Kommt sie nun, die GroKo? Und wenn sie kommt, wird die „Bürgerversicherung“ ein wichtiger Aspekt der Verhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD sein? Was würde eine solche Neuregelung für die niedergelassenen Ärzte bedeuten?
In seinem „Informationspapier für die Bürgerversicherung“ erklärte SPD Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach seinen Fraktionskollegen im Bundestag kürzlich die Eckpunkte der umstrittenen Versicherungsreform. Das Papier liegt Medscape vor.
Die Partei sieht offenbar derzeit die Chance, die Reform ins Werk zu setzen. In den aktuellen Überlegungen der SPD, mit der CDU eine Regierungskoalition einzugehen, spiele jedenfalls „die Bürgerversicherung eine sehr große Rolle“, hieß es im Berliner Büro von Lauterbach. Die SPD will die „2-Klassen-Medizin“ abschaffen, wie die Partei unterstreicht – schlechte Zeiten für niedergelassene Ärzte?
Geld wird nur anders verteilt
Tatsächlich könnten die Ärzte eine Menge Geld verlieren, so die Angaben des Praxis Panels 2012 bis 2015 des Zentralinstitutes der Kassenärztlichen Versorgung (ZIPP). Danach sank zwar der Anteil an den Einnahmen durch Privatpatienten bei den niedergelassenen Ärzten von 2012 bis 2015 durchschnittlich um 1,5% pro Jahr. Trotzdem bleibt der Anteil erheblich. 2015 lag er bei 19,9% der Gesamteinnahmen, so die ZIPP-Zahlen. Für die Niedergelassenen also ein ordentlicher Happen, der ihnen ohne Privatpatienten verloren ginge.
Folgt man aber dem SPD-Ansatz zur Bürgerversicherung, so bleibt die Geldmenge im System gleich, sie wird nur anders verteilt, wie Lauterbach betont. „Dem System wird kein Geld entzogen. Es wird keine Honorarkürzungen durch die Hintertür geben“, so Lauterbach in seinem Papier. Was denn nun?
Vergütung im GKV-Bereich soll steigen
Nach dem Willen der SPD sollen zukünftig alle erstmals Versicherten automatisch in der Bürgerversicherung versichert werden – Angestellte, Freiberufler und Beamte. Wer bis dahin in der PKV war, kann bleiben oder wechseln. Dabei werden die jetzigen PKVen nicht arbeitslos. Sondern auch sie können nach den Vorstellungen der SPD die Bürgerversicherung als Leistung anbieten, ebenso wie Zusatzversicherungen.
Der Versichertenbeitrag richtet sich für alle nach ihrem Brutto-Einkommen, auch für Selbstständige. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen je die Hälfte, der Zusatzbeitrag fällt weg. Beamte erhalten einen beihilfefähigen Tarif. Die öffentlichen Arbeitgeber können wählen, ob sie, wie andere Arbeitgeber auch, die Hälfte des Beitrags zahlen oder Beihilfe an den Behandlungskosten leisten. Neben den Beiträgen soll ein Steuerzuschuss als 3. Säule der Finanzierung etabliert werden.
Weil mit der Bürgerversicherung auch ein neues und einheitliches bedarfsorientiertes Honorarsystem geschaffen werden soll, wird jeder Patient dem Arzt das gleiche Einkommen bringen, so das Lauterbach-Papier. Dazu sollen die derzeitigen Unterschiede zwischen EBM für GKV-Patienten und GOÄ für Privatpatienten auf einem höheren Honorarniveau als derzeit in der GKV angeglichen werden.
Der inzwischen pensionierte SPD-Gesundheitsexperte Hartmut Reiners merkt in einer Stellungnahme zum Lauterbach-Papier an, das neu geschaffene Vergütungssystem müsse auch Mengenbegrenzungen und Qualitätsrichtlinien umfassen. „Wenn die PKV nicht voll in das kollektive, öffentlich-rechtliche Verhandlungssystem mit niedergelassenen Ärzten eingebunden wird, wird das alte duale Vergütungssystem nur durch ein neues ersetzt mit all den unerwünschten Folgen bei den Kostensteigerungen“, schreibt Reiners in dem Papier „Anmerkungen zu Karl Lauterbachs Informationspapier zur Bürgersicherung“, das Medscape vorliegt.
Der Gesundheitssystemforscher Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen meint, es sei „im Grundsatz vorstellbar, dass das Vergütungsvolumen der Ärzte zumindest in einer Übergangszeit erhalten bleibt. Dazu müssten die Vergütung im GKV-Bereich um knapp 15% angehoben werden. Die Frage ist natürlich, woher dafür die finanziellen Mittel kommen – vielleicht bietet sich an, sie aus dem Bundeszuschuss zu finanzieren.“
Fraglich sei indessen, ob „die Zusage, das Honorarvolumen soll erhalten bleiben, auch für die einzelnen Ärzte gilt oder nur für die Ärzte insgesamt“, so Wasem. Würden nämlich z.B. die GKV-Honorare um knapp 15% erhöht, „verlieren die Ärzte, die bisher überdurchschnittlich viele Privatpatienten hatten, während die mit unterdurchschnittlich vielen Privatpatienten gewinnen“, erklärt Wasem. „Wollte man das bisherige Vergütungsvolumen der einzelnen Ärzte erhalten, wären sehr komplexe Ausgleichsmechanismen erforderlich.“
Das Ende eines funktionierenden Systems?
Der Verband der Privaten Krankenkassen e.V. sieht indessen das Ende eines funktionierenden Systems herannahen. „Die schlimmen Folgen einer Einheitskasse für die medizinische Versorgung lassen sich mit Händen greifen. Ohne die Private Krankenversicherung hätte jede Arztpraxis im Schnitt pro Jahr über 50.000 Euro weniger Umsatz“, sagt Verbandschef Uwe Laue auf Anfrage von Medscape.
Der Verband legt nach Fachgruppen aufgeschlüsselte Umsatzzahlen vor. So würden Urologen jährlich einen Anteil von 41,4% (139.518 Euro pro Praxis) mit Privatpatienten umsetzen, Hautärzte sogar 47,6% (174.692 Euro pro Praxis) und Orthopäden 40% (160.800 Euro pro Praxis). Nur die Hausärzte liegen in dieser Statistik bei niedrigen 18,4% (48.024 Euro pro Praxis) – Stand 2011.
Kein Wunder, dass laut Laue jeder 6. Arzt fürchtet, dass er seine Praxis ohne Privatversicherte nicht mehr weiterführen könnte. „Ohne die PKV würden die Ärzte und Krankenhäuser, Apotheken, Hebammen, Physiotherapeuten und andere Dienstleister im Gesundheitssystem pro Jahr insgesamt 12,6 Milliarden Euro verlieren“, so Laue. „Vor einem so gefährlichen Experiment mit unserem Gesundheitssystem kann ich nur warnen.“
Andreas Kniesche Sprecher der SPD-Bundestagsfraktions-AG Gesundheit, verbreitet unterdessen Zuversicht für die Einführung der Bürgerversicherung im Falle einer Regierungsbeteiligung. „Ein erster Schritt müsste die Rückkehr zur Parität bei den Kassenbeiträgen sein“, sagt Kniesche zu Medscape. „Zweitens die einheitliche Honorarordnung und drittens eine Regelung für die Bundesbeamten.“ Aus Kniesches Sicht ist jedenfalls die Bürgerversicherung eine der Bedingungen der SPD für eine großen Koalition.
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: GroKo mit Bürgerversicherung: Existenzgefährdend für Niedergelassene? - Medscape - 20. Dez 2017.
Kommentar