
Prof. Dr. Bernd Kladny
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Berlin – Bei der Mehrzahl der Patienten mit Rückenschmerzen lautet die Diagnose „nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ – in der Regel ohne erkennbare organische Ursache. Die hierzu vorliegende nationale Versorgungsleitlinie gibt es seit diesem Jahr in neuer Auflage. Sie berücksichtigt aktuelle Erkenntnisse aus Forschung und Versorgung. Die wesentlichen Inhalte und Neuerungen stellte Prof. Dr. Bernd Kladny, Herzogenaurach, bei einer Pressekonferenz zum Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin vor [1]. Nach seiner Schätzung sind 70 bis 90% aller Kreuzschmerzen als nicht-spezifisch einzuordnen.
Zu den wichtigsten und neuen Empfehlungen der Leitlinien-Neuauflage Nicht-spezifischer Kreuzschmerz gehören laut Ärztlichem Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ):
1. Diagnostik zurückhaltend einsetzen, mehrfache Bildgebung vermeiden
Ergeben Anamnese und körperliche Untersuchung keinen Verdacht auf gefährliche Ursachen wie etwa Frakturen oder Infektionen, soll keine weitere Diagnostik eingesetzt werden. „Studien belegen“, so Kladny, „dass in der frühen Phase von Kreuzschmerzen gemachte Röntgen- oder MRT-Aufnahmen für den weiteren Verlauf ohne nützliche Konsequenzen sind, sondern unter Umständen beim Patienten sogar eine Chronifizierung begünstigen können.“
Wenn allerdings nach 4 bis 6 Wochen trotz leitliniengerechter Therapie keine Besserung der Beschwerden eintritt und die Schmerzen den Patienten im Alltag behindern, soll der Einsatz bildgebender Verfahren geprüft werden. Ändert sich das klinische Beschwerdebild nicht, ist danach keine erneute Bildgebung nötig.
2. Frühzeitig psychosoziale Faktoren beachten
Nach 4 Wochen Schmerzdauer und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie sollen Belastungen im persönlichen Umfeld des Patienten, Schwierigkeiten mit der Familie oder dem Arbeitsplatz erfragt und berücksichtigt werden, um eine Chronifizierung möglichst zu vermeiden.
Psychosoziale und Arbeitsplatz-bezogene Faktoren sollen dann mit standardisierten Fragebögen erhoben werden. Dafür liegen aktuell die Instrumente STarT Back Tool (SBT), Örebro Musculoskeletal Pain Screening Questionnaire (ÖMPSQ), Heidelberger Kurzfragebogen (HKF-R 10), Risikoanalyse der Schmerzchronifizierung (RISC-R) und Work Ability Index (WAI) vor, die national wie international Anwendung finden. Diese Fragebögen sind ebenfalls auf der Leitlinien-Internetseite zu finden.
3. Bewegung statt Bettruhe
Ärzte sollen Patienten zur Beibehaltung von körperlicher Aktivität auffordern und von Bettruhe abraten. „Denn wenn sich Muskulatur abbaut, wird es mit Kreuzschmerz noch schlimmer“, betonte Kladny. „Dem Patienten ist als Botschaft zu vermitteln“, so der Orthopäde und Unfallchirurg im Gespräch mit Medscape, „dass jede Form von Bewegung gut ist.“
Besonders günstig für den Rücken bzw. zur Stabilisierung der Rumpfmuskulatur seien dabei gleichförmige Bewegungen, wie sie etwa beim Nordic Walking, Fahrradfahren oder Schwimmen stattfinden. „Der Patient sollte sich etwas heraussuchen, was ihm Spaß macht, denn er soll die Bewegung ja lebensbegleitend durchführen.“
4. Schmerzmittel: So viel wie nötig, so wenig wie möglich
Schmerzlindernde Medikamente können die Behandlung von Kreuzschmerzen unterstützen. Denn sie können Patienten dabei helfen, wieder in Bewegung zu kommen. Wichtig: Das im Einzelfall am besten passende Medikament aussuchen und so kurz und in so geringer Dosierung wie möglich anwenden.
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) sind die am ehesten empfohlenen Schmerzmittel. Neu: Unter strikten Auflagen wird der Anwendungsbereich für Opioide und Metamizol leicht erweitert. Die Anwendung von Paracetamol, zentralen Muskelrelaxanzien sowie Antidepressiva wird dagegen eingeschränkt.
5. Massagen, Akupunktur & Co
Es gilt: Alles, was Passivität fördert, soll nicht oder nur in Verbindung mit aktivierenden Maßnahmen eingesetzt werden. Bewegungstherapien können bei akuten und sollen bei länger andauernden Kreuzschmerzen eingesetzt werden.
„Passive Therapien wie Massagen machen den Patienten zum Behandelten, gegen den Kreuzschmerz sollte er aber eben in erster Linie selbst handelnd tätig werden“, sagte Kladny. Prinzipiell spreche jedoch nichts dagegen, bei chronischen nicht-spezifischen Kreuzschmerzen bewegungstherapeutische Programme etwa durch Massagen zu ergänzen.
6. Chronische Schmerzen multidisziplinär behandeln
Bessern sich Kreuzschmerzen nach einigen Wochen nicht und drohen chronisch zu werden, soll die weitere Therapie multidisziplinär geplant werden: Halten die Schmerzen länger als 6 Wochen an bzw. bleiben weniger intensive Therapieverfahren ohne Erfolg, soll Patienten eine multimodale Therapie angeboten werden, die Schmerz-, Psycho- und Bewegungstherapien kombiniert.
7. Versorgung optimal koordinieren
Eine neue Empfehlung weist auf die zentrale Bedeutung eines Entlassungsberichts nach einem multimodalen Programm hin. Konkrete Nachsorgeempfehlungen und die weitere Behandlung sollen mit dem koordinierenden Arzt besprochen werden, um die erreichten Therapieergebnisse in den Alltag zu überführen.
Zum Kreuzschmerz gibt es ebenfalls eine Patienten-Leitlinie. Die 1. Auflage ist von 2013, sie wird derzeit überarbeitet und soll in Kürze entsprechend der Versorgungs-Leitlinie neu erscheinen.
REFERENZEN:
1. Pressekonferenz zum Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), 24. Oktober 2017, Berlin
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Diesen Artikel so zitieren: Neue Versorgungsleitlinie „nicht-spezifischer Kreuzschmerz“: 7 zentrale Empfehlungen von der Diagnose bis zur Nachsorge - Medscape - 3. Nov 2017.
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