Ein Allgemeinmediziner in der Notaufnahme einer Klinik kann helfen, die Wartezeiten zu verkürzen und die Zahl der Krankenhauseinweisungen zu senken. Das geht aus einer retrospektiven Kohortenstudie hervor, über die ein Team um Dr. Laurie Smith vom Institute of Infection and Global Health der britischen University of Liverpool im Fachblatt BMJ Quality & Safety berichtet [1]. Gestiegen sei mit der Anwesenheit des Hausarztes (general practitioner, GP) allerdings die Zahl der Antibiotika-Verordnungen, schreiben Smith und ihre Kollegen.
Facharzt sollte Erstbegutachtung vornehmen
„Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich natürlich nur mit Einschränkungen auf das bundesdeutsche System übertragen“, kommentiert Dr. Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gegenüber Medscape, da das britische National Health System (NHS) anders strukturiert sei. Dennoch sieht auch er die Vorteile der Anwesenheit eines Allgemeinarztes in der Notfallambulanz.

Dr. Roland Stahl
„Die Tatsache, dass Allgemeinmediziner in der Notaufnahme Wartezeiten verkürzen können, zeigt, dass die fachliche Erstbegutachtung in der Notfallambulanz idealerweise durch einen Mediziner mit Facharztstatus, z.B. durch einen Facharzt für Allgemeinmedizin, erfolgen sollte“, sagt Stahl.
Mindestens müsse es sich aber um eine entsprechend ausgebildete medizinische Fachkraft handeln. Diese Person entscheide dann, ob der Patient stationär aufzunehmen sei oder ob er eine Bereitschaftspraxis beziehungsweise am nächsten Tag seinen niedergelassenen Fach- oder Hausarzt aufsuchen solle. „An vielen Kliniken hierzulande gibt es bereits Portalpraxen, die von Kassenärztlichen Vereinigungen eingerichtet und mit niedergelassenen Ärzten besetzt sind“, sagt Stahl.
Welche Auswirkungen hat der Allgemeinmediziner in der Ambulanz?
Smith und ihre Kollegen führten ihre Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Enitan Carrol im Liverpooler Kinderkrankenhaus Alder Hey durch, das zum NHS Foundation Trust gehört. In der dortigen Notaufnahme ist seit Oktober 2014 an 7 Tagen in der Woche von 14 bis 22 Uhr ein Allgemeinarzt anwesend.
Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, wie sich dessen Tätigkeit auf die Wartezeit und die Einweisungen der Patienten sowie auf die Verordnungen von Antibiotika in der Notaufnahme auswirkt. Es sei ihres Wissens die 1. Studie, die den Einfluss eines Hausarzt-Services in einer großen britischen Kinder-Notfallambulanz untersucht habe, schreiben die Forscher. Und ihre Ergebnisse seien wahrscheinlich auf ähnliche Einrichtungen übertragbar.
In die Studie miteinbezogen wurden alle Kinder der Notfallambulanz, die nach dem sogenannten Manchester-Triage-System, einem standardisierten Verfahren zur Einschätzung des Gesundheitszustandes und zum Erkennen von echten Notfällen, in die Dringlichkeitsstufen „normal“ (grün) und somit als GP-geeignet eingestuft worden waren. Zudem durften die jungen Probanden an keinen weiteren Erkrankungen leiden.
Die Liverpooler Forscher verglichen nun diejenigen GP-geeigneten Kinder, die in der Notaufnahme tatsächlich von einem Allgemeinmediziner betreut worden waren (GP-Gruppe), mit jenen, die außerhalb der Zeiten gekommen waren, in denen ein Hausarzt anwesend war (ED-Gruppe, wobei die Abkürzung ED für emergency department steht).
Aufenthaltsdauer und Klinikeinweisungen geringer bei Anwesenheit des Hausarztes
5.223 (18,2%) der insgesamt 28.655 Patienten, die im Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 31. März 2015 in die Notaufnahme der Kinderklinik gekommen waren, galten als GP-geeignet. 2.821 (54%) gehörten der GP-Gruppe an und 2.402 (46%) der ED-Gruppe. Die mittlere Aufenthaltsdauer in der Notfallambulanz betrug in der GP-Gruppe 94 Minuten und in der ED-Gruppe 113 Minuten.
Wie die Forscher um Smith zudem berechneten, war die Wahrscheinlichkeit für eine Einweisung in die Klinik bei den GP-Kindern mit 2,2% geringer als bei den ED-Kindern (6,5%). Auch das Risiko für eine Wartezeit von mehr als 4 Stunden war bei den Probanden, die von einem Allgemeinarzt empfangen worden waren, kleiner (2,3% vs 5,1%). Ebenso verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder das Krankenhaus wieder verließen, bevor ein Arzt sie überhaupt gesehen hatte (3,1% gegenüber 5,7%).
Mehr als jedes 4. Kind der Ambulanz bekam vom Hausarzt Antibiotika verordnet
Anders sah es dagegen bei einem weiteren Endpunkt der Studie aus, dem Verschreibungsverhalten der Ärzte: Die Kinder der GP-Gruppe erhielten häufiger Antibiotika verordnet als die Kindern der ED-Gruppe (26,1% gegenüber 20,5%). Alle Ergebnisse blieben auch dann weitgehend unverändert, wenn die Forscher nur diejenigen Kinder berücksichtigten, die tagsüber zwischen 10 und 18 Uhr in die Notfallambulanz gekommen waren. Auch das Alter der Kinder änderte an den Resultaten der Studie nur wenig.
Die Ergebnisse ihrer Untersuchung zeigten klar die Vorteile, aber auch mögliche Herausforderungen, die sich ergäben, wenn in einer geschäftigen Kinder-Notaufnahme ein Hausarzt-Service angeboten würde, schreiben die Forscher um Smith. Weitere Forschung sei sicherlich notwendig, doch deute ihre Pilotstudie, die als ein natürliches Experiment angesehen werden könne, darauf hin, dass ein solcher Service Wartezeiten verkürzen und die Zahl der Einweisungen senken, aber auf der anderen Seite die Zahl der Antibiotika-Verordnungen zunehmen lassen könne. Andere Studien müssten diese Ergebnisse nun bestätigen.
Überfüllte Notaufnahmen auch in Deutschland
Auch die KBV hat das Problem der überfüllten Notaufnahmen, das auch in Deutschland besteht, längst erkannt. Man habe sich zum Ziel gesetzt, den ärztlichen Notfalldienst sowie den Bereitschaftsdienst stärker miteinander zu verzahnen, sagt KBV-Sprecher Stahl. Dafür wolle man den Patienten zum einen eine Reihe medialer Möglichkeiten an die Hand geben, um den richtigen medizinischen Ansprechpartner zu finden – etwa mithilfe des Internets oder entsprechender Apps.
„Zum anderen muss die bundesweite Bereitschaftsdienstnummer 116117 stärker beworben werden“, betont Stahl. Diese Nummer funktioniert ohne Vorwahl, gilt deutschlandweit und ist kostenlos – egal ob der Patient von zu Hause oder mit dem Mobiltelefon anruft. Ziel sei es, den Patienten mit Informationen auszustatten, damit er einschätzen könne, welches Angebot er wann wahrnehmen müsse, so Stahl. „Dabei ist uns bewusst“, sagt der KBV-Sprecher, „dass die meisten Patienten aus ihrer Sicht ‚jetzt sofort’ einen Arzt brauchen.“
REFERENZEN:
1. Smith L, et al: BMJ Qual Saf (online) 29. September 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Allgemeinmediziner in Notfall-Ambulanz für Kinder: Kürzere Wartezeiten, weniger Klinik-Einweisungen, mehr Antibiotika - Medscape - 18. Okt 2017.
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