Berlin – Wie geht es weltweit voran im Kampf gegen nicht-übertragbare Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Herzkreislauf-Erkrankungen oder chronische Atemwegserkrankungen? Welche Länder sind besonders erfolgreich? Und warum? Vertreter aus Politik, Wissenschaft und NGOs diskutierten dazu auf dem World Health Summit (WHS) 2017 in Berlin [1].
In einem waren sich alle Experten einig: Global betrachtet, geht es in ganz kleinen Schritten voran. So wird man wahrscheinlich am Ziel der Vereinten Nationen scheitern, die Zahl der frühzeitigen Todesfälle vor dem 70. Lebensjahr (14 Millionen) weltweit um ein Drittel zu senken. Aber ein Land wird es wohl schaffen – Sri Lanka. Was macht man dort anders? Und vor allem: Was können wir von Sri Lanka lernen?

Dr. Rajitha Senaratne
Gesundheitsminister kämpft gegen Industrie
Dr. Rajitha Senaratne, Gesundheitsminister von Sri Lanka, war mit seinem Konzept gegen die nicht-übertragbaren Krankheiten (non-communicable diseases – NCDs) einer der „Helden“ des Kongresses. „Es war ein harter Kampf und es gab viele Diskussionen“, berichtete der studierte Zahnmediziner auf dem Podium.
Senaratne schilderte, wie er sich mit der Tabak- und Nahrungsmittelindustrie anlegte, jede Werbung in einem Umkreis von 500 Metern um Schulen verbot, Steuern auf Tabak, Alkohol und ungesunde Zuckergetränke erhöhte. Zuletzt führte er ein Ampelsystem für Nahrungsmittel ein – ein Konzept, das sich bislang in Deutschland nicht durchsetzen konnte.
Außerdem erreichte Senaratne eine Senkung der Medikamenten-Preise um 50% bei 48 wichtigen Medikamenten gegen Krankheiten wie Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen und Krebs. Er ließ zudem „Healthy Lifestyle Center“ im ganzen Land errichten, in denen den Bürgern ein gesunder Lebensstil vermittelt wird und wo bislang Menschen im Alter von 40 bis 65 auf NCDs gescreent werden.
Tabakkonsum, ungesunde Ernährung, schädlicher Alkoholgebrauch und körperliche Inaktivität verursachen auch in Sri Lanka die größten Gesundheitsprobleme. Rund 75% der Todesfälle gehen auf NCDs zurück. Nach WHO-Daten liegt die Wahrscheinlichkeit, dass in Sri Lanka ein Mensch im Alter zwischen 30 und 70 Jahren an einer von 4 Zivilisationskrankheiten stirbt, bei 18%. In Deutschland beträgt diese Wahrscheinlichkeit 12%.

Dr. Rüdiger Krech
Sri Lanka als Vorbild?
„Volkswirtschaftlich gesehen ist die Investition in die Bekämpfung der NCDs überlebensnotwendig für Gesundheitssysteme“, meint Dr. Rüdiger Krech, WHO-Direktor für Gesundheitssysteme und Innovation, gegenüber Medscape. „Wenn wir so weitermachen, müssen nach Studien des Weltwirtschaftsforums und der Harvard University bis 2030 rund 40 Prozent des Bruttosozialproduktes allein für die Versorgung der Patienten mit nicht-übertragbaren Krankheiten aufgewendet werden. Daran können ganze Systeme zerbrechen“, warnte Krech. Dabei würden die Gesundheitssysteme mit Kosten belastet, die als Folge steigender Umsätze (und Gewinne) etwa von Herstellern von Alkohol, Tabak und Lebensmitteln entstehen.
Sri Lanka als Vorbild für Industrienationen? „Warum nicht, der Norden kann vom Süden lernen. Es gibt einige hervorragende Beispiele, die gut in Entwicklungsländern eingeführt wurden. Diese könnte man auch für Deutschland entsprechend adaptieren“, meint Krech. Das Modell Sri Lanka könne aber nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden, weil sich die Systeme unterscheiden. Im Entwicklungsland Sri Lanka haben die Menschen ganz andere Probleme als in Deutschland. Vorbildlich sei aber, so Krech, dass Sri Lanka zu den NCDs einen konkreten nationalen Plan entworfen und diesen sehr stringent befolgt habe.
Alles hängt vom politischen Willen ab
„Wenn der politische Wille nicht vorhanden ist, wird nichts passieren. Alles beginnt mit einem Plan“, sagte Prinzessin Dina Mired von Jordanien, die das Präsidentenamt der „Union for International Cancer Control“ (UICC) übernehmen wird. „Regierungen sind dafür verantwortlich, für eine gesunde Umgebung der Bürger zu sorgen“, so die Prinzessin.

Prinzessin Dina Mired von Jordanien
Den Begriff Lifestyle-Krankheiten empfindet sie als irreführend und falsch, weil hier die Verantwortung voll und ganz auf die Einzelperson abgewälzt werde. Die Verantwortung für einen Aktionsplan trage zudem nicht nur der Gesundheitsminister allein, es müssten auch zwischen den Ressorts und Politikfeldern Verknüpfungen hergestellt werden. Der Gesundheitsminister von Sri Lanka ist ihrer Meinung nach erfolgreich gewesen, weil er es erreicht hat, die NCDs auch auf die Agenda seiner Kollegen im Kabinett zu setzen.
Eine Frage von Angebot und Preis
Die zentrale Frage für WHO-Direktor Krech lautet: Welche Anreize kann der Staat schaffen, damit seine Bürger gesündere Lebensentscheidungen treffen? Ein Beispiel: Der Kampf gegen den drastischen Anstieg der Anzahl von adipösen Kinder und Jugendlichen. Ähnlich wie in Sri Lanka könne man sich etwa in den deutschen Bundesländern dafür entscheiden, die Verfügbarkeit von ungesunden Lebensmitteln im Umkreis von 500 Metern um Schulen einzuschränken, also den Verkauf von zuckerhaltigen Limonaden, ungesunden, fetten Lebensmitteln und Fastfood zu verbieten und stattdessen in diesem Bereich gesunde Lebensmittel anzubieten.
Letztlich müssten sich die Forscher auch genauer die sozialen Verhältnisse der Menschen ansehen, meint Krech. In ärmeren Stadtteilen etwa sei der Anteil an Fastfood-Ketten höher als in Wohngebieten, wo reichere Menschen leben. Menschen ernährten sich vor allem dort falsch, wo es in ihrer Wohngegend keine gesunden Alternativen gibt. „Es gibt vor allem auch in den neuen Bundesländern reinste Wüsten, was gesundes Essen angeht. Dort sind die Menschen nicht mehr in der Lage, frisches Gemüse und hochwertige Nahrungsmittel zu kaufen. Dafür müssten sie dann 20 Kilometer fahren“, sagt Krech. Solchen Entwicklungen könnte die Politik entgegenwirken, wenn der Wille vorhanden sei.
Mit Besteuerungen ließe sich z.B. die Lebensmittelindustrie dazu bringen, gesündere Nahrungsmittel zu produzieren. Die Interessen der Zuckerindustrie müsse dabei den Interessen der Bürger und Gesundheitssysteme gegenübergestellt werden, die für die Krankheitskosten bezahlen müssen, meint Krech. Ein Schokoriegel, der Krankheit produziere, könnte deshalb teurer angeboten werden als ein gesunder Snack. „Man muss diese Kosten in den Preis für ungesunde Lebensmittel integrieren. Diese Gesundheitskosten, die entstehen, dürfen nicht der Allgemeinheit aufgelastet werden. Das gleiche gilt für Tabak und Alkohol.“
REFERENZEN:
1. World Health Summit, 15. bis 17. Oktober 2017, Berlin
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: 3. Welt, aber 1A-Konzept: Im Kampf gegen nicht-übertragbare Krankheiten kann Deutschland von Sri Lanka lernen - Medscape - 19. Okt 2017.
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