Vegetarische Kost für Männer: In Beobachtungsstudie mit mehr Depressionen assoziiert – schlägt fleischlos aufs Gemüt?

Deborah Brauser

Interessenkonflikte

16. Oktober 2017

Männliche Vegetarier könnten ein höheres Risiko für Depressionen haben als  Männer, die Fleisch essen. Darauf deutet eine Studie der US-amerikanischen  National Institutes of Health (NIH) mit mehr als 9.600 Männern hin. Studienteilnehmer,  die angaben, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, erreichten auf einer  Depressionsskala signifikant höhere Werte als Nicht-Vegetarier.

Außerdem hatten signifikant mehr Männer in der Vegetarier/Veganer-Gruppe  einen Score über 10, was auf eine leichte bis mittelschwere Depressionen  hinweist. „Nährstoffdefizite – z.B. zu wenig Vitamin B12 oder Eisen in der  Nahrung – sind eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis“, schreiben die  Autoren der Studie in ihrer Publikation im Journal of Affective Disorders. [1].

Erstautor Dr. Joseph R. Hibbeln,  Leiter der Section on Nutritional Neurosciences am National Institute on  Alcohol Abuse and Alcoholism des NIH ergänzte, dass Vitamin B12 eine wichtige  Rolle für die Ergebnisse gespielt haben könnte, da rotes Fleisch reich an  diesem Nährstoff ist. „Wenn sich jemand entscheidet, kein oder weniger Fleisch  zu essen, sollte er sich an Richtlinienvorgaben halten, um sicherzustellen,  dass er ausreichend mit Vitamin B12 versorgt ist“, sagte Hibbeln gegenüber Medscape.

Negative  Konsequenzen einer vegetarischen Ernährung

„Vegetarische Ernährungsweisen sind mit  verringerten Risiken für kardiovaskulären Tod, Adipositas und Diabetes in  Zusammenhang gebracht worden. Doch es stellt sich die Frage, ob diese  potenziellen Vorteile sich auch auf die psychische Gesundheit erstrecken. Oder  hat die verringerte Aufnahme bestimmter Nährstoffe, die sich besonders  reichhaltig in den ausgeschlossenen Nahrungsmitteln befinden, negative  Konsequenzen für die psychische Gesundheit?“, schreiben die Studienautoren.

Frühere Studien haben gezeigt, dass  niedrige Vitamin B12- und Folsäure-Spiegel mit einem erhöhten Depressionsrisiko  assoziiert sind, und „eine Metaanalyse lieferte Hinweise, dass eine  Intervention mit Vitamin B12 depressive Symptome in bestimmten Populationen  verhindern könnte“, berichten die Wissenschaftler. Um dies eingehender zu  untersuchen, seien aber besser designte Studien notwendig.

Die populationsbasierte Avon Longitudinal  Study of Parents and Children (ALSPAC) untersuchte 14.541 schwangere Frauen aus  Großbritannien, deren Entbindungstermine zwischen April 1992 und Dezember 1992  lagen. Die Frauen und 9.845 ihrer Lebenspartner füllten Fragebögen aus; 9.668  dieser Männer wurden in die vorliegende Analyse aufgenommen.

 
Unseres Wissens ist dies die erste große epidemiologische Studie, die einen Zusammenhang zwischen Vegetarismus und signifikanten depressiven Symptomen bei Männern zeigt. Dr. Joseph R. Hibbeln und Kollegen
 

In den Bögen wurde auch nach  Hintergrundinformationen gefragt, unter anderem nach der Ernährung. Da nur  wenige Männer angaben, sich vegan zu ernähren (n=39), wurden Veganer und  Vegetarier in einer Gruppe zusammengefasst (n = 350; 3,6% der befragten Kohorte).

Die Männer füllten zwischen der 18. und 20. Gestationswoche ihrer Partnerin außerdem die Edinburgh Postnatal Depression  Scale (EPDS) aus. Ein Wert über 10 auf dieser Depressionsskala deutet mit hoher  Wahrscheinlichkeit auf leichte bis mittelschwere Depressionen hin. In der  Vegetarier/Veganer-Gruppe erzielten die Männer im Schnitt einen EPDS-Score von 5,26, in der Nicht-Vegetarier-Gruppe waren es 4,18 (p < 0,0001). Außerdem  hatten 12,3% der Vegetarier/Veganer einen EPDS-Score über 10, von den  Nicht-Vegetariern waren es nur 7,4% (p = 0,001). Einen Wert über 12 – der auf  schwere Depressionen hindeutet – hatten 6,8% der Vegetarier/Veganer und 3,9%  der Nicht-Vegetarier (p < 0,01).

Die nicht um Störfaktoren angepasste Odds  Ratio (OR) für einen EPDS-Score über 10 betrug für die Vegetarier/Veganer 1,75.  Nach vollständiger Anpassung um eine Vielzahl möglicher Störfaktoren, wie  Alter, Familienanamnese und Religionszugehörigkeit, lag die OR immer noch bei 1,67.

Es gab außerdem eine erkennbare, wenn auch  nicht signifikante Assoziation zwischen depressiven Symptomen und der Dauer des  Vegetarismus.  Die Autoren merken an,  dass nicht alle Menschen, die sich als Vegetarier bezeichnen, die gleichen  Dinge essen, speziell wenn es um Fisch, Eier und Milchprodukte geht. Wenig  überraschend konsumierten die Nicht-Vegetarier in dieser Analyse mehr Fleisch,  Wurst, Geflügel und weißen Fisch als die Männer in der Vegetarier/Veganer-Gruppe.  Doch 51,6% vs. 52,3% gaben an, fettreichen Fisch zu essen, und 23,3% vs. 28,6%  gaben an, Schalentiere zu verzehren.

„Unseres Wissens ist dies die erste große epidemiologische Studie, die  einen Zusammenhang zwischen Vegetarismus und signifikanten depressiven  Symptomen bei Männern zeigt“, schreiben die Wissenschaftler. „Da sich die  vegetarische Ernährungsweise primär durch den Verzicht auf rotes Fleisch  auszeichnet, lohnt es, einen genaueren Blick auf den Beitrag von Vitamin B12 zu  werfen“, fügen sie hinzu. Doch sie merken auch an, dass „reverse Kausalität  nicht ausgeschlossen werden kann“. Es seien mehr Studien, insbesondere  randomisiert-kontrollierte Studien, notwendig, betonte Hibbeln.

Doch sein Blick in die Zukunft ist  optimistisch: Die erste Tagung der International Society for Nutritional  Psychiatry Research (ISNPR) in diesem Sommer habe mehr als 500 Teilnehmer  gehabt. „Ich bin der Meinung, dass nach all den Jahren, in denen ich auf diesem  Gebiet gearbeitet habe, es nun wirklich als eigenes Forschungsfeld anerkannt  wird“, sagte Hibbeln.

Konsistente  Ergebnisse - mit Vorbehalt

In einem Kommentar gegenüber Medscape sagte Dr. Felice Jacka, Direktorin des Food and Mood Center der Deakin  University in Geelong, Australien, und Präsidentin der ISNPR, dass ALSPAC  möglicherweise die beste Kohortenstudie der Welt sei, sicherlich aber eine der  besten und dass diese neue Analyse wirklich gut sei.

„Ein wichtiger Vorbehalt ist, dass wir nicht wissen, ob es [die  depressiven Symptome] Ursache oder Effekt der vegetarischen Ernährung sind.  Eine vegetarische Ernährungsweise könnte mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen  oder anderen Faktoren assoziiert sein, die Depressionen verstärken. Das ist bei  allen Beobachtungsstudien eine Einschränkung: Korrelation bedeutet nicht  Kausalität“, sagte sie. „Aber die Ergebnisse sind konsistent mit der  vorhandenen Literatur, auch einer Studie, die wird 2012 publiziert haben.“

 
Ein wichtiger Vorbehalt ist, dass wir nicht wissen, ob es [die depressiven Symptome] Ursache oder Effekt der vegetarischen Ernährung sind. Dr. Felice Jacka
 

Diese Studie untersuchte den Fleischkonsum  von mehr als 1.000 australischen Frauen. „Wir fanden eine sehr klare U-förmige  Beziehung zwischen den Angaben zum Verzehr von rotem Fleisch und klinischen  Depressionen und Angststörungen. Vegetarier waren von dieser Studie bewusst  ausgeschlossen worden“, sagte Jacka. „Unter Berücksichtigung der Gesamtqualität  der Ernährung hatten diejenigen mit geringem Fleischkonsum (unterhalb der  nationalen Empfehlungen) und diejenigen mit hohem Fleischkonsum, doppelt so  häufig Depressionen, Dysthymie oder diagnostizierte Angststörungen“, erklärte sie.

Jacka berichtete, dass sie als Vegetarierin  aufgewachsen sei, doch das habe sich mit der Forschung geändert. „Mir wurde  klar, dass ich beim Heranwachsen wahrscheinlich einen schweren Eisenmangel  hatte, ich bin in der Schule ständig eingeschlafen. Rotes Fleisch ist  tatsächlich sehr wichtig für die Zink- und Eisenversorgung“, sagte sie. „Doch  wir müssen das mit der Einschränkung sehen, dass mehr nicht unbedingt besser  ist. Es reichen wahrscheinlich schon kleine Mengen qualitativ hochwertigen  Fleisches. Größere Mengen könnten schädlich sein.“

Interventionsstudie  SMILES

Pauschale Aussagen seien nicht möglich,  ergänzte Jacka. „Die Menschen scheinen Nahrung unterschiedlich zu  verstoffwechseln und auf Nahrungsmittel unterschiedlich zu reagieren, abhängig  vom Mikrobiom in ihrem Darm. Das ist ein Feld, das uns zunehmend interessiert  und das verstärkt erforscht wird“, sagte sie. Letztlich könnte es auf  individuelle Empfehlungen hinauslaufen.

 
Das war die erste Interventionsstudie, die zeigte, dass es einen merklichen Effekt auf depressive Symptome hat, wenn man Menschen hilft, ihre Ernährung zu verbessern. Dr. Felice Jacka
 

Anfang des Jahres veröffentlichten Jacka  und ihre Kollegen die SMILES-Studie. Die randomisiert-kontrollierte  Studie untersuchte eine Ernährungsintervention bei 67 Erwachsenen mit  Depressionen. Nach 12 Wochen hatten sich Patienten, die sich regelmäßig in  einer Ernährungs-Supportgruppe getroffen hatten, auf der Montgomery-Ǻsberg  Depression Rating Scale (MADRS) signifikant stärker verbessert als eine  Kontrollgruppe von Patienten. Diese hatten sich nur zur gegenseitigen sozialen  Unterstützung, ohne Ernährungsintervention, als Gruppe getroffen. In der Gruppe  mit Ernährungsintervention erreichten 32% der Patienten Remission (MADRS-Score < 10), in der Kontrollgruppe waren es 8%.

„Das war die erste Interventionsstudie, die zeigte, dass es einen  merklichen Effekt auf depressive Symptome hat, wenn man Menschen hilft, ihre  Ernährung zu verbessern“, sagte Jacka. Sie fügte hinzu, dass diese Art  von Interventionsstudien schwierig in der Durchführung sei. „Deshalb müssen wir  uns wirklich die Beobachtungsdaten anschauen.“

In der vorliegenden Studie von Hibbeln und  seinen Koautoren, ebenso wie in anderen Studien, „zeigen die Beobachtungsdaten,  dass der Verzicht auf rotes Fleisch bei einigen Menschen ein Risikofaktor für  Depressionen sein könnte“, so Jacka.


Dieser  Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.



REFERENZEN:

1. Hibbeln JR, et al:  Journal of Affective Disorders 2018:225:13-17

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