Obst, Gemüse, Vollkorn: Über gesunde Ernährung lässt sich der Verlauf der Multiplen Sklerose wohl positiv beeinflussen

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

20. Dezember 2017

Multiple-Sklerose-Patienten, die viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukte sowie wenig Zucker und rotes oder verarbeitetes Fleisch verzehren, sind durch ihre Krankheit offenbar in geringerem Maße beeinträchtigt als solche, die sich weniger gesund ernähren. Das zeigt eine Studie mit knapp 7.000 Probanden, über die US-Forscher um Dr. Kathryn Fitzgerald von der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore im Fachblatt Neurology berichten [1].

Ernährung scheint das Immunsystem zu beeinflussen

Prof. Dr. Ralf Linker

„Dies ist meines Wissens die erste gut gemachte epidemiologische Untersuchung, die zeigt, was viele MS-Patienten und -Ärzte bereits gehofft und vielleicht sogar erwartet hatten: dass es einen Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Verlauf der Multiplen Sklerose gibt“, sagt Prof. Dr. Ralf Linker, Leiter des Neuroimmunologischen Forschungslabors an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, im Gespräch mit Medscape. „Die Ergebnisse sollten auch die bisherigen Zweifler überzeugen.“ Offen bleibe allerdings, welches der entscheidende Faktor der Ernährung sei, der die Prognose der MS womöglich günstig beeinflusse, sagt Linker.

Sein Kollege Prof. Dr. Aiden Haghikia, leitender Oberarzt an der Klinik für Neurologie am Katholischen Klinikum St. Josef-Hospital der Ruhr-Universität Bochum, zeigt sich von den Ergebnissen der aktuellen Studie ebenfalls erfreut. „Die entscheidende Stärke dieser Untersuchung ist ihre große Anzahl an Probanden – und ihre Ergebnisse bestärken uns darin, die Auswirkungen der Ernährung beziehungsweise einzelner Nahrungsbestandteile auf das Immunsystem weiter in kontrollierten Studien zu untersuchen“, sagt Haghikia gegenüber Medscape.

Prof. Dr. Aiden Haghikia

Linker und Haghikia überprüfen derzeit gemeinsam in ersten klinischen Studien, ob Propionsäure – eine kurzkettige Carbonsäure, die als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich ist – einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der MS haben kann. „Wir haben gezeigt, dass sich die Immunregulation im Blut mit Propionsäure um etwa 30 bis 40% steigern lässt“, sagt Haghikia. Und es gebe zumindest erste Hinweise darauf, dass sich dadurch auch die klinischen Verläufe der Krankheit im Hinblick auf Schubraten und entstehende Behinderungen besserten.

5 Ernährungsgruppen

Fitzgerald und ihre Kollegen werteten für ihre Untersuchung die Daten von 6.989 Patienten mit unterschiedlichen Formen der MS aus, die für das NARCOMS-Register (North American Research Committee on MS) Fragebögen zu ihrer Ernährung ausgefüllt hatten. Die Probanden mussten einschätzen, wie viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte auf der einen Seite und wieviel Zucker aus Desserts und gesüßten Getränken sowie rotes oder verarbeitetes Fleisch auf der anderen Seite sie in der Vergangenheit zu sich genommen hatten. Anhand dieser Angaben teilten die Forscher die Probanden in 5 Gruppen ein.

 
Dies ist meines Wissens die erste gut gemachte epidemiologische Untersuchung, die zeigt, was viele MS-Patienten und -Ärzte bereits gehofft … hatten. Prof. Dr. Ralf Linker
 

Die Teilnehmer der gesündesten Gruppe aßen am Tag im Schnitt 3,3 Portionen Obst, Gemüse oder Hülsenfrüchte sowie 1,7 Portionen Vollkornprodukte. Bei den Probanden der ungesündesten Gruppe waren es nur 1,7 beziehungsweise 0,3 Portionen.

Zusätzlich bewerteten Fitzgerald und ihr Team, wie gesund die Lebensführung der Teilnehmer insgesamt war. Zu einem gesunden Lebensstil gehörte, dass die Patienten normalgewichtig waren, ihr BMI also kleiner als 25 war, dass sie sich regelmäßig körperlich bewegten, sich besser als der Durchschnitt ernährten und nicht rauchten.

Darüber hinaus wurden die Probanden befragt, ob sie in den vergangenen 6 Monaten einen Schub gehabt oder ob sich ihre Symptome schleichend verschlechtert hätten. Sie wurden gebeten, den Grad ihrer Behinderung aufgrund der MS anhand der PDDS-Skala (Patient-Determined Disease Steps) einzuschätzen und anzugeben, wie schwer ihre Begleitsymptome waren – etwa Fatigue, Bewegungseinschränkungen, Schmerzen und Depressionen.

 
Ihre Ergebnisse bestärken uns darin, die Auswirkungen der Ernährung beziehungsweise einzelner Nahrungsbestandteile auf das Immunsystem weiter in kontrollierten Studien zu untersuchen. Prof. Dr. Aiden Haghikia
 

Risiko für körperliche Behinderungen um 20 Prozent reduziert

Wie die Forscher um Fitzgerald herausfanden, hatten die Probanden der Gruppe, die sich am gesündesten ernährte, ein um 20% erniedrigtes Risiko, schwere körperliche Behinderungen aufzuweisen, als die Teilnehmer, die am ungesündesten aßen.

Dies galt auch dann, wenn die Wissenschaftler andere Faktoren wie das Alter oder die Erkrankungsdauer berücksichtigten. Das Risiko, schwere Depressionen zu erleiden, war in der gesündesten gegenüber der ungesündesten Gruppe um 18% erniedrigt.

Die Patienten, die insgesamt einen gesunden Lebensstil pflegten, hatten im Vergleich zu denen, die eher ungesund lebten, ein um 47% erniedrigtes Risiko für Depressionen und ein um 44% erniedrigtes Risiko für Schmerzen. Die Gefahr kognitiver Beeinträchtigungen reduzierte sich um 33% und die einer Fatigue um 31%.

 
Eine MS lässt sich nicht allein diätetisch behandeln. Prof. Dr. Ralf Linker
 

Zusätzlich prüften die Forscher um Fitzgerald, ob bestimmte Diäten wie die Steinzeit-Ernährung, auch bekannt als Paleo-Diät, oder die Wahls-Diät, die beide in vielen Internetforen propagiert werden, den Verlauf der MS beeinflussen können. Sie fanden heraus, dass eine frühere oder gegenwärtige Anwendung dieser Diäten mit einem leicht reduzierten Risiko zunehmender Behinderung assoziiert ist.

Ergebnisse gelten womöglich nicht für alle MS-Patienten

Aus der Studie lasse sich aufgrund ihres Designs allerdings noch nicht ableiten, dass eine gesunde Ernährung eine künftige Veränderung von MS-Symptomen vorhersagen könne, betonen Fitzgerald und ihre Kollegen. Zudem ließen sich die Ergebnisse womöglich nicht auf alle MS-Patienten übertragen, da die Probanden ihrer Studie überwiegend ältere und hellhäutige Menschen mit einer durchschnittlichen Erkrankungsdauer von fast 20 Jahren gewesen seien.

Die deutschen Neurologen Linker und Haghikia sehen die begrenzte Aussagekraft der US-Untersuchung ebenfalls. „Es handelt sich natürlich um keine Interventionsstudie, die besagt, dass derjenige, der seine Ernährung ändert, einen besseren Krankheitsverlauf haben wird“, sagt Linker. Wissenschaftlich belegt sei für die diversen Lifestyle-Faktoren bislang nur, dass der Verzicht aufs Rauchen die Prognose der MS verbessere.

 
Die erzielten 20 Prozent Risikoreduzierung sind glaubhaft und durchaus beeindruckend. Prof. Dr. Aiden Haghikia
 

Keinesfalls könne eine gesunde Ernährung eine gute Immuntherapie ersetzen, betont Linker: „Eine MS lässt sich nicht allein diätetisch behandeln.“ Allerdings, so der Neurologe, ließen sich mit einer Kombination aus einem gut verträglichen Basispräparat und einer gesunden Ernährung vielleicht ähnlich gute Ergebnisse erzielen wie mit einem stärkeren Mittel.

Auch sein Kollege Haghikia betont, dass sich die Ergebnisse der US-Studie durchaus sehen lassen könnten. „Die erzielten 20 Prozent Risikoreduzierung sind glaubhaft und durchaus beeindruckend“, kommentiert er. „Insbesondere gilt das, wenn man bedenkt, dass man mit den gängigen Basispräparaten auch nur eine Verminderung der Schubrate um rund 30 Prozent erzielt.“

Selbst wenn es nicht als gesichert angesehen werden könne, dass eine gesunde Ernährung den Verlauf der MS positiv beeinflusse, könne man als Arzt nichts falsch machen, wenn man seine Patienten dazu auffordere, sagt Haghikia: „Das Risiko anderer Begleiterkrankungen, vor allem in kardiovaskulärer Hinsicht, wird dadurch ja in jedem Fall gesenkt.“



REFERENZEN:

1. Fitzgerald KC: Neurology 2018;90:e1-11

Kommentar

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