Die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel, weil sie nach Auffassung des Amtsgericht Gießens gegen das Verbot von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verstoßen hat, löst eine breite Debatte in der Gesellschaft aus. Die Frauenärztin ist bekanntlich am vergangenen Freitag zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie Informationen auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche nicht entfernt hatte. Ihre Anwältin kündigte Revision an.
Die Gießener Richterin stellte in ihrer Urteilsbegründung klar, dass der Gesetzgeber verhindern wolle, dass Abtreibungen in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert würden, berichtete der Gießener Anzeiger. Jeder sei aber froh, dass es die legale Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs gebe. Ein Schwangerschaftsabbruch sei aber keine Blinddarm-OP. Hänel sei in den letzten Jahren mehrmals angezeigt worden. Sie hätte einen Prozess verhindern können, wenn sie die Informationen von ihrer Homepage genommen hätte, so die Richterin.
Laut Paragraf 218 Strafgesetzbuch ist der Schwangerschaftsabbruch nach wie vor strafbar. Nicht rechtswidrig ist aber der Abbruch, wenn die Frau in den ersten 12 Wochen eine Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstelle aufsucht und eine 3-tägige Wartefrist bis zum Eingriff einhält.
Juristinnen und Ärztinnen: Sachliche Information muss möglich sein
Der Deutsche Juristinnenbund e.V (djb) und der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) fordern in einer Mitteilung die Abschaffung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund vermehrter Strafanzeigen gegen Ärzte wegen des Vorwurfs der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch. „Der Schwangerschaftsabbruch ist eine medizinische Dienstleistung für Frauen in einer Notlage. Darüber müssen Ärztinnen und Ärzte öffentlich sachlich informieren dürfen, ohne sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt zu sehen“, argumentiert die Präsidentin des djb, Prof. Dr. Maria Wersig.
Die Rechtslage führe dazu, dass ungewollt schwangere Frauen sich über die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Region nur extrem schwer informieren könnten, weil bereits sachliche, öffentliche Informationen als strafbar angesehen würden, so der Vorstand des DÄB.
Für Ärzte und Ärztinnen bestehe eine Rechtsunsicherheit, weil nur die Aufführung des Wortes „Schwangerschaftsabbruch“ im Leistungsspektrum bereits zur Anklage führe. Wer einen finanziellen Vorteil aus dem Schwangerschaftsabbruch ziehe, darf laut Gesetz nicht werben.
Doch hier bestehe ein Dilemma: Einerseits haben Ärzte und Ärztinnen die Pflicht, ihre Patienten zu informieren, andererseits verdienen Ärzte mit ihren Leistungen ihren Unterhalt. „Der Paragraf muss dringend überarbeitet oder abgeschafft werden, er ist veraltet oder sogar komplett überflüssig, auf jeden Fall behindert er sachliche Informationen und die freie Arztwahl“, sagt DÄB-Präsidentin Dr. Christiane Groß für den DÄB-Vorstand gegenüber Medscape.
Der DÄB hofft, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Norm prüfen wird, damit diese Rechtsunsicherheit geklärt wird. Das Gesetz, das ursprünglich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 erlassen worden war, um unter anderem jüdische Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren, sei ohnehin nicht zeitgemäß.
Ist der Paragraf mit Patientenrecht vereinbar?
Auch die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen forderte vergangenen Freitag in einer einstimmig verabschiedeten Resolution den Gesetzgeber auf, den Paragrafen 219a im Sinn der gesetzlich festgelegten Patientenrechte und der Rechte von Ärzten so zu überarbeiten, dass eine sachgerechte Information nicht mehr unter Strafe gestellt wird, heißt es in der Pressemitteilung.
„Wir stellen fest, dass Unsicherheiten und Unklarheiten bleiben“, sagt der Präsident der LÄK Hessen, Dr. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach gegenüber Medscape . Da das neue Patientenrechtsgesetz vorsehe, dass Ärzte ihre Patienten sachgerecht informieren, solle der Gesetzgeber überprüfen, ob der Paragraf 219a mit dem neuen Gesetz vereinbar sei.
„Wenn bei einer Überarbeitung herauskommt, dass der Paragraf nicht mehr nötig ist, dann kann er auch gestrichen werden. Das ist ergebnisoffen und nicht unsere Aufgabe, dass zu beurteilen“, sagt von Knoblauch zu Hatzbach. Zum betreffenden Fall und laufenden Verfahren nehme man als Körperschaft öffentlichen Rechts in keiner Weise Stellung und stelle auch keinen Zusammenhang zum Fall her, betonte er.
Der Verein der Demokratischen Ärztinnen und Ärzte zeigten sich über das Urteil bestürzt. Die Liste Demokratischer Ärztinnen und Ärzte in der Landsärztekammer Hessen (LDÄÄ) nahm Stellung: „Schwangere Frauen in einer Notlage brauchen neutrale qualifizierte Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht kriminalisiert werden, weil sie ihrer Aufklärungspflicht Patientinnen gegenüber nachkommen“, heißt es in der Presserklärung.
Einen mittleren Weg wählte der Berufsverband der Frauenärzte. Er betonte in einem Statement, dass es innerhalb der Ärzteschaft keine einheitliche Auffassung zur Frage gebe, ob der Paragraf 219a Strafgesetzbuch abgeschafft werden solle. Es werde kontrovers diskutiert, ob das Informationsrecht der Frauen durch den Paragrafen unzulässig eingeschränkt werde oder ob es trotzdem möglich bleibe, entspchende Adressen über Ärzte und Beratungsstellen genannt zu bekommen.
Der Berufsverband kritisierte jedoch deutlich verschiedene Initiativen von Abtreibungsgegnern, die systematisch Ärzte aufgrund der Darstellung ihres Leistungsspektrums auf ihrer Webseite anzeigten – in der Regel, weil sie die Sachlage nicht kennen würden.
Die Fraktion die Linke will im Bundestag erreichen, dass das Gesetz gestrichen oder geändert wird, so die Linke auf ihre Homepage. Es sei ein Widerspruch, dass Ärztinnen zwar Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, diese aber nicht öffentlich anbieten dürfen, so die Fraktion.
Pro Familia sieht Schweiz und Frankreich als Vorbild
Der Verband Pro Familia , der Schwangerschaftsberatungen anbietet, fordert vom Gesetzgeber, zeitnah das Defizit bei der Information zum Schwangerschaftsabbruch zu beheben. „Ärzt*innen, die einen straflosen und sicheren Schwangerschaftsabbruch durchführen, dürfen nicht kriminalisiert werden. Frauen und Männer müssen Ärzt*innen frei wählen und sich medizinisch und sachlich richtig zum Schwangerschaftsabbruch informieren können“, so Prof. Dr. Davina Höblich, Vorsitzende des Pro Familia Bundesverbands, in einem Statement.
Der Verband weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 2006 erklärt hat, dass es Ärztinnen und Ärzten erlaubt sein müsse, darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ohne negative Folgen zu befürchten. „Der § 219a StGB wird zunehmend von Abtreibungsgegner*innen dazu benutzt, um Ärzt*innen anzuzeigen und einzuschüchtern. In der Folge nehmen viele Ärzt*innen und Praxen aus Angst vor Strafverfolgung sachliche Informationen von ihren Webseiten herunter“, so der Verband.
Noch vor dem Urteilsspruch hatte Pro Familia erklärt, dass die reine Information darüber, wie, wo und durch wen straflose Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, nicht als Werbung angesehen werden dürfe. Der §219a StGB und seine juristische Auslegung führten leider dazu, dass es Frauen schwergemacht werde, ihr Recht auf Information wahrzunehmen. Sie können sich nicht niedrigschwellig darüber informieren, wo sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können. Der §219a StGB behindere zudem das Recht auf Wahlfreiheit der Methode für den Eingriff, denn es werde nicht veröffentlicht, welche Gesundheitseinrichtungen welche Schwangerschaftsabbruchmethoden anbieten.
Aus Sicht von Pro Familia ist es aber dringend notwendig, umfassende, unabhängige Informationen zum Schwangerschaftsabbruch, über die regionale Versorgung und über die verwendeten Methoden zur Verfügung zu stellen. In Frankreich beispielsweise informiere eine vom Gesundheitsministerium betriebene Homepage ausführlich zum Schwangerschaftsabbruch. In der Schweiz, in der analog zu Deutschland der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, aber straffrei ist, seien die Kantone per Gesetz verpflichtet, lokale Praxen und Spitäler zu benennen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
„Ärzte für das Leben“ begrüßt das Gießener Urteil
Der Verein „Ärzte für das Leben“ begrüßte das Urteil des Gießener Gerichts in seiner Pressemitteilung: „Es ist wichtig, dass für die Abtreibung nicht geworben werden darf, sie sind kein Teil des normalen medizinischen Betriebes“, so der Verein. „Wir freuen uns, dass das Gericht dem Vorschlag des Staatsanwaltes gefolgt ist“, sagte Prof. Dr. Paul Cullen, erster Vorsitzender des Vereins. Eine Werbung für diese weiterhin rechtswidrige Handlung habe in einer humanen Gesellschaft keinen Platz.
Die Frauenärztin Hänel hat mittlerweile eine Internet-Petition an den Bundestag zur Abschaffung des Paragrafen 219a gestellt. Rund 134.000 Personen haben bisher schon unterschrieben.
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Diesen Artikel so zitieren: Gynäkologin wegen Werbung für Abtreibung verurteilt: Ärzte aller Couleur zwischen Empörung und Zustimmung - Medscape - 29. Nov 2017.
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