Anaheim – Die USA haben eine neue Hochdruck-Leitlinie – und haben darin die arterielle Hypertonie neu definiert. Ab einem Blutdruck von 130/80 mmHg wird man in USA nun als Hypertoniker Grad 1 klassifiziert, ab einem systolischen Blutdruck von 140 mmHg beginnt bereits die Hypertonie Grad 2.
Vorgestellt wurde die neue „Guideline on Detection, Prevention, Management and Treatment of High Blood Pressure” der American Heart Association (AHA) und des American College of Cardiology (ACC) beim diesjährigen AHA-Kongress in Anaheim, Kalifornien. Die Leitlinie ersetzt die letzte aus dem Jahr 2013, in der eine arterielle Hypertonie Grad 1 noch bei einem Blutdruck von 140/90 mmHg begonnen hatte.
Wie der Vorsitzende des Leitlinien-Komitees Prof. Dr. Paul K. Whelton, Tulane Universität, New Orleans, bei der Präsentation erläuterte, trägt die neue Definition aktuellen Erkenntnissen, unter anderem – aber nicht nur – aus der SPRINT-Studie, Rechnung: „Alle diese Daten geben uns die gleiche Antwort: ‚The lower, the better‘ gilt auch beim Blutdruck.“ Bekanntlich hatten in der großen US-Studie SPRINT Patienten mit einem Blutdruckziel von 120 mmHg eine signifikant bessere Prognose gehabt als solche mit dem bisher gültigen Zielwert von 140 mmHg.
Das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen sei bereits im Bereich zwischen 130-139/80-89 mmHg verdoppelt im Vergleich zu einem „normalen“ Blutdruck von bis zu 120/80 mmHg, sagte Whelton. „Wir wollen offen mit den Menschen sein“, wird er in einer Mitteilung der AHA zitiert, „über eine Verdopplung des Risikos sollten die Patienten Bescheid wissen“. Und es müsse ihnen die Möglichkeit gegeben werden, bereits hier zu intervenieren.
Fast jeder 2. US-Bürger ist nach der neuen Definition Hypertoniker
Für die Krankheitslast in der Bevölkerung hat die Neu-Definition einige Konsequenzen. Nach Berechnungen in einer zeitgleich in Circulation erschienenen Publikation bedeutet die neue Klassifikation, dass die Prävalenz der diagnostizierten Hypertoniker in den USA um rund 14% steigen wird, erläuterte der Co-Autor der Leitlinie Prof. Dr. Robert M. Carey, School of Medicine, University of Virginia, auf der Pressekonferenz.
Schon jetzt ist etwa jeder 3. US-Bürger (32%) hyperton. Nach der neuen Definition werden es sogar 46% der Bevölkerung sein. Am stärksten wird die Prävalenz bei den Jüngeren steigen, bei den unter 45-jährigen Männern wird sie sich laut der Berechnungen verdreifachen, bei den unter 45-jährigen Frauen verdoppeln. Doch nicht für alle diese neu definierten Hochdruckkranken sei auch eine medikamentöse Therapie indiziert, beruhigte Carey.
Die Neu-Klassifikation im Detail:
Bis zu einem systolischen Wert von 120 mmHg gilt der Blutdruck unverändert als „normal”.
Der Bereich zwischen 120 und 130 mmHg, früher als „Prähypertonie” bezeichnet, gilt jetzt als „erhöhter Blutdruck”.
Bei systolischen Werten zwischen 130 und 139 mmHg besteht jetzt eine Hypertonie Grad 1. Der Begriff „Prähypertonie“, der früher auch hier galt, fällt in der neuen Leitlinie ganz weg.
Ab Werten von 140 mmHg liegt eine Hypertonie Grad 2 vor – früher war dies erst ab 160 mmHg der Fall.
Bereits bei einem „erhöhten Blutdruck” empfiehlt die neue Leitlinie zu intervenieren – zunächst mit Lebensstil-Modifikationen. Dazu gehören laut Whelton
Gewichtsabnahme, am besten mittels der in USA speziell für Hypertoniker propagierten DASH-(Dietary Approaches to Stop Hypertension)-Diät,
eine Reduktion der Natrium-Aufnahme am besten auf unter 1,5 g pro Tag,
eine (diätische) Erhöhung der Kalium-Aufnahme auf 3,5 g pro Tag,
90 bis 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche und
eine Alkoholrestriktion für Männer auf 2 Drinks pro Tag und für Frauen auf einen Drink pro Tag.
Auch mit einem systolischen Blutdruck über 130 mmHg ist nicht jeder Hypertoniker laut der neuen Leitlinie gleich ein Fall für die medikamentöse Blutdrucksenkung. Antihypertensiva gelten für diejenigen in der Sekundärprävention und Patienten, die laut Risikokalkulator ein hohes kardiovaskuläres Risiko haben, ab 130 mmHg als indiziert.
Bei niedrigerem Risiko kann auch hier zunächst mit Lebensstil-Maßnahmen versucht werden, den Blutdruck zu senken, erläuterte Whelton: „Der Lebensstil als Eckpfeiler der antihypertensiven Therapie wird in der neuen Leitlinie stärker betont.“ Nach Schätzungen reiche bei 70% der nun neu definierten Hypertoniker eine Lebensstil-Änderung aus, rund 30% – so wird erwartet – werden zusätzlich auch noch antihypertensive Medikamente benötigen.
Der neue Grenzwert ist ein Kompromiss
Mit der Definition hat sich natürlich auch das Therapieziel geändert: Es liegt jetzt dementsprechend bei einem Blutdruck unter 130/80 mmHg; kann jedoch bei älteren, multimorbiden Patienten individuell angepasst werden.
Der neue Grenzwert von 130/80 mmHg ist ein Kompromiss, erläuterte Carey. Denn eigentlich hatte die SPRINT-Studie ja die Überlegenheit eines Ziels von 120 im Vergleich zu 140 mmHg belegt. Doch war die Studie unter anderem auch wegen der Methodik der Blutdruck-Messung kritisiert worden. Diese war automatisiert in der Arzt-Praxis, aber in der Regel ohne Anwesenheit des Arztes erfolgt. In einem solchen Setting werden in der Regel deutlich niedrigere Werte (um bis zu 10 mmHg) im Vergleich zum üblichen Vorgehen in der Praxis gemessen. Auch mögliche Nebenwirkungen einer zu starken Blutdrucksenkung seien berücksichtigt worden. „Es ist ein guter Kompromiss zwischen Sicherheit und Benefit“, so Carey.
„Wir fühlen uns wohl mit diesem Kompromiss“, bestätigte Whelton: „Eine nationale Guideline muss für alle passen. Und das Ziel von 130/80 mmHg ist gut gedeckt durch die Evidenz.
Für die neuen Nationalen Hochdruck-Leitlinien der AHA/ACC sind nahezu 1.000 Studien reviewed worden, berichtete Whelton. 3 Jahre dauerte die Entwicklung der Guidelines, rund 1.000 Kommentare bzw. Fragen wurden abgearbeitet, 11 Partner-Organisationen haben die neuen Leitlinien schließlich bestätigt. Die Leitlinie wurde zeitgleich zur Vorstellung auf dem Kongress in der Zeitschrift Hypertension publiziert.
Übrigens hat die Deutsche Hochdruckliga (DHL) erst Mitte September ebenfalls neue Empfehlungen veröffentlicht. Die DHL hatte aber an den moderaten Blutdruckzielen festgehalten. Sie empfiehlt weiterhin einen generellen Zielwert von 140/90 mmHg und für kardiovaskuläre Risikopatienten 135/85 mmHg.
REFERENZEN:
1. American Heart Association (AHA) Scientific Sessions 2017, 11. bis 15. November 2017, Anaheim, USA
2. Whelton PK, et al: Hypertension (online) 13. November 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Plötzlich Hypertoniker – neue US-Leitlinie senkt Grenzwert auf 130/80 und macht jeden Zweiten zum Hochdruckkranken - Medscape - 14. Nov 2017.
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