TNT-POAF-Studie: Botox-Spritze ins Herz könnte postoperatives Vorhofflimmern verhindern

Patrice Wendling

Interessenkonflikte

29. November 2017

Anaheim – Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass direkt ins Epikard gespritztes Botulinumtoxin postoperatives Vorhofflimmern verringern könnte. Diese nur allzu häufige Komplikation nach Herzoperationen erhöht die Morbidität und tritt bei 30 bis 50% der Patienten auf. Die Ergebnisse der Studie sind bei den Scientific Sessions 2017 der American Heart Association (AHA) präsentiert worden [1].

Das Nervengift Botulinumtoxin verringert bekanntlich die Ausschüttung von Acetylcholin aus den Nervenenden. Dass bei der Entstehung von Vorhofflimmern ein autonomes Ungleichgewicht eine wichtige Rolle spielt, brachte die Forscher auf die Idee, das Nervengift zur Vorbeugung einzusetzen.

Botulinumtoxin wirkt anticholinerg

„Wird es in der Nähe autonomer Nerven ins epikardiale Fettgewebe gespritzt, wirkt Botulinumtoxin anticholinerg auf das Atrium, verkürzt die effektive Refraktärzeit und blockiert die Entstehung von Vorhofflimmern“, erklärte Studienautor Dr. Nathan Waldron von der Duke University School of Medicine, Durham, USA.

Die neuartige Strategie hatte sich schon vorher in einer ersten Studie an menschlichen Probanden als vielversprechend erwiesen. Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern, die einen Koronarbypass erhielten, war das Nervengift in die 4 Hauptfettpolster des Epikards injiziert worden. Im Vergleich zu Kochsalzlösung reduzierte dies das Risiko für Vorhofflimmern von 30 auf 7% (p = 0,024).

Injektion in 5 Fettpolster

Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde nun in die TNT-POAF-Studie eine größere Kohorte von 130 Patienten mit höherem Risiko aufgenommen. Bei ihnen war entweder eine Koronarbypass-Operation, eine Herzklappen-Operation oder beides geplant. Sie erhielten während des Eingriffs randomisiert 50 Einheiten Onabotulinumtoxin A (Botox®, Allergan) oder 1 ml sterile Kochsalzlösung – injiziert in 5 epikardiale Fettpolster: das anteriore Fettpolster und die 4 mit der rechten und linken Lungenvene verbundenen Fettpolster.

 
Wird es in der Nähe autonomer Nerven ins epikardiale Fettgewebe gespritzt, wirkt Botulinumtoxin anticholinerg auf das Atrium … und blockiert die Entstehung von Vorhofflimmern. Dr. Nathan Waldron
 

Die 63 Botulinumtoxin- und die 67 Placebo-Patienten waren hinsichtlich der Ausgangskriterien zu Studienbeginn vergleichbar, allerdings nahmen die Placebo-Patienten präoperativ häufiger ACE-Hemmer (46 vs. 29%) und hatten häufiger Vorhofflimmern (5 vs. 2%) oder eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (22 vs. 11%) in der Vorgeschichte. Bei den Placebo-Patienten wurde außerdem häufiger eine kombinierte Koronarbypass- und Herzklappen-Operation durchgeführt.

Numerischer Unterschied

Das Ergebnis: Das Risiko für postoperatives Vorhofflimmern noch während des Krankenhausaufenthaltes war bei den mit Botulinumtoxin behandelten Patienten numerisch niedriger als bei den Patienten, die Kochsalzlösung erhalten hatten (36,5 vs. 47,8%). Doch der Unterschied zwischen den beiden Gruppen erreichte keine statistische Signifikanz – weder in unkorrigierten (HR 0,69; p = 0,18), noch in um mehrere Störfaktoren korrigierten Analysen (HR 0,70; p = 0,21).

Die erste Episode von postoperativem Vorhofflimmern dauerte bei den mit dem Nervengift behandelten Patienten weniger lange als bei den Placebo-Patienten (1,9 vs. 5,5 Stunden; p = 0,01). Die Gesamtlast an postoperativem Vorhofflimmern, die Behandlung mit Amiodaron oder eine Kardioversion und die Länge des Krankenhausaufenthalts unterschieden sich dagegen nicht signifikant zwischen den Gruppen.

„Eine Reihe von Arbeitsgruppen hat gezeigt, dass die Herzfrequenz-Variabilität ein potenziell vielversprechender Marker für autonome Instabilität oder Störungen auf kardialer Ebene ist. Dies in ein präoperatives Screening einzubeziehen, könnte ein vielversprechender Weg sein, Patienten herauszufiltern, die besser oder weniger gut auf epikardiales Botulinumtoxin ansprechen“, so Waldrons Einschätzung bei der Pressekonferenz.

Hoffnung auf „explosivere Ergebnisse“

Prof. Dr. Renate Bonin-Schnabel vom Universitären Herzzentrum am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die zur Diskussion der Studie eingeladen war, sagte: „Zum jetzigen Zeitpunkt gefällt mir das Konzept sehr gut. Die Autoren haben eine vielversprechende, nicht operative Möglichkeit präsentiert, um die Belastung durch Vorhofflimmern zu reduzieren. Ich freue mich auf weitere, vielleicht explosivere Ergebnisse.“

Sie wies darauf hin, dass die Studienergebnisse durch Unterschiede zwischen den Gruppen zu Studienbeginn verwässert worden sein könnten. Außerdem sei die Studie „für eine Risikoreduktion um 40 Prozent sehr optimistisch gepowert“ gewesen.

Dauerhafte Lösung notwendig

Die Mechanismen, die dem passageren Charakter des postoperativen Vorhofflimmerns zugrunde liegen, seien unbekannt, sagte Schnabel. Die Kardiologin ergänzte, dass Patienten, die nach einer Operation Vorhofflimmern entwickelten, auch langfristig ein hohes Risiko für die Entstehung eines Vorhofflimmerns hätten. „Deshalb brauchen wir dauerhaftere Behandlungsmethoden.“

Die bis zu 4-monatige Nachbeobachtung habe keine Unterschiede zwischen den Gruppen zu Tage gebracht, sagte Waldron in einem Interview. Doch er stimmte zu, dass sich die Erforschung der epikardialen Fettpolster und der autonomen Innervation der Atrien noch im Anfangsstadium befinde.

 
Die Autoren haben eine vielversprechende, nicht operative Möglichkeit präsentiert, um die Belastung durch Vorhofflimmern zu reduzieren. Prof. Dr. Renate Bonin-Schnabel
 

„Es gibt gute Daten, dass eine teilweise Denervation des linken Vorhofes eine Suszeptibilität für erneute Arrhythmien induziert. Will man den autonomen Tonus dahingehend beeinflussen, dass das Wiederauftreten eines Vorhofflimmerns unwahrscheinlicher wird, braucht man eine vollständigere autonome Blockade“, sagte er.

„Es könnte sein, dass die Hinzunahme des fünften anterioren Fettpolsters für die Unterschiede zwischen unserer Studie und der von Pakoushalov eine Rolle spielte. Allerdings unterscheidet sich unsere Kohorte in vielerlei Hinsicht von derer, deshalb ist es schwer zu interpretieren.“

Sicherheitsprofil vergleichbar mit Placebo

Hinsichtlich der Sicherheit fanden sich keine Unterschiede zwischen Botulinumtoxin und Placebo. Intubationsdauer (6 vs. 6,8 Stunden), Nebenwirkungen (69,8 vs. 70,1%), schwere Nebenwirkungen (42,9 vs. 44,8%) und perioperative Mortalität (1,6 vs. 1,5%) waren vergleichbar.

 
Wir müssen … Patienten identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Behandlung profitieren werden, und das erfordert etwas mehr präklinisches Screening. Prof. Dr. Ivor Benjamin
 

„Wenn sich unsere Ergebnisse in größeren klinischen Studien bestätigen sollten, wäre die Risikoreduktion auf einem Level mit Amiodaron; die Number-needed-to-treat läge bei 1,7 Patienten, und das ohne viele der Nebenwirkungen von Amiodaron“, sagte Waldron.

Geeignete Patienten identifizieren

In einer Stellungnahme gegenüber Medscape sagte Prof. Dr. Ivor Benjamin vom Medical College of Wisconsin, Milwaukee, der selbst nicht an der Studie beteiligt war: „Wir hören viel über Präzisionsmedizin und personalisierte Medizin, nicht alle Patienten haben notwendigerweise ein autonomes Ungleichgewicht. Wir müssen an einem besseren Studiendesign arbeiten. Das bedeutet vor allem, Patienten zu identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Behandlung profitieren werden, und das erfordert etwas mehr präklinisches Screening. Aber es ist wirklich sehr interessant, dass man im Prinzip Botox gegen Vorhofflimmern anwenden kann.“


Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.



REFERENZEN:

1. American Heart Association (AHA) Scientific Sessions 2017, 11. bis 15. November 2017, Anaheim/USA

Kommentar

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