Enttäuschte Hoffnungen in PRESERVE: Definitiv kein Nierenschutz durch Bicarbonat und ACC bei Angiographien

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

13. November 2017

Anaheim – Wir sind in Deutschland nach wie vor sehr eifrig, wenn es um Angiographien geht: Laut Herzbericht werden hierzulande jährlich rund 900.000 Herzkatheter-Untersuchungen gemacht – viele davon naturgemäß bei älteren Patienten und solchen mit eingeschränkter Nierenfunktion. Aber gerade bei diesen besteht die Gefahr, durch das applizierte Kontrastmittel die Nieren akut noch mehr zu schädigen.

Um das Risiko für eine Kontrastmittel-assoziierte Nephropathie zu reduzieren, gibt es verschiedene Strategien. Verbreitet sind etwa die intravenöse Gabe einer 1,26%igen Natrium-Bicarbonat-Lösung zur Alkalisierung oder auch die orale Gabe von 1.200 mg Acetylcystein (ACC) als Antioxidans. Allerdings gibt es für beide Ansätze widersprüchliche Daten, die mal einen Nutzen gezeigt haben, mal aber auch nicht. Insgesamt war bislang die Datenlage uneinheitlich, die vorliegenden Studien waren zu klein.

Dies zu ändern, sind nun die Autoren der PRESERVE-Studie angetreten. Die Ergebnisse hat Prof. Dr. Steven D. Weisbord vom Veterans Affairs Pittsburgh Healthcare System jetzt bei einem Late-Breaker-Symposium auf der Jahrestagung der American Heart Association (AHA) in Anaheim vorgestellt. [1] Zeitgleich wurden die Ergebnisse im New England Journal of Medicine veröffentlicht. [2]

Die PRESERVE-Autoren haben beide Präventionsstrategien in einem 2x2-faktoriellen Design randomisiert bei Patienten mit hohem Nephropathie-Risiko getestet. Alle Teilnehmer waren für eine Angiographie vorgesehen und erhielten randomisiert entweder

  • zur Röntgenuntersuchung i.v. Natrium-Bicarbonat- oder isotonische Kochsalzlösung

  • oder oral über 5 Tage entweder ACC oder Placebo.

Die Studie sollte endlich eine definitive Antwort geben, wie sich diese Patienten am besten vor einer akuten Nierenschädigung bewahren lassen. Der primäre Studienendpunkt war eine Kombination von Tod, Dialysepflicht oder ein persistierender Anstieg des Serumkreatinins um mindestens 50% nach 90 Tagen.

Weder Bicarbonat noch ACC schützen vor Nephropathie

Es fand sich auch eine definitive Antwort. Doch fiel die anders aus, als von vielen erhofft bzw. erwartet: Die vom US-amerikanischen Department of Veterans Affairs Office für Forschung und Entwicklung und dem australischen National Health and Medical Research Council gesponserte Studie wurde nämlich vorzeitig beendet, nachdem rund 5.000 Patienten randomisiert waren (geplant waren 7.680). Denn die Sponsoren sahen keine Chance mehr, dass sie zu einem positiven Ergebnis führen könnte.

 
Natrium-Bicarbonat-Lösung ist nicht besser als isotonische Kochsalzlösung, um akute Nierenschädigungen nach Angiographien zu verhindern – und auch ACC ist nicht wirksam. Prof. Dr. Steven Weisbord
 

Tatsächlich zeigte die Analyse der Daten der ersten knapp 5.000 Teilnehmer, dass weder die Alkalisierung mit Bicarbonat noch der Radikalfänger ACC irgendeinen Effekt auf die Häufigkeit des primären Endpunktes hatten. Dieser trat bei 111 von 2.511 Patienten unter Bicarbonat auf und bei 116 von 2.497, die Kochsalzlösung erhalten hatten (4,4 vs 4,7%; Odds Ratio 0,93; 95% KI 0,78-1,33; p = 0,88).

Ähnlich beim Acetylcystein: Hier betrug die Rate des primären Endpunktes 4,6%; unter Placebo lag sie bei 4,5% (114 Fälle auf 2.495 Patienten und 112 Fälle auf 2.498 Patienten; OR 1,02).

Dementsprechend unterschied sich die Rate an akuten Nierenschädigungen in keiner der getesteten Gruppen – dies auch nicht in den präspezifizierten Subgruppen. Die Teilnehmer waren übrigens zu über 80% Diabetiker, das mediane Serumkreatinin lag bei 1,5 mg/dl und die mediane eGFR bei rund 50 ml/min; zu über 90% handelte es sich um Koronarangiographien, die die Patienten erhielten.

Das Statement von Studienleiter Weisbord lautete dementsprechend: „Natrium-Bicarbonat-Lösung ist nicht besser als isotonische Kochsalzlösung, um akute Nierenschädigungen nach Angiographien zu verhindern – und auch ACC ist in dieser Hinsicht nicht wirksam. Deshalb sollte aufgrund der aktuellen Datenlage, um das Risiko für akute Nierenschäden nach Koronarangiographien gering zu halten, nur i.v. isotonische Kochsalzlösung und auch kein ACC gegeben werden.“

„Wichtig sind die Ergebnisse, weil sie Unsicherheiten beseitigt haben“

In ihrer Kommentierung der Studie betonte Dr. Nuria M. Pastor i Soler vom Kidney Research Center der University of California (UCLA) die Bedeutung der Studie für die Praxis. Endlich gebe es umfassende Daten aus einer großen randomisierten Studie zu diesem relativ häufigen Alltagsproblem. Sie bemängelte aber auch, dass die Untersuchung vor allem männliche Teilnehmer hatte. Es fehlten noch Daten zu Frauen – und auch eine noch längerfristige Nachbeobachtung wünschte sie sich. Eine weitere Limitation sieht sie im vorzeitigen Ende der Studie.

 
Die Flüssigkeitsversorgung mit isotonischer Kochsalzlösung bleibt wichtig! Dr. Nuria M. Pastor i Soler
 

„Wichtig sind die Ergebnisse, weil sie Unsicherheiten beseitigt haben“, sagte Pastor i Soler: „Weder die Alkalisierung, noch die Applikation eines Antioxidans bringen etwas.“ Die Studie, so die Nephrologin weiter, werde die Praxis ändern. „Denn aufgrund der bisherigen Hinweise, dass die beiden Strategien präventiv wirksam sein könnten, wurden sie in der Klinik oft eingesetzt. Jetzt wissen wir definitiv, es bringt nichts. Aber: Die Flüssigkeitsversorgung mit isotonischer Kochsalzlösung bleibt wichtig!“, betonte die Expertin.



REFERENZEN:

1. American Heart Association (AHA) Scientific Sessions 2017, 11. bis 15. November 2017, Anaheim

2. Weisbord S, et al: NEJM 2017 online publiziert am 12. November 2017

Kommentar

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