Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als Männer, die Fleisch essen. Darauf deutet eine Studie der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin. Studienteilnehmer, die angaben, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, erreichten auf einer Depressionsskala signifikant höhere Werte als Nicht-Vegetarier.
Außerdem hatten signifikant mehr Männer in der Vegetarier/Veganer-Gruppe einen Score über 10, was auf eine leichte bis mittelschwere Depressionen hinweist. „Nährstoffdefizite – z.B. zu wenig Vitamin B12 oder Eisen in der Nahrung – sind eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis“, schreiben die Autoren der Studie in ihrer Publikation im Journal of Affective Disorders. [1].
Erstautor Dr. Joseph R. Hibbeln, Leiter der Section on Nutritional Neurosciences am National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism des NIH ergänzte, dass Vitamin B12 eine wichtige Rolle für die Ergebnisse gespielt haben könnte, da rotes Fleisch reich an diesem Nährstoff ist. „Wenn sich jemand entscheidet, kein oder weniger Fleisch zu essen, sollte er sich an Richtlinienvorgaben halten, um sicherzustellen, dass er ausreichend mit Vitamin B12 versorgt ist“, sagte Hibbeln gegenüber Medscape.
Negative Konsequenzen einer vegetarischen Ernährung
„Vegetarische Ernährungsweisen sind mit verringerten Risiken für kardiovaskulären Tod, Adipositas und Diabetes in Zusammenhang gebracht worden. Doch es stellt sich die Frage, ob diese potenziellen Vorteile sich auch auf die psychische Gesundheit erstrecken. Oder hat die verringerte Aufnahme bestimmter Nährstoffe, die sich besonders reichhaltig in den ausgeschlossenen Nahrungsmitteln befinden, negative Konsequenzen für die psychische Gesundheit?“, schreiben die Studienautoren.
Frühere Studien haben gezeigt, dass niedrige Vitamin B12- und Folsäure-Spiegel mit einem erhöhten Depressionsrisiko assoziiert sind, und „eine Metaanalyse lieferte Hinweise, dass eine Intervention mit Vitamin B12 depressive Symptome in bestimmten Populationen verhindern könnte“, berichten die Wissenschaftler. Um dies eingehender zu untersuchen, seien aber besser designte Studien notwendig.
Die populationsbasierte Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) untersuchte 14.541 schwangere Frauen aus Großbritannien, deren Entbindungstermine zwischen April 1992 und Dezember 1992 lagen. Die Frauen und 9.845 ihrer Lebenspartner füllten Fragebögen aus; 9.668 dieser Männer wurden in die vorliegende Analyse aufgenommen.
In den Bögen wurde auch nach Hintergrundinformationen gefragt, unter anderem nach der Ernährung. Da nur wenige Männer angaben, sich vegan zu ernähren (n=39), wurden Veganer und Vegetarier in einer Gruppe zusammengefasst (n = 350; 3,6% der befragten Kohorte).
Die Männer füllten zwischen der 18. und 20. Gestationswoche ihrer Partnerin außerdem die Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) aus. Ein Wert über 10 auf dieser Depressionsskala deutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf leichte bis mittelschwere Depressionen hin. In der Vegetarier/Veganer-Gruppe erzielten die Männer im Schnitt einen EPDS-Score von 5,26, in der Nicht-Vegetarier-Gruppe waren es 4,18 (p < 0,0001). Außerdem hatten 12,3% der Vegetarier/Veganer einen EPDS-Score über 10, von den Nicht-Vegetariern waren es nur 7,4% (p = 0,001). Einen Wert über 12 – der auf schwere Depressionen hindeutet – hatten 6,8% der Vegetarier/Veganer und 3,9% der Nicht-Vegetarier (p < 0,01).
Die nicht um Störfaktoren angepasste Odds Ratio (OR) für einen EPDS-Score über 10 betrug für die Vegetarier/Veganer 1,75. Nach vollständiger Anpassung um eine Vielzahl möglicher Störfaktoren, wie Alter, Familienanamnese und Religionszugehörigkeit, lag die OR immer noch bei 1,67.
Es gab außerdem eine erkennbare, wenn auch nicht signifikante Assoziation zwischen depressiven Symptomen und der Dauer des Vegetarismus. Die Autoren merken an, dass nicht alle Menschen, die sich als Vegetarier bezeichnen, die gleichen Dinge essen, speziell wenn es um Fisch, Eier und Milchprodukte geht. Wenig überraschend konsumierten die Nicht-Vegetarier in dieser Analyse mehr Fleisch, Wurst, Geflügel und weißen Fisch als die Männer in der Vegetarier/Veganer-Gruppe. Doch 51,6% vs. 52,3% gaben an, fettreichen Fisch zu essen, und 23,3% vs. 28,6% gaben an, Schalentiere zu verzehren.
„Unseres Wissens ist dies die erste große epidemiologische Studie, die einen Zusammenhang zwischen Vegetarismus und signifikanten depressiven Symptomen bei Männern zeigt“, schreiben die Wissenschaftler. „Da sich die vegetarische Ernährungsweise primär durch den Verzicht auf rotes Fleisch auszeichnet, lohnt es, einen genaueren Blick auf den Beitrag von Vitamin B12 zu werfen“, fügen sie hinzu. Doch sie merken auch an, dass „reverse Kausalität nicht ausgeschlossen werden kann“. Es seien mehr Studien, insbesondere randomisiert-kontrollierte Studien, notwendig, betonte Hibbeln.
Doch sein Blick in die Zukunft ist optimistisch: Die erste Tagung der International Society for Nutritional Psychiatry Research (ISNPR) in diesem Sommer habe mehr als 500 Teilnehmer gehabt. „Ich bin der Meinung, dass nach all den Jahren, in denen ich auf diesem Gebiet gearbeitet habe, es nun wirklich als eigenes Forschungsfeld anerkannt wird“, sagte Hibbeln.
Konsistente Ergebnisse - mit Vorbehalt
In einem Kommentar gegenüber Medscape sagte Dr. Felice Jacka, Direktorin des Food and Mood Center der Deakin University in Geelong, Australien, und Präsidentin der ISNPR, dass ALSPAC möglicherweise die beste Kohortenstudie der Welt sei, sicherlich aber eine der besten und dass diese neue Analyse wirklich gut sei.
„Ein wichtiger Vorbehalt ist, dass wir nicht wissen, ob es [die depressiven Symptome] Ursache oder Effekt der vegetarischen Ernährung sind. Eine vegetarische Ernährungsweise könnte mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen oder anderen Faktoren assoziiert sein, die Depressionen verstärken. Das ist bei allen Beobachtungsstudien eine Einschränkung: Korrelation bedeutet nicht Kausalität“, sagte sie. „Aber die Ergebnisse sind konsistent mit der vorhandenen Literatur, auch einer Studie, die wird 2012 publiziert haben.“
Diese Studie untersuchte den Fleischkonsum von mehr als 1.000 australischen Frauen. „Wir fanden eine sehr klare U-förmige Beziehung zwischen den Angaben zum Verzehr von rotem Fleisch und klinischen Depressionen und Angststörungen. Vegetarier waren von dieser Studie bewusst ausgeschlossen worden“, sagte Jacka. „Unter Berücksichtigung der Gesamtqualität der Ernährung hatten diejenigen mit geringem Fleischkonsum (unterhalb der nationalen Empfehlungen) und diejenigen mit hohem Fleischkonsum, doppelt so häufig Depressionen, Dysthymie oder diagnostizierte Angststörungen“, erklärte sie.
Jacka berichtete, dass sie als Vegetarierin aufgewachsen sei, doch das habe sich mit der Forschung geändert. „Mir wurde klar, dass ich beim Heranwachsen wahrscheinlich einen schweren Eisenmangel hatte, ich bin in der Schule ständig eingeschlafen. Rotes Fleisch ist tatsächlich sehr wichtig für die Zink- und Eisenversorgung“, sagte sie. „Doch wir müssen das mit der Einschränkung sehen, dass mehr nicht unbedingt besser ist. Es reichen wahrscheinlich schon kleine Mengen qualitativ hochwertigen Fleisches. Größere Mengen könnten schädlich sein.“
Interventionsstudie SMILES
Pauschale Aussagen seien nicht möglich, ergänzte Jacka. „Die Menschen scheinen Nahrung unterschiedlich zu verstoffwechseln und auf Nahrungsmittel unterschiedlich zu reagieren, abhängig vom Mikrobiom in ihrem Darm. Das ist ein Feld, das uns zunehmend interessiert und das verstärkt erforscht wird“, sagte sie. Letztlich könnte es auf individuelle Empfehlungen hinauslaufen.
Anfang des Jahres veröffentlichten Jacka und ihre Kollegen die SMILES-Studie. Die randomisiert-kontrollierte Studie untersuchte eine Ernährungsintervention bei 67 Erwachsenen mit Depressionen. Nach 12 Wochen hatten sich Patienten, die sich regelmäßig in einer Ernährungs-Supportgruppe getroffen hatten, auf der Montgomery-Ǻsberg Depression Rating Scale (MADRS) signifikant stärker verbessert als eine Kontrollgruppe von Patienten. Diese hatten sich nur zur gegenseitigen sozialen Unterstützung, ohne Ernährungsintervention, als Gruppe getroffen. In der Gruppe mit Ernährungsintervention erreichten 32% der Patienten Remission (MADRS-Score < 10), in der Kontrollgruppe waren es 8%.
„Das war die erste Interventionsstudie, die zeigte, dass es einen merklichen Effekt auf depressive Symptome hat, wenn man Menschen hilft, ihre Ernährung zu verbessern“, sagte Jacka. Sie fügte hinzu, dass diese Art von Interventionsstudien schwierig in der Durchführung sei. „Deshalb müssen wir uns wirklich die Beobachtungsdaten anschauen.“
In der vorliegenden Studie von Hibbeln und seinen Koautoren, ebenso wie in anderen Studien, „zeigen die Beobachtungsdaten, dass der Verzicht auf rotes Fleisch bei einigen Menschen ein Risikofaktor für Depressionen sein könnte“, so Jacka.
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Hibbeln JR, et al: Journal of Affective Disorders 2018:225:13-17
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Vegetarische Kost für Männer: In Beobachtungsstudie mit mehr Depressionen assoziiert – schlägt fleischlos aufs Gemüt? - Medscape - 16. Okt 2017.
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