Schizophrenie: Avatar-Therapie bringt „innere Stimmen“ von Patienten mit Psychosen zum Schweigen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

4. Dezember 2017

Es ist langwierig, Personen mit Schizophrenie, die Stimmen hören, von diesen Halluzinationen zu befreien. Zudem verläuft dies nicht immer befriedigend. Jetzt zeigt eine Publikation in The Lancet Psychiatry, dass die Behandlung schneller und erfolgreicher sein kann, wenn der Therapeut diese innere Stimme computergestützt als „Avatar“ übernimmt, um sie für einen therapeutischen Dialog mit dem Patienten zu nutzen [1].

Nach einer vorangegangenen Pilotstudie hat die Gruppe um Prof. Dr. Tom K. J. Craig, King’s College London, jetzt eine randomisierte, kontrollierte und einfach verblindete Studie mit 150 Teilnehmern über 24 Wochen abgeschlossen und veröffentlicht. Bei den 75 Patienten der „Avatar“-Gruppe hatten die akustischen Halluzinationen nach 12 Wochen um 3,82 Punkte abgenommen auf der Psychotic Symptoms Rating Scale, Auditory Hallucinations (PSYRATS–AH) gegenüber der Kontrollgruppe. Die Kontroll-Patienten hatten stattdessen eine intensive Gesprächstherapie erhalten.

„Zahlreiche Patienten mit Schizophrenie werden ihre aggressiven inneren Stimmen trotz langer Behandlung nicht los“, beklagt Craig. „Deshalb ist es wichtig, dass wir nach neuen, wirksameren und schnelleren Therapieformen suchen.“

 
Zahlreiche Patienten mit Schizophrenie werden ihre aggressiven inneren Stimmen trotz langer Behandlung nicht los. Prof. Dr. Tom K. J. Craig
 

Auch Dr. Youssef Shiban, Akademischer Rat an der Universität Regensburg, bestätigt den Sinn neuer Therapieoptionen: „Virtuelle Realitäten helfen uns bereits seit Jahren bei der Behandlung von Angststörungen, vor allem Phobien. Es ist deshalb sinnvoll, sie auch in der Therapie von Psychosen zu studieren.“

Etwa 60 bis 70% der Menschen mit Schizophrenie hören solche Stimmen, die häufig bedrohlich auf die Betroffenen wirken. Psychopharmaka können diese akustischen Halluzinationen zwar oftmals reduzieren, aber bei etwa jedem 4. Fall gelingt dies nicht. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann bei solchen Psychosen ebenfalls wirksam sein, ist allerdings langwierig und unter Umständen nur vorübergehend erfolgreich.

Alle Teilnehmer hatten zu Beginn der Studie schon mindestens ein Jahr von solchen „inneren Stimmen“ berichtet, obwohl sie bereits therapiert wurden. Die jeweilige antipsychotische Medikation wurde auch während der Studie in allen Fällen parallel weitergeführt. Unter den Teilnehmern waren auch viele Menschen, die schon bis zu 20 Jahre lang täglich mehrere Stimmen hörten. Um auf die 150 auswertbaren Datensätze zu kommen, hatten die Forscher ursprünglich 398 Probanden in 2 Zentren rekrutiert.

 
Für die Forschung ist die Avatar-Methode ideal, da sie von der Person der Therapeuten unabhängig ist. Dr. Youssef Shiban
 

Der Therapeut nutzt zeitweise die „innere Stimme“ als Avatar

Für die „Avatar“-Therapie beschrieben die Teilnehmer zunächst ihre „innere Stimme“ sowohl akustisch als auch visuell nach ihrer Vorstellung. Danach wurde gemeinsam mit dem jeweiligen Teilnehmer ein auf dem Bildschirm sichtbarer und hörbarer „Avatar“ erstellt, der für die Studientherapie genutzt wurde. Dazu war der Patient 10 bis 15 Minuten allein mit dem Avatar-Computer in einem Raum, während der Therapeut von einem anderen Raum aus das Gespräch in der Rolle des Avatars führen konnte.

Die Sitzungen, in die das Avatar-Gespräch integriert war, dauerten insgesamt 50 Minuten und fanden einmal pro Woche statt. Sie waren insgesamt als Gespräch zwischen Patienten, Therapeuten und Avatar konzipiert. In den ersten Sitzungen übernahm der Therapeut einerseits die vorbestimmte Rolle der „inneren Stimme“, ermunterte andererseits als er selbst den Patienten, der „inneren Stimme“ zu widersprechen. In den späteren Sitzungen ging der Therapeut in der Rolle des Avatars auf den Widerspruch des Patienten ein und respektierte ihn schließlich. Die Gespräche wurden aufgezeichnet und dem Patienten überlassen, um sie bei erneutem Auftreten der Halluzination in Eigenregie abspielen zu können.

Mit den Patienten der Kontrollgruppe führten die Forscher ebenso lange und häufige psychologische Gespräche. Auch dabei wurden die Patienten aufgefordert, ihren „inneren Stimmen“ zu widersprechen und zu versuchen, ihr Auftreten zu verhindern. Auch diese Gespräche wurden aufgezeichnet und den Patienten zur Verfügung gestellt.

„Für die Forschung ist die Avatar-Methode ideal, da sie von der Person der Therapeuten unabhängig ist und dadurch viele Störfaktoren ausschließen kann“, erläutert Shiban. „Die Nutzung von ‚virtual reality‘ ermöglicht deshalb eine exakte, kontrollierte Forschung.“

 
Mit diesem Ergebnis … zeigt die Avatar-Therapie, dass sie der reinen Gesprächstherapie zumindest gleichgestellt ist. Dr. Youssef Shiban
 

Nach 12 Wochen signifikant bessere Ergebnisse in der Avatar-Gruppe

Die abschließende Befragung der Patienten und Auswertung der Daten wurde verblindet durchgeführt. Bei insgesamt 124 der 150 Patienten (83%) hatten die akustischen Halluzinationen nach 12 Behandlungswochen auf der PSYRAS-AH Skala abgenommen. In der Avatar-Gruppe sank die durchschnittliche Punktzahl von vorher 29,63 auf 22,79 und in der Kontrollgruppe von 30,46 auf 27,53 – von insgesamt 44 möglichen Punkten. Daraus errechneten die Autoren einen signifikanten Unterschied von -3,82 Punkten zugunsten der Avatar-Gruppe (95% Konfidenzintervall, -6,7 bis -0.94, p < 0,0093).

„Mit diesem Ergebnis in einer vergleichsweise großen Patientengruppe zeigt die Avatar-Therapie, dass sie der reinen Gesprächstherapie zumindest gleichgestellt ist“, bestätigt auch Shiban. „Das deckt sich mit positiven Ergebnissen aus anderen Gebieten der Psychologie, etwa bei Angststörungen.“

Entsprechende Ergebnisse gab es auch für eine Reihe von Untertest zur Häufigkeit, Intensität, Böswilligkeit und Glaubhaftigkeit etc. der Halluzinationen. Über einen kompletten Wegfall ihrer „inneren Stimmen“ berichteten 7 Personen aus der Avatar- und 2 Personen aus der Kontrollgruppe.

Nach 24 Wochen glichen sich die Ergebnisse beider Gruppen an

Nach weiteren 12 Wochen, die ohne Studientherapie verliefen, glichen sich die Ergebnisse allerdings an. In der Avatar-Gruppe reduzierten sich die Halluzinationen kaum mehr, während sie in der Kontrollgruppe weiter abnahmen, allerdings in abgeschwächter Form (von 27,53 auf 25,18 Punkte). Damit verringerte sich der Unterschied zwischen beiden Gruppen nach 24 Wochen auf nur noch -1,55 Punkte zugunsten der Avatar-Gruppe. Unterschiede bei Nebenwirkungen wurden nicht berichtet. 

Somit ergab sich in dieser Studie keine entscheidend höhere Wirksamkeit der Avatar-gestützten Therapie gegenüber der intensiven Gesprächstherapie, wohl aber ein schnellerer Erfolg, der auch über die dokumentierten 24 Wochen anhielt.

 
Die Avatar-Therapie stellt eine neue, vielversprechende Facette der Behandlungsansätze dar, die versuchen, mit den „inneren Stimmen“ von Patienten in einen konstruktiven Dialog zu treten. Dr. Ben Alderson-Day, Prof. Dr. Nev Jones
 

Die Autoren erkennen aber in dieser Schnelligkeit einen entscheidenden Vorteil der Avatar-Therapie. In ihrer Diskussion betonen sie, dass diese Studie die erste größere dieser Art war und weitere Studien, insbesondere zu den Themen der Inhalte der Avatar-Gespräche sowie ihrer Kosten-Nutzen-Analyse, notwendig sind.  

In einem parallel publizierten Editorial bestätigen Dr. Ben Alderson-Day, Durham University, UK, und Prof. Dr. Nev Jones, University of South Florida, Tampa, USA, diese Einschränkungen [2]: „Die Avatar-Therapie stellt eine neue, vielversprechende Facette der Behandlungsansätze dar, die versuchen, mit den „inneren Stimmen“ von Patienten in einen konstruktiven Dialog zu treten. Die Frage ist jetzt aber, ob und wie dieser Ansatz in eine breitere Praxis getragen werden kann. Dazu sind weitere Forschungen notwendig.“

Shiban zieht bereits jetzt ein positives Resümee: „Ich sehe für die Nutzung von ‚virtual reality‘ ein großes Potenzial in der psychologischen Therapie. Gerade in Deutschland, wo vielen Patienten nur wenige Therapeuten und geringe Budgets gegenüberstehen, werden solche Computer-gestützten Methoden den Weg in die Praxis finden.“



REFERENZEN:

1. Craig TCG, et al: Lancet Psychiatry (online) 23. November 2017

2. Alderson-Day B, et al:  Lancet Psychiatry (online) 23. November 2017

Kommentar

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