Die Rücklagen der 113 gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) im Land sind auf rund 18 Milliarden Euro gestiegen und damit auf einen neuen Rekordwert. Das berichtete vergangene Woche die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Demnach haben die Kassen der GKV bis zum Juli 2017 rund 1,5 Milliarden Euro weniger ausgegeben, als sie eingenommen haben. So konnten sie ihre Rücklagen weiter auffüllen.
Vor allem die AOKen haben ein solides Rücklagenpolster aufgebaut, hieß es. So haben sie in den ersten 3 Quartalen einen Überschuss von 1,1 Milliarden Euro erwirtschaftet. Auch die großen Ersatzkassen wie die BARMER Ersatzkasse, die Techniker Krankenkasse (TK) oder die DAK sitzen auf einem gewaltigen Finanzpolster zusätzlich von zusammen rund 900 Millionen Euro.

Dr. Andreas Gassen
Wohin mit den Überschüssen?
Prompt brachte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ins Spiel, Geld an die Versicherten zurückzuzahlen, wie ein Sprecher des Ministeriums Medscape bestätigte. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, forderte schon im Juli, als sich die gute Kassenlagen der GKV anbahnte: „Die Krankenkassen sollen ihre Überschüsse in die Versorgung investieren.“ Die „erfreulich positive Kassenlage“ könne „zur Verbesserung der Versichertenversorgung“ eingesetzt werden“, zitiert die KBV ihren Chef [1]. „Dabei wollen wir gerne helfen.“

Mark Barjenbruch
Foto: KVN
Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KV Niedersachsen (KVN), schlug im Interview mit Medscape vor, das überschüssige Geld in die Versorgung zu stecken und zum Beispiel alle Laborleistungen extrabudgetär zu stellen. Derzeit werden sie im Vorwegabzug finanziert, Zusatzbedarfe werden aus den Töpfen der Haus- und Fachärzte befriedigt – ein ständiges Streitthema unter den Ärzten.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) meldet sich zu Wort und erhebt Ansprüche. „Die geradezu exponentiell steigenden Überschüsse haben ihr Spiegelbild in den nach wie vor höchst bedenklichen massenhaften Defizitlagen der Krankenhäuser“, erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, in einer Mitteilung [2]. „Etwa ein Drittel der Krankenhäuser schreibt rote Zahlen. Nachweislich klafft in den Kliniken eine große Lücke zwischen den Personalmehrkosten infolge von Tarifsteigerungen und zu niedrigen Preisanpassungen. Auch werden weder die deutlich gestiegenen laufenden Aufwendungen in den Krankenhäusern für die Absicherung der IT-Systeme, noch die dazu erforderlichen Investitionsmittel in nur ansatzweise ausreichendem Maße bereitgestellt.“
Die DKG appelliert an die Politik, aus den Überschüssen der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds die notwendigen Verbesserungen für die Finanzierung des Personals zu nehmen. Auch die Mittel für ein Digitalisierungsförderprogramm sind im System vorhanden. „Investieren statt Einlagern“ müsse das Gebot der Stunde sein, hieß es.
Krankenkassen: Geld anhäufen verboten
Einlagern dürfen die Kassen das Geld aber gar nicht, wie das Bundesversicherungsamt (BVA) auf Anfrage bestätigt. Es kontrolliert die bundesunmittelbaren Krankenkassen. „Die Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Haushaltswirtschaft“, so das BVA. Ihre Überschüsse dürfen nur in Rücklagen, Betriebsmittel und Verwaltungsvermögen fließen. „Außerhalb dieser Einteilung darf kein Vermögen gebildet werden“, so das BVA.
So müssen die Krankenkassen 25% ihrer monatlichen Ausgaben als Liquiditäts-Rücklage vorhalten. Bei guter Kassenlage, wie derzeit, können sie diese Reserve auch auf 100% der Ausgaben eines Monats auffüllen, hieß es. Auch „für die Betriebsmittel gibt es Höchstgrenzen, die Bildung von Verwaltungsvermögen ist eingeschränkt durch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“, so das BVA.
Wenn alle Speicher bei den Kassen mit Versichertengeld aufgefüllt sind, „sind die Kassen gehalten, den Zusatzbeitrag zu senken“, so eine Sprecherin des BVA zu Medscape. Anders gesagt: Die Überschüsse bleiben Geld der Beitragszahler.
Nicht alle Kassen haben Überschüsse
Allerdings sind keineswegs alle Krankenkassen in der Verlegenheit, ihr vieles Geld irgendwo unterbringen zu müssen. „Es geht nicht allen Kassen gleich gut“, sagt etwa Hanno Kummer, Sprecher des Ersatzkassenverbandes Niedersachsen. „Unsere Kassenart wird zum Beispiel durch den Risikostrukturausgleich massiv benachteiligt.“
Die Kassen ohne komfortables Geldpolster beteiligen sich also gar nicht an der Diskussion, an wen die Kassen ihren Überschuss auszahlen sollten, sondern sie fordern einen internen Ausgabenausgleich unter den Kassen.
So verteile der Risikostrukturausgleich das Geld des Gesundheitsfonds anhand der Häufigkeit von 80 Krankheiten unter den Versicherten. „Patienten mit diesen Leiden sind aber vor allem bei den AOKen versichert“, so Kummer. Entsprechend besser stehen die AOKen da.
Die Kassen dagegen, die mehr Patienten mit selteneren, aber teureren Krankheiten unter ihren Versicherten haben, würden eher spärlicher aus dem Fonds versorgt, so Kummer. Ersatz- und Betriebskrankenkassen etwa bekämen immer weniger Geld aus dem Fonds, als sie eigentlich benötigten, resümiert der Sprecher. „Und diese Schere öffnet sich immer weiter.“
Das Mittel der Wahl sei eine erweiterte Systematik des Risikostrukturausgleichs, meint Kummer. „Derzeit wird die Einnahmenseite komplett ausgeglichen, indem alle Beiträge in den Fonds abgeführt werden. Aber auf der Ausgabenseite fehlt ein Ausgleichsmechanismus. Der müsste aber geschaffen werden.“
Geld auf dem Konto nützt den Kassen nichts
Für den Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen bleiben die Überschüsse der Kassen auch die Sache der Kassen. „Die Kassen geben das Geld teilweise an die Beitragszahler zurück“, so Wasem auf Anfrage von Medscape. „Im Übrigen finde ich, dass die Kassen das im Wettbewerb frei entscheiden können sollten.“
In der Tat: Die kleine AOK Bremen/ Bremerhaven zum Beispiel wird das Jahr 2017 wohl mit einem ähnlichen Überschuss abschließen wie 2016. Im vergangenen Jahr seien es 34 Millionen Euro gewesen, erklärt Jörn Hons, Sprecher der Kasse. Zum Jahresbeginn 2018 wird die Kasse ihren Zusatzbeitrag um 0,3% auf 0,8% senken. Damit würden die Versicherten um jährlich 15 Millionen Euro entlastet, so die AOK an der Weser. Weiteres Geld fließt in die Digitalisierung im Haus und in die Verbesserung der Arbeitsabläufe. Hons: Wie teuer diese Maßnahmen am Ende sein werden, ist noch offen.
REFERENZEN:
1. Kassenärztliche Bundesvereinigung: Pressemitteilung, 20. Juli 2017
2. Kassenärztliche Bundesvereinigung: Pressemitteilung, 23. November 2017
MEHR
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Diesen Artikel so zitieren: 18 Milliarden Überschüsse bei den Krankenkassen: Wohin mit dem Geld? Interessenvertreter haben viele Ideen - Medscape - 29. Nov 2017.
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