Blutdrucksenkung mittels Skalpell: Bisher nur im Rahmen von Studien

Interessenkonflikte

1. Dezember 2017

Anaheim – Eine bariatrische Operation kann bei adipösen Hypertonie-Patienten, die zahlreiche Blutdrucksenker einnehmen, einen Großteil der Medikamente überflüssig machen – der Blutdruck lässt sich mit nur einem Wirkstoff oder sogar ganz ohne Medikamente im Normbereich halten. Dies legt eine kleine randomisierte Studie nah, die auf den Scientific Sessions 2017 der American Heart Association (AHA) präsentiert worden ist [1].

Die Teilnehmer der Studie hatten einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 30 und 40 kg/m2 (Mittelwert 37 kg/m2 für beide Gruppen) und nahmen zu Beginn der Studie mindestens 2 Blutdrucksenker ein. Die Patienten unterzogen sich einer proximalen (klassischen) Magenbypass-Operation plus medikamentöser antihypertensiver Behandlung oder einer medikamentösen Behandlung allein.

Nach einem Jahr war in der OP-Gruppe die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahl der antihypertensiven Medikamente um etwa ein Drittel reduziert werden konnte, 6-mal größer als in der Vergleichsgruppe. Die Hälfte der Operierten benötigte gar keine Medikamente mehr, um den Blutdruck unter 140/90 mmHg zu halten. Alle Patienten mit einer konservativen Standardtherapie benötigten dagegen weiterhin Antihypertensiva – die Hälfte dieser Personen mindestens 3 Medikamente.

Zudem erreichten in einer Post-hoc-Analyse der Studie, der GATEWAY-Studie (Gastric Bypass to Treat Obese Patients With Steady Hypertension), etwa 20% der Patienten nach dem bariatrischen Eingriff den laut der SPRINT-Studie erstrebenswerten systolischen Blutdruckwert von unter 120 mmHg.

Die Adipositas-Chirurgie „erleichtert die antihypertensive Behandlung dieser Patienten“, sagte Dr. Carlos Aurelio Schiavon vom Research Institute am Heart Hospital in São Paulo, Brasilien, gegenüber Medscape. Er stellte die GATEWAY-Studie in Anaheim vor, während sie etwa zeitgleich in Circulation erschien.

Für adipöse Patienten, die ihre Hypertonie mit mehr als 2 Medikamenten behandeln müssen – was ihnen oftmals schwerfällt –, „kann der chirurgische Eingriff eine sehr effektive und sinnvolle Therapie sein, um ihnen auch zu einer größeren Compliance bei der Medikamenteneinnahme und zu einem besser eingestellten Blutdruck zu verhelfen“, sagte Schiavon.

OP – noch – nicht empfohlen zur Blutdruckkontrolle

Aktuell könne jedoch die Operation für Patienten mit einem BMI zwischen 30 und 35 kg/m2 nicht zur Blutdruckkontrolle empfohlen werden, zumindest nicht außerhalb klinischer Studien, sagte Schiavon. Denn die Operation ist zur Verbesserung der metabolischen Situation Patienten mit einem höheren BMI vorbehalten – sie gilt erst ab einem BMI von 35 als indiziert. Doch künftig könne es zu einer erweiterten Indikationsstellung kommen – speziell bei solchen Patienten mit Adipositas, die zur Blutdruckkontrolle 4 oder 5 Antihypertensiva einnehmen müssen, so Schiavon.

Heute „führen wir Patienten rasch der Adipositas-Chirurgie zu, die unter einer hartnäckigen Symptomatik einer Herzinsuffizienz, ausgeprägtem Diabetes und einer kaum beherrschbaren Hypertonie leiden“, sagte Dr. Donald Lloyd-Jones von der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago zu Medscape. „Aber das ist eine aufregende Untersuchung, die zeigt, dass auch bei niedrigerem BMI und nicht wirklich dramatischer, hartnäckiger Hypertonie ein ziemlich deutlicher Benefit erreicht werden kann.“

Die GATEWAY-Studie „ist zwar klein, aber bestechend. Sie zeigt uns, wie wir künftig die Schlussfolgerungen daraus in unser Behandlungsrepertoire integrieren können“, sagte Lloyd, der nicht an der Studie mitgewirkt hatte.

 
Die GATEWAY-Studie ist zwar klein, aber bestechend. Dr. Donald Lloyd-Jones
 

Die Hälfte der Operierten erreichte eine Remission der Hypertonie

Die Patienten in der Studie waren zu 70% weiblich und hatten ein Durchschnittsalter von 44 Jahren. Patienten mit einem Blutdruck über 180/120 mmHg, chronischen Nierenerkrankungen oder Diabetes wurden ausgeschlossen. Die eingesetzten Antihypertensiva waren ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptorantagonist mit einem Kalziumantagonisten als Erstlinientherapie, bei Bedarf vorzugsweise gefolgt von einem Thiaziddiuretikum und weiter von Spironolacton oder Clonidin.

Einen kontrollierten Blutdruck mit einer Medikamentenreduzierung um mindestens 30%, dem primären Endpunkt der Studie, erreichten 41 operierte Patienten, jedoch nur 6 der medikamentös und via Lebensstilanpassung behandelten Personen. Dies entspricht einem Anteil von 83,7% bzw. 12,8% (Inzidenzratenverhältnis 6,6; 95% KI 3,1–14,0; p < 0,001).

Erstaunliche 51% der Operierten erreichten eine Remission ihrer Hypertonie, was einem ambulant bestimmten Blutdruck von unter 140/90 mmHg ohne medikamentöse Therapie über 1 Jahr entsprach – dies im Vergleich zu keinen solchen Fällen aus der Kontrollgruppe.

In der Post-hoc-Analyse der Studie, die auf den ambitionierteren Zielen der SPRINT-Studie basiert, erreichten 11 operierte Patienten (22,4%) einen systolischen Blutdruck unter 120 mmHg nach einem Jahr ohne antihypertensive Medikation – ebenfalls im Vergleich zu keinen entsprechenden Fällen aus der Kontrollgruppe.

Hinsichtlich des primären Endpunktes, der auf der von SPRINT definierten systolischen Blutdruckschwelle basiert, erreichten 32,7% der Operierten niedrigere Blutdruckwerte und konnten ihre antihypertensive Medikation um mindestens 30% reduzieren – im Vergleich zur Kontrollgruppe, bei der das nur bei 8,5% der Fall war (Inzidenzratenverhältnis 3,8; 95% KI 1,4–10,6; p < 0,005).

Die Werte für Gewicht, BMI und Hüftumfang waren bei den 49 operierten Patienten nach einem Jahr besser als bei den 47 konservativ über Medikamente und Lebensstilanpassung behandelten Patienten aus der Kontrollgruppe (p < 0,001 für alle Messwerte). Der BMI beim Follow-up lag bei durchschnittlich 26,8 bzw. 36,3 kg/m2.

„Es ist noch etwas über den reinen Gewichtsverlust hinaus geschehen“

Obwohl diese Unterschiede möglicherweise erwartet wurden „und man davon ausgehen kann, dass der Magenbypass der Hauptgrund für die Remission oder den Rückgang des Medikamentenbedarfs in der operierten Gruppe war, erreichten die meisten dieser Patienten den primären Endpunkt schon sehr rasch – nämlich im ersten postoperativen Monat“. Das scheint zu bedeuten, so Schiavon weiter, „dass noch etwas über den reinen Gewichtsverlust hinaus geschehen ist.“

Dieses Etwas lasse sich zumindest teilweise auf die metabolischen Veränderungen in der operierten Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe zurückführen. Dazu gehörten auch signifikante Verbesserungen bei den Werten für Nüchternblutzucker, HbA1c, LDL-Cholesterin, Triglyzeride und hochsensitives C-reaktives Protein (hs-CrP) (p < 0,001 Operation vs. Kontrolle für alle Messwerte).

Bei einer Pressekonferenz zu der Studie sagte Dr. Paul Poirier vom Quebec Heart and Lung Institute im kanadischen Quebec, geladener Teilnehmer der Diskussionsrunde zu Schiavons Studienpräsentation, dass der proximale Magenbypass mit seinen Begleiteffekten bei der Adipositas bekanntermaßen die Insulinresistenz, die Nierenfunktion, den Sympathikotonus und den Entzündungsstatus verbessere.

Ganz allgemein zeigte die Operationsgruppe eine klare Verbesserung im 10-Jahres-Framingham- Score.


Dieser Artikel wurde von Dr. Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.



REFERENZEN:

1. American Heart Association (AHA) Scientific Sessions 2017, 11. bis 15. November 2017, Anaheim/USA

Kommentar

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