Bei KHK-Patienten mit Mehrgefäßerkrankung und akutem Herzinfarkt mit kardiogenem Schock sollte zunächst nur die für das akute Koronarsyndrom verantwortliche Läsion behandelt werden. Im Vergleich zu einer vollständigen Revaskularisierung war eine perkutane Koronarintervention (PCI) ausschließlich des Infarktgefäßes mit einer geringeren Sterblichkeit assoziiert, so das Fazit einer randomisierten Studie des Herzzentrums Leipzig [1].
Prof. Dr. Peter Radke, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Kardiologie der Schön Klinik Neustadt, bezeichnet das Ergebnis der Untersuchung als „beeindruckend“: „Die Sterblichkeitsreduktion in der Gruppe, in der nur die Zielläsion behandelt wurde, betrug absolut 8,3 Prozent. Es mussten nur 12 Patienten behandelt werden, um einem Patienten das Leben zu retten. Es gibt nur wenige interventionelle Therapien, die eine so niedrige Number-needed-to-treat haben“, betonte er im Gespräch mit Medscape.
Weniger Gefäße behandelt – geringere Mortalität
An der multizentrischen CULPRIT-SHOCK-Studie unter Leitung von Prof. Dr. Holger Thiele vom Herzzentrum Leipzig nahmen 706 Patienten mit Mehrgefäßerkrankung, akutem Herzinfarkt und kardiogenem Schock teil.
Sie wurden randomisiert einer von 2 Revaskularisierungsstrategien zugeteilt: PCI nur der Zielläsion (Culprit Lesion), mit der Option danach noch Schritt für Schritt die anderen Läsionen zu behandeln, oder sofortige vollständige Revaskularisierung aller betroffenen Gefäße.
Nach 30 Tagen hatten in der Gruppe, in der nur die Zielläsion behandelt worden war, 45,9% der Patienten den kombinierten primären Endpunkt aus Tod oder Nierenversagen bzw. Nierenersatztherapie erreicht. In der Gruppe mit kompletter Revaskularisierung waren es mit 55,4% signifikant mehr. Auch die Sterberate war in der Gruppe, die eine PCI nur der Zielläsion erhalten hatte, signifikant geringer als in der Gruppe mit Mehrgefäßrevaskularisierung: 43,3 versus 51,6%.
Weitere signifikante Unterschiede, etwa im Hinblick auf die Zeit bis zur hämodynamischen Stabilisierung, das Risiko für eine Katecholamintherapie und die Dauer dieser Therapie, die Konzentrationen an Troponin T und Kreatinkinase sowie die Schlaganfallraten waren nicht zu beobachten.
Auch die Raten an Nierenversagen und Blutungsereignissen unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Gruppen, Radke weist aber darauf hin, dass sie in der Gruppe mit Revaskularisierung nur eines Gefäßes nominell zumindest niedriger gewesen seien.
Warum schadet eine umfangreiche Revaskularisierung ?
Eine PCI der Zielläsion sei die Standardtherapie bei KHK-Patienten mit akutem Herzinfarkt und kardiogenem Schock, schreiben Thiele und seine Kollegen. Dies gilt nun seit bereits 20 Jahren. Damals legten die Ergebnisse der SHOCK-Studie eindeutig fest, dass die Patienten von einer sofortigen Revaskularisierung mehr profitieren als von einer zunächst konservativen Behandlung. Diskutiert wurde aber, ob man nur das die akute Erkrankung auslösende Gefäß behandeln oder gleich alle betroffenen Gefäße von Plaque befreien sollte.
Einige Leitlinien empfehlen die vollständige Revaskularisierung. „Bei einem Herz im Schock möchte man, dass es bestmöglich perfundiert wird, damit auch die Funktion bestmöglich wiederhergestellt werden kann“, erklärt Radke. Man ging davon aus, dass eine vollständige Revaskularisierung dabei hilft, die Ventrikelfunktion und den hämodynamischen Status zu verbessern“, schreiben Thiele und seine Koautoren. „Nach den Daten dieser Studie ist nun klar, dass dies keinen Benefit im Hinblick auf das Überleben hat und dass man sich bei diesen Patienten zunächst auf die Zielläsion fokussieren sollte“, sagt Radke.
Aber weshalb profitieren die Patienten nicht von einer vollständigen Revaskularisierung? Für klinisch stabile Patienten mit akutem Herzinfarkt ohne kardiogenen Schock scheint eine Mehrgefäß-PCI Studien zufolge vorteilhaft zu sein.
Prof. Dr. Judith S. Hochman, Erstautorin der 1999 veröffentlichten SHOCK-Studie, vermutet in einem Editorial [2]: „Patienten mit kardiogenem Schock haben bei komplexen Mehrgefäßverfahren möglicherweise ein erhöhtes Risiko für negative Outcomes.“ Und auch Thiele und seine Kollegen schreiben: „Die längere Dauer der PCI bei vollständiger Revaskularisierung könnte zu einem Zeitpunkt, zu dem der Patient hämodynamisch beeinträchtigt ist, riskant sein.“
„Der kardiogene Schock ist eine Erkrankung, die nicht nur mit einer schlechteren Pumpfunktion und einem niedrigeren Blutdruck assoziiert ist. Es ist letztendlich eine systemische Erkrankung, ein Zustand erhöhter Inflammation und erhöhter Koagulation“, erklärt Radke. „Dieses Schockumfeld führt offenbar zu einer deutlichen Risikoerhöhung durch ausgeweitete Interventionen bzw. verlängerte Untersuchungszeiten.“
Mortalität so hoch wie vor 20 Jahren
Künftige Verbesserungen der PCI-Technik und des Managements rund um den Eingriff könnten das mit Mehrgefäß-Revaskularisierungen assoziierte Risiko für Komplikationen bei Patienten mit kardiogenem Schock reduzieren, schreibt Hochman. Aber „zu einer Überlegenheit der Mehrgefäß-PCI gegenüber der Zielgefäß-PCI wird das wahrscheinlich nicht führen“, betont sie.
Doch neue Strategien zur drastischen Reduktion der Mortalität in dieser Patientenpopulation sind dringend notwendig: „Trotz großer Fortschritte der PCI-Technik und der antithrombotischen Therapie in den knapp 20 Jahren, die zwischen der SHOCK-Studie und der CULPRIT-SHOCK-Studie liegen, ist die 30-Tage-Mortalität mit etwa 45 Prozent bei den Patienten mit Zielläsion-PCI praktisch identisch geblieben“, so Hochman.
„Fast jeder zweite Patient dieses kritischen Patientenkollektivs stirbt innerhalb von 30 Tagen“, betont Radke. „Mit einer Verbesserung der PCI-Techniken wird sich da nicht viel erreichen lassen“, bestätigt er. “Es geht nun darum, Möglichkeiten zu finden, die Kaskade des kardiogenen Schocks zu durchbrechen.“ Er stimmt Hochman zu, die schreibt, dass „weitere Studien notwendig sind, um Strategien zu testen, die die Mortalität weiter reduzieren könnten“.
Alternative Behandlungsoptionen testen
Eine alternative Methode zur Mehrgefäßrevaskularisierung, die beim kardiogenen Schock selten zur Anwendung komme, sei die koronare Bypassoperation, schreibt Hochman. Wird diese Behandlungsmöglichkeit unterschätzt? In der SHOCK-Studie hatten Patienten mit schwerer Mehrgefäßerkrankung oder Erkrankung der linken Hauptkoronararterie, die der Gruppe mit früher Revaskularisierung zugeteilt worden waren, notfallmäßig direkt eine koronare Bypassoperation bekommen.
Und obwohl die Patienten mit Koronarbypass deutlich kränker waren – häufiger Mehrgefäßerkrankungen, doppelt so häufig Diabetes – unterschied sich ihre Überlebensrate nicht signifikant von den Patienten mit PCI-Revaskularisierung nur der Zielläsion.
„Man darf nicht aus dem Auge verlieren, dass es noch alternative Behandlungsformen gibt“, betont Radke. „Dies gelte insbesondere, wenn Patienten in Kliniken eingeliefert werden, in denen es eine Herzchirurgie gibt und die Möglichkeit einer zeitnahen koronaren Bypassoperation besteht.“
Außerdem seien Studien notwendig, die den Effekt von Herzunterstützungssystemen untersuchten. „Eine Studie, ebenfalls unter Federführung von Thiele, zeigte, dass etwa eine intraaortale Ballonpumpe beim kardiogenen Schock keinen Vorteil bringt. Doch es gibt viel effektivere Herzunterstützungssysteme, z.B. ECMO, für die wir randomisierte Studien bräuchten.“
Bis weitere Daten zu alternativen Behandlungsmöglichkeiten vorliegen, sollte „auch bei Behandlung nur einer Läsion auf eine möglichst kurze Prozedurdauer sowie eine so geringe Kontrastmittelmenge wie möglich geachtet werden“, rät Radke.
REFERENZEN:
1. Thiele H, et al: NEJM (online) 30. Oktober 2017
2. Hochman J, et al: NEJM (online) 30. Oktober 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Weniger ist mehr! Bei Herzinfarkt mit kardiogenem Schock überleben mehr Patienten bei ausschließlicher PCI der Zielläsion - Medscape - 9. Nov 2017.
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