Von den Statinen ist es schon länger bekannt – aber es trifft auch die neuen Lipidsenker, die PCSK9-Inhibitoren: Nach einem systematischen Review und einer Metaanalyse mit mehr als 96,000 Patientenjahren erhöht die Behandlung mit einem PCSK9-Inhibitor über 1,5 Jahre Blutglukose- und HbA1c-Werte, und zwar in Abhängigkeit vom Ausmaß der LDL-Cholesterin-Senkung.
Ein Effekt auf das Diabetesrisiko ist allerdings nach Aussage der brasilianischen Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Andrei C. Sposito, Kardiologische Abteilung, Universität von Campinas, Brasilien, vermutlich nur bei Personen zu erwarten, bei denen die LDL-Cholesterinspiegel sehr stark gesenkt werden. „Unsere Befunde und frühere Studienergebnisse unterstützen das Konzept einer inversen und dosisabhängigen Wirkung von LDL-Cholesterin auf die Plasmaglukose-Spiegel“, schreiben die Autoren der in Diabetes Care publizierten Studie [1].
Dies wird durch Befunde einer aktuellen Studie der Diabetes Prevention Program Research Group gestützt, die Dr. Jill P. Crandall, Albert Einstein College of Medicine, New York, schon im Oktober 2017 in BMJ Open Diabetes Research & Care veröffentlicht hat [2]: Danach erhöhte eine langfristige Statin-Behandlung bei Patienten mit hohem Diabetesrisiko das Erkrankungsrisiko für einen Typ 2 um etwa 30%.
Auch diese Autoren kommen zu dem Schluss, dass alle Befunde zusammen genommen darauf hindeuten, dass es durch die Lipidsenkung zu einer Störung im Glukosestoffwechsel kommt und dass dies kein durch das Statin selbst vermittelter Effekt ist.
Positive Effekte der Lipidsenkung überwiegen bei weitem
Prof. Dr. Jörg Bojunga, Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie, Diabetologie und Ernährungsmedizin, Medizinische Klinik I des Universitätsklinikums Frankfurt, weist jedoch darauf hin, dass in großen Endpunkt-Studien mit PCSK9-Inhibitoren kein Einfluss auf das Diabetesrisiko gesehen worden ist. Er warnt vor der Überbewertung negativer Berichte: „Natürlich kann es Risiken geben – es gibt nichts zum Nulltarif, aber man muss immer die Bilanz sehen.“
Die positiven Wirkungen der Lipidsenkung würden bei weitem überwiegen, dieser Aspekt gerate bei einer zu starken Fokussierung auf eventuelle Risiken zu stark in den Hintergrund, warnt er: „Negative Nachrichten verdrängen häufig zu stark die positiven Befunde.“ In verschiedenen Studien sei belegt, dass bei einem Absetzen von Lipidsenkern wegen Berichten über Risiken das kardiovaskuläre Risiko der Patienten steige.
PCSK9-Hemmer verschlechtern Betazell-Funktion
Proproteinconvertase-Subtilisin/Kexin-Typ 9 (PCSK9) ist eine Serinprotease, die an den LDL-Rezeptor bindet und damit dessen Abbau fördert. Damit steigt die LDL-Cholesterin-Konzentration im Blut. PCSK9-Inhibitoren wie Evolocumab oder Alirocumab können bekanntlich die LDL-Cholesterinspiegel um 50 bis 60% senken und wirken stärker als z.B. die Kombination aus Ezetimib plus Statin.
Mittlerweile liegen jedoch Daten vor, die auf eine umgekehrte Korrelation von PCSK9-Verfügbarkeit im Plasma und der Inzidenz eines Typ-2-Diabetes hinweisen. Es ist denkbar, dass die Verstärkung von Turnover und Funktionalität des LDL-Rezeptors mit PCSK9-Inhibitoren zu einem Verminderung der Beta-Zellfunktion führt und die Manifestation eines Typ-2-Diabetes begünstigen kann.
Höhere Blutglukose-Spiegel mit Lipidsenkern
Die brasilianische Arbeitsgruppe um Sposito untersuchte deshalb in einer Metaanalyse klinischer Studien mit PCSK9-Inhibitoren, ob und in welchem Ausmaß eine solche metabolische Interaktion existiert. In die Analyse wurden 20 klinische Studien mit 68.123 Patienten eingeschlossen. In allen Studien hatten die Patienten als Backbone ein Statin erhalten, denn es gab keine Studie mit eingeschränkter Statin-Anwendung, in der Blutglukose- und HbA1c-Werte erhoben worden waren.
Die Analyse ergab, dass der Blutglukose-Spiegel bei Patienten, die mit einem PCSK9-Inhibitor behandelt worden waren, im Schnitt um 1,88 mg/dl höher lag als zu Behandlungsbeginn und sich signifikant von der Placebogruppe unterschied (p < 0,001). Der HbA1c-Wert war unter Therapie mit PCSK9-Inhibitoren um 0,032 Prozentpunkte im Vergleich zum Ausgangswert gestiegen und unterschied sich ebenfalls signifikant von der Placebogruppe (p < 0,001).
Diese Effekte reichten jedoch nicht aus, um über eine mittlere Nachbeobachtungszeit von 1,5 Jahren die Inzidenz eines Diabetes mellitus zu erhöhen. Zwischen den 3 PCSK9-Antikörpern Alirocumab, Evolocumab und Bococizumab (wird nicht mehr weiter entwickelt) ergaben sich keine Unterschiede. Exploratorische Meta-Regressionsanalysen zeigten eine Assoziation zwischen Ausmaß und Dauer der LDL-Cholesterin-Senkung und dem Diabetesrisiko.
REFERENZEN:
1. De Carvalho LSF, et al : Diabetes Care (online) 27. November 2017
2. Crandall JP, et al: BMJ Open Diab Res Care (online) 23. Oktober 2017
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Diesen Artikel so zitieren: Blutzucker steigt auch unter den neuen PCSK9-Hemmern – erhöht LDL-Senkung per se das Diabetesrisiko? - Medscape - 18. Dez 2017.
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