Mannheim – Diabetes-Prävention über Lebensstiländerungen sollte mehr als bisher auf Hochrisiko-Patienten abzielen. Das ist das Fazit eines Symposiums auf der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und dem Kongress der Deutschen Hochdruckliga DHL in Mannheim [1]. „Wir brauchen eine Risiko-adaptierte Diabetes-Prävention“, betonte Prof. Dr. Andreas Fritsche.

Prof. Dr. Andreas Fritsche
Diese sollte sich daran orientieren, wie gut oder schlecht ein Patient auf Lebensstil-Interventionen anspricht. Fritsche, der am Universitätsklinikum Tübingen eine Professur für Ernährungsmedizin, Prävention und Diabetologie innehat, erläuterte, welche Patienten schlecht ansprechen. Er präsentierte erste, noch unveröffentlichte Daten der PLIS-Studie, die zeigen, wie speziell diesen Non-Respondern mit einer intensivierten Lebensstil-Intervention geholfen werden kann.
Normale Glukosetoleranz als Ziel
Lebensstil-Interventionen, das stellte Fritsche klar, müssen früh ansetzen. Denn ist ein Diabetes schon manifest, bringen sie weniger, wie auch die TODAY-Studie gezeigt habe. In dieser US-Studie hatten Kinder und Jugendliche mit Typ-2-Diabetes zusätzlich zu Metformin Anleitungen zur Änderung des Lebensstils erhalten – ohne dass dadurch ihre Blutzuckereinstellung verbessert worden wäre. „Das war enttäuschend, zumal man gedacht hatte, dass Lebensstil-Änderungen bei Kindern besonders effektiv sind. Für uns heißt das: Wenn wir beim Prädiabetiker ansetzen, dann ist der Erfolg sehr viel größer.“
Die finnische DPS-Studie und die US-amerikanische DPP-Studie – beides Untersuchungen bei Prädiabetikern – ergaben eine Risikoreduktion der Progression zum manifesten Diabetes von 58% und damit eine NNT (Number Needed to Treat) von 7. Das heißt: „Man muss 5 bis 7 Patienten mit Prädiabetes behandeln, um bei einem innerhalb von 2 bis 3 Jahren einen manifesten Diabetes zu verhindern. Das funktioniert und ist eine vernünftige NNT“, erläuterte Fritsche.
Dass diese großen Präventionsstudien als primären Endpunkt auf die Verhinderung eines Diabetes fokussierten, greift allerdings für Fritsche zu kurz: „Der eigentliche Endpunkt sollte eine Rückkehr zur normalen Glukosetoleranz sein. Wir wissen nämlich, dass im Prädiabetes-Bereich die kardiovaskuläre Mortalität so hoch ist wie beim manifesten Diabetes. Unser Ziel muss also sein, nicht nur den Diabetes zu verhindern, sondern auch die prädiabetische Stoffwechsellage zu behandeln und in eine normale Glukosetoleranz umzuwandeln“, betonte er.
Als Prädiabetiker gilt, wer einen erhöhten Nüchernblutzucker (IFG, Impaired Fasting Glucose) oder eine eingeschränkte Glukose-Toleranz (IGT, Impaired Glucose-Tolerance) hat. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 5% führt ein erhöhter Nüchternblutzucker in den nächsten 2 bis 3 Jahren zu einem manifesten Diabetes, bei einer eingeschränkten Glukosetoleranz liegt die Wahrscheinlichkeit bei 10%, liegen IFG und IGT vor, sind es 20%.
„Die Wahrscheinlichkeit ist nicht so hoch, selbst die Kombination führt nur bei 20% der Patienten zu einem Diabetes. 80% der müssen also nicht mit einer Konversion zum Diabetes rechnen“, erklärte Fritsche.
3 Merkmale des Risiko-Phänotyps
Gesondert betrachtet werden müssen aber die Patienten, die nicht oder nur schlecht auf Lebensstil-Änderungen ansprechen. Wie dieser Risiko-Phänotyp charakterisiert ist, zeigen Langzeitdaten der 2007 durchgeführten TULIP-Studie (Tübinger Lebensstil-Interventions-Programm). In TULIP erhielten 413 Menschen mit familiärem Diabetesrisiko aber zum großen Teil noch normaler Glukosetoleranz eine klassische Lebensstilberatung (fettarm, ballaststoffreich, mindestens 3 Stunden Bewegung pro Woche; Gewichtsabnahme um mindestens 5% des Ausgangsgewichts) und wurden über einen langen Zeitraum nachbeobachtet. Nach 8 Jahren verglichen Fritsche und Kollegen die Ergebnisse und die Patientencharakteristika.
„Interessanterweise war die Gewichtsabnahme bei den Respondern und bei den Non-Respondern ähnlich“, sagte er. Während jedoch die Responder ihren Blutzucker um bis zu 15% senken konnten, gelang dies den Non-Respondern kaum oder gar nicht. Fritsche und Kollegen screenten diejenigen, bei denen sich die Glukosewerte nicht gebessert hatten und fanden 3 entscheidende Unterschiede:
eine gestörte Insulinsekretion,
eine eingeschränkte Insulinsensitivität
und eine Fettleber.
„Von den Patienten, die zu Beginn von TULIP eine gute Insulinsekretion hatten, hat keiner einen Diabetes entwickelt. Diejenigen aber, die eine schlechte Insulinsekretion hatten, entwickelten häufiger einen Diabetes.“ Ähnlich verhielt es sich bei Patienten mit Fettleber. Patienten ohne Fettleber entwickelten weniger häufig einen Diabetes als Patienten mit Fettleber.
Neben diesen 3 hauptsächlichen Komponenten beeinflussten viszerales Fett, Fitness, Fetuin, Adiponektin und genetische Faktoren geringfügig den Phänotyp. Nicht assoziiert mit der Non-Response in punkto Blutzucker waren dagegen Body-Mass-Index, Alter und Geschlecht.
Erste Ergebnisse der Prädiabetes-Lebensstil-Interventionsstudie
In der Prädiabetes-Lebensstil-Interventionsstudie PLIS untersuchten Fritsche und Kollegen nun, ob dieser Risiko-Phänotyp von besonders intensiven Lebensstil-Interventionen profitieren kann. Eingeschlossen wurden 1.000 prädiabetische Patienten (IFG und/oder IGT). Bei 201 Probanden handelte es sich um Menschen mit niedrigem Risiko (keine reduzierte Insulin-Sekretion, keine Insulin-Resistenz, kein erhöhtes Leberfett), die anderen 707 Probanden waren Hoch-Risiko-Teilnehmer (reduzierte Insulin-Sekretion, Insulin-Resistenz, erhöhtes Leberfett).
Beide Risiko-Gruppen wurden randomisiert auf entweder Lebensstil-Interventionen oder keine Intervention. Während in der Niedrig-Risiko-Gruppe 101 Teilnehmer keine Lebensstil-Intervention erhielten, sollten die restlichen 100 sich 3 Stunden pro Woche bewegen und hatten 8 Beratungstermine über das Jahr. In der Hochrisiko-Gruppe erhielten 351 Patienten konventionelle Lebensstil-Interventionen (3 Std. Bewegung pro Woche) und 356 intensive Interventionen (6 Std. Bewegung pro Woche, 16 Beratungstermine über das Jahr).
„Zwar ist der primäre Endpunkt – die Verhinderung eines Diabetes – noch nicht ausgewertet, doch der Endpunkt ‚Erreichen einer normalen Glukosetoleranz‘, lässt schon Aussagen zu“, berichtete Fritsche.
Insgesamt schnitten die Niedrigrisiko-Probanden mit Lebensstil-Intervention erwartungsgemäß am besten ab. Von ihnen wiesen nach einem Jahr die wenigsten noch einen Prädiabetes auf. Am schlechtesten schnitten – bei gleicher Lebensstilintervention – die Hochrisiko-Patienten ab.
Aber: „Deutlich besser schnitten die Hochrisiko-Patienten mit intensiver Lebensstil-Intervention ab. Dennoch schaffen wir es bei den Hochrisiko-Patienten nicht, sie alle durch Lebensstil-Interventionen in eine normale Glukosetoleranz zu bekommen“, berichtete Fritsche. Sein Fazit: „Wir sollten uns bei Lebensstil-Interventionen auf die Hochrisiko-Patienten konzentrieren.“
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Im Schweiße ihres Angesichts: Bei hohem Typ-2-Diabetesrisiko lässt sich mit intensivem Sport durchaus etwas erreichen - Medscape - 23. Nov 2017.
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