San Francisco – Ärzte und andere im Gesundheitssystem Tätige können ein einfaches Instrument gegen Burnout nutzen, das bereits wenige Tage nach Beginn der Intervention zu einem Rückgang der Symptomatik führt, der größtenteils auch nach einem Jahr noch feststellbar ist. Dies berichteten Wissenschaftler bei der American Conference on Physician Health 2017 [1].
Die Intervention nennt sich „3 schöne Dinge“ und basiert auf der Stärkung der Fähigkeit, positive Emotionen zu erleben und auszukosten, so Dr. J. Bryan Sexton, Direktor des Duke University Health System Patient Safety Center an der Duke University School of Medicine in Durham, North Carolina, USA.
Das Standard-Messinstrument bei Burnout ist der Maslach Burnout Inventory, der 3 Dimensionen untersucht: emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung und reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit. Interventionen, die bei Burnout erfolgreich zu sein scheinen, hätten offenbar alle etwas gemeinsam, sagte Sexton: „Sie alle steigern scheinbar die Fähigkeit einer Person, positive Emotionen zu erleben.“
Der Blick für das Positive geht verloren
„Die Realität eines Menschen wird durch seinen Fokus bestimmt“, sagte Sexton. Um dies zu untermalen, demonstrierte er eine Lungen-CT-Aufnahme mit weißen Knoten. Die schwarzen Umrisse ließen die Form eines Gorillas erkennen. „Zeigen Sie das Bild mal einem Raum voller Radiologen. 83% von ihnen werden den Gorilla nicht registrieren: Der Job eines Radiologen besteht darin, nach weißen Knoten im Lungen-CT zu suchen. Wenn man darauf trainiert wurde, nur das Weiße zu beurteilen, schenkt man dem Dunklen keine besondere Aufmerksamkeit mehr.“
„Ganz ähnlich ist es mit dem Gefühl, das Ihre Wahrnehmung beeinflusst“, fuhr er fort. „Ganz oft, wenn wir uns leer und ausgebrannt fühlen, vergessen wir, dass sich dadurch verändert, was wir wahrnehmen, und achten nicht mehr auf die übrige Welt um uns herum.“
So würden sich etwa Personen, die sich gestresst oder ausgebrannt fühlen, bei einer Reihe positiver, neutraler und negativer Bilder mit „erstaunlicher Detailtreue an das erinnern, was auf den negativen Bildern zu sehen ist, wo hingegen sie keine Fakten von den positiven oder neutralen Bildern zu berichten wissen“, sagte er. Bei Einsatz eines Blickverfolgungssystems unter den Freiwilligen zeigte sich, dass sie bei den Bildern die positiven oder neutralen Inhalte einfach nicht aufnehmen.
Aus evolutionsbiologischer Sicht möge das auch sinnvoll sein, erklärte Sexton weiter. „Wenn Sie auf der Flucht vor einem Säbelzahntiger sind, achten Sie vielleicht darauf, wer Sie noch gerne zum Mittagessen hätte oder was Ihnen bei er Flucht im Weg ist, aber Sie werden wohl nicht innehalten und einen schönen Regenbogen bewundern. Für das Überleben unserer Art ist das auch gut so, doch für das individuelle Wohlbefinden und Glück ist das verheerend.“
Ausgehend von diesem psychologischen Erklärungsansatz schlug Sexton eine einfachere Definition für Burnout vor: „Burnout ist im Grunde die gestörte Fähigkeit zur Empfindung positiver Emotionen.“
„3 schöne Dinge“ gegen Burnout
Um dem entgegenzuwirken und Burnout zu lindern, testeten Sexton und sein Team ein einfaches Programm mit dem Namen „3 schöne Dinge“. Für die Untersuchung baten die Forscher jeden Freiwilligen darum, täglich vor dem Zubettgehen 3 schöne Dinge aufzuschreiben, die ihnen am Tage widerfahren waren, und ihnen eines von den 10 positiven Gefühlen zuzuordnen, die am ehesten bei einem Burnout beeinträchtigt sind: Freude, Dankbarkeit, Gelassenheit, Interesse, Hoffnung, Stolz, Vergnügen, Inspiration, Erstaunen und Liebe. Dabei kann es sich auch um scheinbare Kleinigkeiten wie eine lustige Fernsehsendung oder die mit Freunden verbrachte Zeit handeln.
„So verrückt es auch klingen mag, aber dadurch trainieren Sie Ihren ‚Muskel‘, der für die Wahrnehmung der guten Dinge in unserem Leben zuständig ist und Sie setzen damit den vielen anderen Dingen, die Ihr Gehirn immerzu drängen, sich auf die negativen Dinge zu konzentrieren, etwas entgegen.“
In einer Studie mit 148 Assistenzärzten der Inneren Medizin an der Duke University School of Medicine stellten die Untersucher einen Rückgang der Burnout-Symptomatik um 15% nach nur 2 Wochen fest, d.h. einem Rückgang von einem Ausgangswert von 65% auf 50% im Maslach Burnout Inventory nach der Intervention. Ein Jahr nachdem die Intervention geendet hatte, waren 48% der Personen noch leistungsfähig, was den Schluss nahelegt, dass die Intervention hinsichtlich des Burnout-Risikos einen nachhaltigen Effekt hat, berichtete Sexton.
Die Assistenzärzte klagten in den post-interventionellen Untersuchungen auch signifikant weniger über Depressionen, Verspätungen, Konflikte und berichteten von einer bessere Work-Life-Balance.
Das Team kam bei Angehörigen anderer Gesundheitsberufe zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Unter den Sicherheitsbediensteten der Klinik zeigte sich ein Rückgang des Burnout um 19%, was einem Absinken des Ausgangswertes im Maslach Burnout Inventory von 57% auf 38% nach der Intervention entsprach. Einen ganz ähnlichen Rückgang zeigte das Personal auf einer Neugeborenen-Intensivstation im Stanford University Hospital in Palo Alto mit 64% vor und 53% nach der Intervention.
„Der Schlüssel ist hier die sorgfältige Evaluation der persönlichen Situation und das Loslassen alter Emotionen, die nicht länger relevant sind. Dafür muss man Zugang zu den positiven Emotionen erlangen“, sagte Sexton. Zusammen mit seinem Team testete er unterschiedlich lange Interventionszeiträume, doch meistens gingen sie über 7 bis 14 Tage, wobei 10 Tage der entscheidende Zeitraum zu sein schien.
„Der Ressourcen-Einsatz und der Zeitaufwand sind zwar wirklich nicht hoch. Doch muss ich das jetzt für den Rest meines Lebens jeden Tag machen? Nein! 1 oder 2 Wochen jährlich und in den übrigen 50 oder 51 Wochen machen Sie etwas anderes.“
Positives bei der Arbeit hervorheben
Sexton merkte an, dass es andere Wege zur Verinnerlichung dieser Form von positiver Aufmerksamkeit während der Arbeitszeit im Gesundheitssektor gibt. In manchen Settings beispielsweise haben die Teilnehmer ihre 3 schönen Dinge mit anderen Teammitgliedern geteilt, entweder online oder einfach auf ein Stück Papier geschrieben und an das Schwarze Brett der Abteilung gepinnt. Das Teilen scheint den positiven Effekt zu verstärken.
Auch wenn Personen nicht bereit sind, speziell am „3-schöne-Dinge“-Projekt mitzumachen, können die Abteilungsleiter die Vorteile des Ansatzes auf andere Weise kultivieren, indem es z.B. feste Verabredungen gibt, darüber zu sprechen, was bei der Arbeit gut funktioniert und nicht nur zu schauen, was sich verbessern muss. Während der Sicherheits-Rundgänge an der Duke University School of Medicine sollten die Leiter sich erkundigen, was gut läuft und Wert darauf legen, diese Erfolge und die beteiligten Personen gezielt positiv hervorzuheben und zu „feiern“.
In einem Interview nach dem Vortrag sagte Dr. Beth Averbeck, Chefärztin der Allgemeinmedizin bei HealthPartners in Bloomington, Minnesota, dass die Erzeugung solcher positiver Eindrücke wichtig sei. „In unseren Ambulanzen leiten die Chefs der einzelnen Abteilungen ihre Meetings mit jemandem ein, der etwas Positives berichten kann“, erklärte sie gegenüber Medscape. „Wir haben unseren Klinikleitern das ‚3-schöne-Dinge‘-Projekt ans Herz gelegt, damit sie es weiterverbreiten können.“
Obwohl es noch keine spezifischen Daten zum Projekt gäbe, so Averbeck, existierten doch Hinweise, dass eine Betonung der positiven Dinge die Moral im Team steigere und den individuellen Burnout verringere. Aus Fragebögen ging etwa hervor, dass die Mitglieder in einem der Teams besonders glücklich bei der Arbeit waren. Als der Teamleiter dazu befragt wurde, was der Grund dafür sein könnte, stellten Averbeck und ihre Kollegen fest, dass das Team regelmäßig Fallberichte durchsprach, was zu einem stärkeren Gefühl der Sinnhaftigkeit und Zufriedenheit führte. Zudem feierten sie die Ferien, die für alle Teammitglieder besonders wichtig waren, was zu einem Gefühl der Zugehörigkeit und persönlichen Verbundenheit führte.
Sexton ist bewusst, dass der Aufbau der persönlichen Zuversicht nicht die einzige Antwort auf Burnouts im Klinikalltag sein kann, doch hat er vorteilhafte Aspekte, während die Einrichtungen sich den strukturellen Fragen zuwenden, die zum Burnout beitragen. In der Zwischenzeit werden er und sein Team weiterhin an dem „3-schöne-Dinge“-Modell arbeiten und untersuchen aktuell in einer groß angelegten Studie im Gesundheitswesen Tätige einschließlich Ärzten, Pflegekräften und weiteren Klinikmitarbeitern. Alle Interessierten finden Informationen hierzu auf der Website von Duke Medicine.
Der Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. American Conference on Physician Health 2017, 12. bis 13. Oktober 2017, San Francisco/USA
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Diesen Artikel so zitieren: „3 schöne Dinge“: Simple Methode gegen Burnout lindert Symptomatik bei Ärzten und Pflegepersonal nachhaltig - Medscape - 2. Nov 2017.
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