner klinischen Praxis heraus kommt er jedoch zu einem etwas anderen Ergebnis: „Offenbar hat die Zufuhr von Vitamin D einen Einfluss auf vereinzelte Parameter, wie Asthma, Geburtsgewicht sowie das Auftreten einer Präeklampsie, daher meinerseits Empfehlung zur Substitution der empfohlenen Menge von 20 Mikrogramm.“

37 Jahre Vitamin-D-Forschung

Welche Erfahrungen Wissenschaftler und Gynäkologen aus aller Welt mit der Supplementierung in der Schwangerschaft machten, ermittelten Roth und sein Team in allen relevanten Datenbasen. Sie fanden im Zeitraum ab 1980 insgesamt 43 randomisiert-kontrollierte Studien: 19 aus dem östlichen Mittelmeerraum, der Rest gleichmäßig verteilt auf Europa, Südostasien, den USA und West-Pazifik-Raum.

Viele Studien waren sehr klein, die durchschnittliche Studiengröße betrug 133 Frauen. Für die große Mehrheit der Untersuchungen (37) waren gesunde Schwangere rekrutiert worden, für 4 Studien Frauen mit Gestationsdiabetes sowie für je eine Studie Frauen mit Hypokalzämie und Frauen mit Multipler Sklerose. 23 der Studien nahmen Frauen mit initial ausreichendem Vitamin-D-Spiegel mit auf, 10 Studien Frauen mit einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel, bei den übrigen 10 Studien fehlten diese Angaben.

Die Verumgruppen in jeder Studie mussten umgerechnet mit mindestens 600 internationalen Einheiten (IU) Vitamin D2 oder D3 pro Tag supplementiert werden, was 15 µg entspricht. Dabei war unerheblich, ob die Supplementierung oral oder intravenös, täglich, wöchentlich oder (dann hochdosiert) nur ein- oder zweimalig während der Schwangerschaft erfolgte. Die mittlere tägliche Dosis der Verumgruppen lag bei 2.000 IU. Die Kontrollgruppen nahmen jeweils gar kein oder umgerechnet unter 600 IU Vitamin D pro Tag zusätzlich zur Nahrung zu sich.

 
Die Supplement-Einnahme ist nach der derzeitigen Datenlage erst einmal nicht angezeigt. Prof. Dr. Gabriele Stangl
 

11 maternale Outcomes spielten für den Review eine Rolle, unter anderem das Risiko für Frühgeburt, Gestationsdiabetes, Präeklampsie, Kaiserschnitt, Hyperkalzämie, Hyperkalziurie und Hypokalzämie.

Bei den Kindern wurden 27 gesundheitliche Parameter analysiert, unter anderem die Infektanfälligkeit, die Neigung zu Asthma und persistierender Pfeifatmung, Größe bzw. Gewicht in verschiedenen Entwicklungsphasen und die Knochendichte.

Effekte in einigen Bereichen beobachtet

Die Analyse der Daten der 8.406 Mütter und ihrer Kinder ergab, dass die Supplemente immerhin in einigen Bereichen signifikante Effekte mit sich brachten. So hatten die Mütter in den Verumgruppen bei Geburt eine erhöhte Konzentration an 25-Hydroxy-Vitamin D im Serum.

Daten aus 32 Studien mit 5.706 Teilnehmerinnen ergaben eine Differenz des gewichteten Mittelwerts zwischen Verum- und Kontrollgruppen von 32,91 nmol pro Liter (95%-KI: 27,19 – 38,62; p < 0,05). Für die 25-Hydroxy-Vitamin-D-Konzentration im Serum der Nabelschnur ermittelten 20 Studien mit 2.988 Teilnehmern eine Differenz des gewichteten Mittelwerts von 27,73 nmol/l (95%-KI: 21,57 – 33,88; p < 0,05) zwischen Verum- und Kontrollgruppen.

 
Offenbar hat die Zufuhr von Vitamin D einen Einfluss auf vereinzelte Parameter, … daher meinerseits Empfehlung zur Substitution der empfohlenen Menge von 20 Mikrogramm. Prof. Dr. Kai Bühling
 

5 Studien mit 741 Teilnehmern ergaben, dass die Supplementierung das Risiko für eine Geburt mit zu geringem Gewicht für das Gestationsalter (small for gestational age) signifikant verminderte. Das relative Risiko nach Supplementierung lag demnach bei 0,60 (95%-KI: 0,40 – 0,90, p < 0,05).

Im Durchschnitt wogen die Neugeborenen der Verumgruppen bei der Entbindung 58,33 g mehr als die der Placebogruppen (Daten aus 30 Studien mit 5.273 Teilnehmern; 95%-KI: 18,88 – 97,78). Die Chance für ein niedriges Geburtsgewicht insgesamt verminderte sich hingegen nur im nicht-signifikanten Bereich (8 Studien, 1.156 Teilnehmer; RR 0,74; 95%-KI: 0,47 – 1,16).

2 Studien – mit 1.387 Teilnehmern und sorgfältigem Design – widmeten sich Asthma und persistierender beziehungsweise wiederholter Pfeifatmung bei Kleinkindern. Beide kamen zum Ergebnis, dass Vitamin D pränatal das Risiko hierfür moderat, aber signifikant vermindert (RR 0,81; 95%-KI: 0,67 – 0,98; p < 0,05).

 
Man sollte den Schwangeren raten, schon von Beginn der Schwangerschaft an viel nach draußen an die frische Luft zu gehen. Prof. Dr. Gabriele Stangl
 

Ansonsten ergaben sich für die Kinder, aber auch für die Mütter durch die Supplementierung keine signifikanten gesundheitlichen Vorteile, die die untersuchten Parameter betreffen, betonen Roth und seine Kollegen. Nachteile hatten die Verumgruppen allerdings auch nicht, was für die Sicherheit der Supplemente spricht. Die Autoren kritisieren, dass viele Studien klein und/oder von minderer Qualität waren: Nur 8 Studien, betonen sie, hatten ein geringes Bias-Risiko.

Was Ärzte Schwangeren raten sollten

Die Autoren kommen zum Schluss, dass die aktuelle WHO-Empfehlung sinnvoll ist: Die Weltgesundheitsorganisation spricht sich gegen die routinemäßige Supplementierung aller Schwangeren aus.

Stangl schließt sich dem an. Gynäkologen, merkt sie an, könnten Frauen mit Kinderwunsch und werdende Mütter wie folgt beraten: „Da die überwiegende Menge an Vitamin D aus der Eigensynthese stammt, also in der Haut durch Einwirkung von Sonnenlicht, sollte man den Schwangeren raten, schon von Beginn der Schwangerschaft an viel nach draußen an die frische Luft zu gehen.“ Des Weiteren erhielten ohnehin fast alle Neugeborenen eine Vitamin-D-Supplementierung. 

Bühling rät zur moderaten Supplementierung die Schwangerschaft hindurch von 20 Mikrogramm am Tag und ergänzt: „Meinerseits gibt es die Empfehlung zur Bestimmung des Wertes vor oder zu Beginn der Gravidität. Bei nachgewiesenem Mangel würde ich temporär gegebenenfalls höher dosieren bis zum Zielbereich.“

Autoren fordern große Studien

Aktuell, informieren Roth und seine Kollegen, laufen 35 weitere Vitamin-D-Studien mit Schwangeren, für die 12.530 Frauen rekrutiert wurden. Sie fordern für künftige Studien, dass deren Qualität hoch und die Probandenzahl groß genug sein müssen, um kausale Zusammenhänge zwischen Vitamin D und mütterlichen Erkrankungen – beispielsweise Präeklampsie –, pränataler Gewichtsentwicklung und Erkrankungen der Atemwege des Kindes aufzudecken.

 
Es sollte zudem stärker herausgearbeitet werden, welche Vitamin-D-Status-Werte … tatsächlich ein Risiko für Mutter und Kind darstellen könnten. Prof. Dr. Kai Bühling
 

Stangl befürwortet das und ergänzt: „Es sollte zudem stärker herausgearbeitet werden, welche Vitamin-D-Status-Werte, gemessen als 25-Hydroxy-Vitamin D im Plasma der Mutter, tatsächlich ein Risiko für Mutter und Kind darstellen könnten.“

Bühling wünscht sich ebenfalls zusätzliche Studien und fordert zudem: „Allerdings sollte das Gewicht der Schwangeren/Probandinnen grundsätzlich einbezogen werden, da Adipositas ein Risikofaktor für einen Vitamin-D-Mangel ist und gleichzeitig Risikofaktor für Präeklampsie, eine Geburt small for gestational age und so weiter.“



REFERENZEN:

1. Roth DE, et al: BMJ (online) 29. November 2017

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....