Einer von 6 Todesfällen weltweit geht auf die Folgen von Umweltverschmutzung zurück, 2015 waren das 9 Millionen Tote. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie der „Lancet Commission on pollution and health“, die jetzt in The Lancet publiziert worden ist [1].
Umweltverschmutzung ist damit führend unter den weltweiten Todesursachen und „tötet mehr Menschen als Krieg, Hunger, Malaria, AIDS oder Tuberkulose“, sagt Andrew McCator von der Umweltorganisation Pure Earth, die die Studie mitfinanziert hat, in einer begleitenden Dokumentation.
Dabei ist die Verschmutzung der Luft mit 6,5 Millionen Todesfällen am schädlichsten für die menschliche Gesundheit, die Verschmutzung von Wasser (1,8 Millionen Todesfälle) und Schadstoffe am Arbeitsplatz (0,8 Millionen Todesfälle) folgen auf Platz 2 und 3. Verursacht werden durch die Schadstoffe vor allem Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Lungenleiden.
Dabei trifft es die armen Länder am stärksten: „92 Prozent dieser Todesfälle ereignen sich in Ländern mit geringem Einkommen“, berichtet Dr. Olusoji Adeyi, Director Global Practice, Health, Nutrition & Population bei der World Bank, Mitglied und Autor der Lancet-Kommission. Und es sind in der Regel Länder mit einem hohen Industrialisierungsgrad wie Indien, Pakistan, China, Bangladesch, Madagaskar und Kenia: Dort geht einer von 4 Todesfällen auf Umweltverschmutzung zurück.
„Die weltweite Umwelt- und vor allem Luftverschmutzung ist eine unterschätzte Gefahr“, betont Karsten Smid, Energie-Experte bei Greenpeace. Er hebt hervor, dass die Studien-Ergebnisse sehr detailliert sind und ein klares Bild liefern, was in den einzelnen Ländern zu tun ist. Denn die Ursachen der Belastung sind höchst unterschiedlich, so Smid. Er nennt im Gespräch mit Medscape ein paar Beispiele: „In Indien summieren sich die traditionelle [menschliche Abwässer] und industrielle Luftverschmutzung zu einem Schreckensszenario, in China überwiegt bereits der Giftcocktail aus Kohle-Industrie und Autoabgasen. In Kenia leiden die Menschen vor allem unter Belastungen der Innenraumluft und unter verseuchtem Wasser.“
Karti Sandilya von Pure Earth, ebenfalls Mitglied und Autor der Lancet-Kommission, kritisiert: „Die Weltgemeinschaft kümmert sich nicht genug um das Thema Umweltverschmutzung und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit. Wir denken bei Umweltverschmutzung in erster Linie an Schäden für die Umwelt und nicht daran, dass sie direkt die Gesundheit betrifft.“
Gesundheitsschäden aufgrund von Umweltverschmutzung kosten schätzungsweise mehr als 4,6 Billionen US-Dollar pro Jahr, was 6,2% der weltweiten Wirtschaftsleistung entspricht. Die Kosten für durch Umweltverschmutzung bedingte Todesfälle und Krankheiten schlagen bei armen Ländern stärker zu Buche: Anteilig zahlen einkommensschwache Länder 8,3% ihres Bruttonationaleinkommens für umweltbedingte Todesfälle und Krankheiten, während die einkommensstarken Länder nur mit 4,5% dadurch belastet sind.
Die Autoren geben zu bedenken, dass viele relativ neue Chemikalien in ihrer Schädlichkeit noch nicht klassifiziert sind. Sie schreiben: „Unsere Zahlen werden deshalb der tatsächlichen Belastung durch Umweltverschmutzung vermutlich nicht gerecht.“
Situation in Deutschland: Feinstaub-Belastung
In Deutschland ist die Situation vergleichsweise gut: Bezogen auf Deutschland gehen die Autoren davon aus, dass die Umweltbelastung zum Tod von mehr als 62.000 Menschen beitrug, das entspricht etwa jedem 15. Todesfall. 44.000 dieser Todesfälle entfallen auf die Verschmutzung der Außenluft. Für Deutschland errechneten die Forscher eine jährliche Rate von 75 umweltbezogenen Todesfällen auf 100.000 Menschen.
Das Haupt-Problem in Deutschland heißt Feinstaub-Belastung. Dabei sind Kohlekraftwerke enorme Feinstaub-Emittenten. Und die hohe Feinstaub-Emission wirkt sich direkt auf die Gesundheit aus, bestätigt auch Prof. Dr. Christian Witt, Leiter der pneumologischen Onkologie und Transplantologie an der Berliner Charité.
Witt macht seit 2005 auf die gesundheitlichen Gefahren von Feinstaub-Emissionen aufmerksam. Vor allem für vorgeschädigte Patienten sei Feinstaub ein Problem: „Das gilt besonders, wenn Patienten schon mit einer Lungenerkrankung vorbelastet sind. Der Krankheitsverlauf kann sich unmittelbar verschlechtern, die Patienten brauchen mehr oder stärkere Medikamente, oder sie müssen gar stationär aufgenommen werden“, zählt er auf. Dies geschehe vor allem dann, wenn der Feinstaub etwa aufgrund von Stickoxiden und Sulfoxiden besonders aggressiv sei und die Bronchien stark reize.
Forderung: Raus aus der Kohle, weniger Dieselautos
Um die Situation in Deutschland zu verbessern, sei der Kohleausstieg das Gebot der Stunde, betont Smid. „Wir müssen in Deutschland zuallererst die dreckigen Braunkohlekraftwerke abschalten und die Diesel-Fahrzeuge aus den Städten verbannen. Die Zukunft liegt bei der Nutzung von erneuerbaren Energien, das hat gleich einen doppelten Effekt: Es hilft dem Klima und schützt die Luft. Städte müssen umgestaltet und grüner werden und mehr Raum für Fußgänger und Fahrradfahrer bieten. Auch in Indien und China muss es den dreckigen Kohlekraftwerken an den Kragen gehen.“
Smid fügt hinzu: „Auch die Menschen in den Industrieländern leiden und sterben an der dreckigen Luft. Das Heimtückische ist, dass wir die ultrafeinen Staubpartikel in der Atemluft nicht sehen. Und sie sind besonders gefährlich, weil sie tief in die Atemwege eindringen. Es ist wie eine zweite Generation der Luftverschmutzung – eine unsichtbare Gefahr.“
Je kleiner ein Feinstaubpartikel, umso gefährlicher, denn umso tiefer dringt er in die Atemwege vor. Man unterscheidet 3 Klassen:
Der größte Feinstaub ist 10-mal kleiner als ein Haar, er hat einen Durchmesser von 10 Mikrometern oder kleiner (PM 10).
Noch 4-mal kleiner ist PM 2,5 – Feinstaub (PM, particulate matter) mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern.
Am kleinsten ist der Ultrafeinstaub: Mit 0,1 Mikrometern ist er 1.000-mal kleiner als ein Haar (PM 0,1).
Ganz feine Stäube aber gelangen bis in die feinen Bronchien und passieren die Luft-Blut-Schranke. So gelangen sie in den Kreislauf, lagern sich in anderen inneren Organen und auch im Gehirn ab. Sie fördern nicht nur Allergien und Asthma, sondern beeinflussen auch die Entzündungsreaktion und Blutgerinnung des Menschen. Kritisch sind laut Witt besonders Feinstäube im Nanogrößenbereich. Belegt sei auch ein Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und Feinstaub. Speziell Partikel, auf deren Oberfläche giftige Stoffe wie Metallatome oder polyzyklische Aromaten haften, könnten z.B. in der Lunge Tumore entstehen lassen.
Umweltverschmutzung ist mehr als eine ökologische Herausforderung
„Umweltverschmutzung ist viel mehr als eine ökologische Herausforderung – sie ist eine tiefgreifende und umfassende Bedrohung, die viele Aspekte der menschlichen Gesundheit und des Wohlbefindens betrifft. Sie verdient unsere volle Aufmerksamkeit“, bestätigt auch Prof. Dr. Philip Landrigan vom Mount Sinai Hospital in New York und Co-Leiter der Lancet-Kommission. Er fügt hinzu: „Wir müssen den Leuten klarmachen, dass Umweltverschmutzung ganz direkt ihnen und ihren Kindern schadet.“
Die Lancet-Autoren wollen erreichen, dass das Thema Umweltverschmutzung als globale Bedrohung für die menschliche Gesundheit nicht länger negiert wird und Bewältigungsstrategien entwickelt werden. Sie stellen dabei auch klar, dass Umweltverschmutzung nicht die unvermeidliche Konsequenz der wirtschaftlichen Entwicklung ist. So könne die Anwendung von Gesetzen und Vorschriften, die in Ländern mit hohem Einkommen gelten, auch in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen dazu beitragen, die Gesundheit dort zu verbessern und zu schützen.
In ihrem begleitenden Kommentar zu der Arbeit schreiben Dr. Pamela Das, Senior Executive Editor, und Dr. Richard Horton, Chefredakteur von The Lancet [2]:„Der Bericht zeigt, dass kein Land von der Umweltverschmutzung unberührt ist. Wir hoffen, dass die Ergebnisse und Empfehlungen der Lancet-Kommission konkrete Maßnahmen einleiten und die Verantwortlichen auf nationaler, staatlicher, provinzieller und städtischer Ebene davon überzeugen, der Umweltverschmutzung Vorrang einzuräumen. Der Kampf gegen Umweltverschmutzung kann gewonnen werden. Es gibt einige Aktivitäten zur internationalen Umweltverschmutzung, doch es ist noch viel notwendig.“
Und weiter: „Jetzt ist die Zeit gekommen, um unsere kollektiven Reaktionen auf die Umweltverschmutzung zu beschleunigen. Denn die heutigen und zukünftigen Generationen verdienen eine schadstoff-freie Welt.“
REFERENZEN:
1. The Lancet Commission on pollution and health (Oktober 2017)
2. Das P, Horton R: The Lancet (online) 19. Oktober 2017
MEHR
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Ärzte warnen: Umweltverschmutzung „tötet mehr Menschen als Krieg, Hunger, Malaria, AIDS oder Tuberkulose“ - Medscape - 23. Okt 2017.
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