Paradigmenwechsel: Neue ESC-Leitlinien empfehlen Aortenklappen per Katheter bereits bei mittlerem OP-Risiko

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

23. Oktober 2017

Berlin – Für immer mehr Patienten mit schwerer Aortenstenose kommt eine Herzklappen-Implantation mittels Katheter (TAVI) als Alternative zum klassischen herzchirurgischen Vorgehen in Frage. Die Evidenz dazu durchgeführter Studien schlägt sich nun auch in den neuen Leitlinien der ESC (European Society of Cardiology) vom August 2017 nieder, über die Prof. Dr. Albrecht Elsässer (Oldenburg) auf einer Pressekonferenz bei den Herztagen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Berlin berichtete [1]: „Diese bedeutende Änderung im Vergleich zu den vorhergehenden Leitlinien von 2012 ermöglicht jetzt deutlich differenziertere Behandlungsansätze.“

Prof. Dr. Albrecht Elsässer

Kernpunkt der neuen Empfehlungen: Die Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI) bei schwerer Aortenstenose kommt nicht mehr nur für Patienten mit hohem Operationsrisiko (Alter über 75 Jahre und Komorbiditäten), sondern auch für solche mit einem mittleren Risiko in Frage.

Bei der TAVI wird eine biologische Aortenklappenprothese auf ein Kathetersystem montiert und implantiert. Der Zugang erfolgt meist über die Arteria femoralis oder transapikal (über die Herzspitze). Die Prozedur ist schonender bzw. weniger invasiv als der herzchirurgische Eingriff mit Brustkorberöffnung und Herz-Lungen-Maschine.

„Fulminanter“ TAVI-Anstieg

Als „klare Erfolgsgeschichte“ bezeichnete Elsässer, der Vorsitzender der Arbeitsgruppe Interventionelle Kardiologie der DGK ist, den „fulminanten“ Anstieg der TAVI-Prozeduren ­– in Deutschland von 637 im Jahr 2008 auf mehr als 13.000 im Jahr 2014. Er verwies dabei auf die Ergebnisse von mittlerweile 6 großen randomisierten Studien mit rund 6.000 Patienten, bei denen die TAVI mit dem chirurgischen Klappenersatz verglichen worden war. Diese hatten schließlich in den neuen Leitlinien eine Erhöhung von Evidenzklassifizierung und Empfehlungsgrad für die TAVI bewirkt.

Vergleichbare oder bessere Ergebnisse

Er erinnerte an die PARTNER-2 Studie (Vergleich TAVI und OP bei Patienten mit schwerer symptomatischer Aortenklappenstenose und mittlerem OP-Risiko), die über 2 Jahre eine signifikante Überlegenheit der TAVI (mit transfemoralem Zugang) in Bezug auf Sterblichkeit und Schlaganfällen gezeigt hatte. Die ähnlich konzipierte SURTAVI-Studie ergab eine Nicht-Unterlegenheit der TAVI im Vergleich zum chirurgischen Klappenersatz hinsichtlich der Gesamtsterblichkeit sowie im Falle der TAVI eine bessere Lebensqualität 30 Tage nach dem Eingriff, die sich allerdings nach einem Jahr derjenigen nach der Operation angeglichen hatte.

OP-Empfehlung bei Niedrigrisiko-Patienten

Die neuen Leitlinien wurden gemeinsam von der ESC und der EACTS (European Association for Cardio-Thoracic Surgery) erstellt. Sie empfehlen einen chirurgischen Klappenersatz in 1. Linie nur noch bei Patienten deren Operationsrisiko gemäß EuroSCORE (European System for Cardiac Operative Risk Evaluation) als niedrig eingeschätzt wird (EuroSCORE II <4% oder logistischer EuroSCORE I < 10%) und die keine zusätzlichen Risikofaktoren aufweisen.

 
Was wir hier erleben, ist ein gewisser Paradigmenwechsel. Prof. Dr. Albrecht Elsässer
 

Alle anderen Patienten, die eine künstliche Aortenklappe benötigen, sind TAVI-Kandidaten. Das gilt z.B. auch für Patienten mit Risikofaktoren wie einer Porzellanaorta, Gebrechlichkeit („Frailty“ mit geringer Muskelmasse) oder wenn wiederholt im Brustbereich Bestrahlungen durchgeführt wurden. Am Einzelfall sollten Kardiologen und Herzchirurgen gemeinsam im „Herzklappen-Team“ entscheiden, von welchem Eingriff ein Patient am meisten profitiert.

Bedarf an weiteren Studien

„Was wir hier erleben, ist ein gewisser Paradigmenwechsel“, sagte Elsässer: „Früher haben die interventionellen Kardiologen die leichten Fälle behandelt und wenn dann nichts mehr ging, kam der Chirurg für die schweren Fälle. Nun werden die schwer kranken, multimorbiden Patienten interventionell und die leichten Fälle chirurgisch versorgt.“

Dass bei Niedrigrisiko-Patienten weiterhin die Operation favorisiert wird, lasse sich vor allem dadurch erklären, dass es für den TAVI-Einsatz bei dieser Patientengruppe bisher noch keine genügend breite Datenbasis gebe. Erste Studien, so der Oldenburger Kardiologe, zeigten jedoch einen Trend dahingehend, dass TAVI offenbar auch bei Patienten mit niedrigem OP-Risiko einen Vorteil habe. Hier würden weitere, aussagekräftigere Studien gebraucht und mit Spannung erwartet.

Transfemoraler Zugang überlegen

Die Frage, ob die TAVI besser über den transfemoralen oder den transapikalen Zugang durchgeführt werden sollte, ist Elsässer zufolge klar zugunsten des ersteren zu beantworten. „Trotz ihrer offensichtlichen Vorteile für immer mehr Patienten darf die TAVI aber nicht als Allheilmittel betrachtet werden“, betonte Elsässer. So seien auch die peri-interventionellen Komplikationen dieser und der chirurgischen Methode im Einzelfall abzuwägen.

Metaanalysen dazu zeigten bei der Operation etwa vermehrt Nierenprobleme und Blutungen, beim transfemoralen TAVI-Zugang jedoch z.B. häufiger vaskuläre Komplikationen im Leistenbereich, da die älteren TAVI-Patienten oft eine ausgeprägte Arteriosklerose haben.

Noch keine Langzeitdaten

Und noch ein Manko der TAVI: Noch fehlen Langzeitdaten, insbesondere auch was die Haltbarkeit der Katheter-Aortenklappen angeht. Die Ergebnisse von 3- und 5-Jahres-Follow-up-Studien ließen Elsässer zufolge jedoch keine Unterschiede bei der Funktionalität (wie den Öffnungsflächen) von TAVI- und chirurgischen Klappen erkennen. Das sei umso erstaunlicher, da bei der TAVI-Prozedur die alte Klappe vor Ort bleibt und die neue zusätzlich darüber implantiert wird, während beim chirurgischen Vorgehen die neue Klappe die alte komplett ersetzt.

 
Der Anteil hoch betagter multimorbider TAVI-Patienten wird relativ zurückgehen, weil sie bereits vorher bzw. bei niedrigerem Risiko mittels TAVI versorgt wurden. Prof. Dr. Albrecht Elsässer
 

Der Oldenburger Kardiologe geht fest davon aus, dass die TAVI-Indikationen in den kommenden Jahren weiter zunehmen und das Konzept auch bei Patienten mit niedrigem Risiko zur Anwendung kommen wird. „Damit wird der Anteil hoch betagter multimorbider TAVI-Patienten relativ zurückgehen, weil sie bereits vorher bzw. in einem niedrigeren Risikostadium mit einer Katheter-Aortenklappe versorgt wurden“, prognostizierte Elsässer im Gespräch mit Medscape.

Herzklappenteam und standardisierte Abläufe

Die neuen ESC-Leitlinien empfehlen, dass Herzklappenbehandlungen nur von einschlägig qualifizierten multidisziplinären „Heart Valve Teams“ durchgeführt werden sollen, denen immer interventionelle Kardiologen, Herzchirurgen und Experten für die kardiale Bildgebung angehören.

„Solche Teams sind an vielen deutschen Herzzentren bereits seit längerer Zeit etabliert“, bestätigte Elsässer. In den Leitlinien gefordert werden in diesem Zusammenhang auch standardisierte Abläufe in Diagnostik und Therapie, der routinemäßige Einsatz modernster Bildgebungsverfahren sowie die Datenerfassung der Eingriffe und deren regelmäßige Bewertung.



REFERENZEN:

1. Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) anlässlich der DGK-Herztage 2017, 12. Oktober 2017, Berlin

Kommentar

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