Berlin – Eine Gesetzesänderung soll es jungen Krebs-Patientinnen und -Patienten erleichtern, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Das fordern die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) und die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Auf einer Pressekonferenz in Berlin präsentierten sie dazu die aktuelle gesundheitspolitische DGHO-Publikation „Vom Krebs geheilt, aber nicht gesund. Keine Hoffnung auf eigene Kinder“ [1].

Prof. Dr. Carsten Bokemeyer
Rund 80% der an Krebs erkrankten jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 39 Jahren können inzwischen geheilt werden. Die dafür notwendige Chemo- oder Strahlentherapie schädigt allerdings häufig die Fruchtbarkeit.
„Je nach Krebsart und Intensität der Therapie beträgt das Infertilitätsrisiko zwischen 20 und 75 Prozent. Demgegenüber verfügen wir heute über sehr gut etablierte Methoden zum Fruchtbarkeitserhalt, die vor Beginn der Krebstherapie durchzuführen sind“, erklärte Prof. Dr. Carsten Bokemeyer, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO. Das Dilemma: Eine Finanzierung der Maßnahmen zur Fertilitätsprotektion sieht das Sozialgesetzbuch V bisher nicht vor.
Kosten zwischen 500 und rund 8.000 Euro
Dabei stellen junge Erwachsene mit Krebs eine relativ überschaubare Patientengruppe dar: In Deutschland gelten etwas mehr als 100.000 Menschen nach einer Krebserkrankung im Kindes- und jungen Erwachsenenalter als langfristig geheilt.
„Wir reden bei fertilitätserhaltenden Maßnahmen also nicht über unendliche jährliche Kosten für das Gesundheitswesen, vielmehr aber über eine für viele Patienten und ihre Partner elementare Angelegenheit“, betonte Bokemeyer.
Die Kosten liegen zwischen etwa 3.500 und rund 8.000 Euro für das Gewinnen und Einfrieren von Eizellen bei der Frau und um die 500 Euro für das Einfrieren und Einlagern von Spermien beim Mann. Für die Folgejahre kommen in allen Fällen Lagerungskosten von etwa 300 Euro pro Jahr hinzu. Summen, die nicht von allen Patienten ohne Weiteres aufgebracht werden können.
Änderung des SGB V soll Fertilitätserhalt finanzierungsfähig machen
Die Entscheidung zu fertilitätsprotektiven Maßnahmen geschieht in aller Regel unter Zeitdruck – zwischen Krebsdiagnose und Beginn der onkologischen Therapie. „In dieser für Patienten meist sehr schwierigen Lebenssituation müssen sie sich dann auch noch um die Finanzierung ihres Fruchtbarkeitserhalts kümmern, weil die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen – das muss geändert werden“, sagte Prof. Dr. Mathias Freund, Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs.
Woran liegt es, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht zahlt? „Wichtigster Grund dafür ist, dass nach § 27 Sozialgesetzbuch V (SGB V) letztlich nur die Behandlung einer Erkrankung – bzw. die Wiederherstellung der durch eine Krankheit verloren gegangenen Fruchtbarkeit – finanziert wird“, erläuterte Freund. „Die Gewinnung und das Einfrieren von Keimzellen als vorsorgende Maßnahme sind dabei nicht finanzierungsfähig.“
DGHO und Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs fordern deshalb eine Anpassung im § 27 SGB V, um eine Kostenübernahme für fertilitätsprotektive Maßnahmen zu ermöglichen. Sie schlagen diese Formulierung vor: „Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung oder Bewahrung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, einschließlich der Entnahme, Aufbereitung, Kryokonservierung, Lagerung und späteren Wiederverwendung von weiblichen und männlichen Keimzellen und Keimgewebe für eine natürliche oder künstliche Befruchtung, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation oder anderen erforderlichen Therapie verloren gegangen war oder gefährdet ist.“
Noch bessere ärztliche Aufklärung nötig
Ein weiteres Problem: „Immer noch werden nicht alle Krebs-Patientinnen und -Patienten vor Behandlungsbeginn über fruchtbarkeitserhaltende Möglichkeiten aufgeklärt. Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf“, betonte Prof. Dr. Ralf Dittrich, Leiter des IVF- und Endokrinologischen Labors der Universitäts-Frauenklinik Erlangen. Dies erfordere auch eine frühzeitige, intensive interdisziplinäre Kommunikation u.a. von Onkologen, Strahlentherapeuten und Reproduktionsmedizinern.
Zu den fertilitätsprotektiven Maßnahmen zählen beim Mann nicht nur die Spermien-Kryokonservierung, sondern auch das Einfrieren von Hodengewebe. Bei der Frau sind es insbesondere die Kryokonservierung unbefruchteter oder befruchteter Eizellen. Möglich ist jedoch auch das Einfrieren von Ovarialgewebe, um dieses später zu retransplantieren.
Der Kinderwunsch sei bei Krebs-Patientinnen und -Patienten nicht weniger stark ausgeprägt als bei gesunden Gleichaltrigen, erklärte Prof. Dr. Anja Borgmann-Staudt von der Kinderklinik der Berliner Charité. „9 von 10 ehemaligen Patientinnen und Patienten wünschen sich ein eigenes Kind.“ Dabei solle nicht vergessen werden, dass Fertilitätsprotektion bereits bei Kindern, in vielen Fällen ab 13 Jahren, möglich sei.
Arzt-Patienten-Gespräch mit Besonderheiten
Bei der ärztlichen Aufklärung von jungen Krebspatienten im Hinblick auf einen späteren Kinderwunsch sind in erster Linie diejenigen Ärzte gefordert, die die onkologische Primärtherapie durchführen, wie beim Mammakarzinom die Gynäkologen, beim Hodentumor die Urologen oder bei Leukämien die Hämatologen.
„Hinsichtlich der ärztlichen Aufklärung ist sicher noch viel Platz nach oben“, sagte Freund im Gespräch mit Medscape: „Die Aufklärung sollte umfassend und gut verständlich sein und die besondere Situation berücksichtigen, in der sich ein junger Mensch befindet, der gerade eine Krebsdiagnose erhalten hat.“
Ein Problem ist, dass längst nicht immer alles vom Arzt Gesagte richtig und vollständig von den Patienten verstanden wird. So können diese durch die Schwere der Diagnose ein eingeschränktes Aufnahmevermögen haben. „Deshalb sollten Ärzte ihren Patienten vor dem Gespräch empfehlen, dazu eine Vertrauensperson mitzubringen, mit der sie das Besprochene später nochmals in Ruhe reflektieren können“, riet Freund.
Bei Wegfall des Finanzierungsproblem der Fertilitätsprotektion könnten solche Gespräche nach Freunds Auffassung erheblich einfacher und routinierter werden: „Einer Patientin oder einem Patienten zu sagen, dass sie oder er für alles selbst bezahlen muss, ist eine unnötige Hemmschwelle bei der Entscheidung, rechtzeitig Maßnahmen zum Erhalt der Fruchtbarkeit zu ergreifen.“ Die Erfüllung des Kinderwunschs kann dadurch zwar nicht garantiert werden, die Erfolgsrate liegt Freund zufolge jedoch im Durchschnitt immerhin bei circa 60%.
Umfangreiches Informationsmaterial für Patienten, auf das Ärzte im Rahmen ihrer Beratung hinweisen können, gibt es auf der Website der Deutschen Stiftung für Junge Erwachsene mit Krebs. Dort geben z.B. auch Patienten Erste-Hilfe-Tipps zum Umgang mit ihrer Diagnose und Erkrankung, unter anderem in Videobotschaften. Ein weiteres Projekt der Stiftung ist das Junge Krebsportal, bei dem sich Patienten registrieren lassen können, um im Online-Chat, telefonisch oder persönlich von Experten beraten zu werden.
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Kinderwunsch nach Krebs: Medizinisch oft erfüllbar, doch die unzureichende Kostenerstattung ist noch ein Hindernis - Medscape - 13. Dez 2017.
Kommentar