Flüchtlinge sind jung und ziemlich gesund! Studie kritisiert viele unnötige und teure Tests bei der Erstaufnahme

Christian Beneker

Interessenkonflikte

16. Oktober 2017

Asylsuchende werden in den Erstaufnahmeeinrichtungen sehr unterschiedlich auf Infektionskrankheiten untersucht: Manche Bundesländer halten sich strikt an die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes (RKI) und röntgen die Asyl-Suchenden lediglich, um gegebenenfalls eine ansteckende Tuberkulose zu entdecken. Ansonsten variiert die Praxis je nach Bundesland sehr stark. Das ergab eine Studie des Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Bielefeld [1]. Manche Länder testen die Asylsuchenden „zum Teil pauschal auf weitere Infektionskrankheiten“, und zwar „ohne evidenzbasierte Grundlage“.

„Dadurch entstehen hohe Diagnose-Kosten bei nur wenigen tatsächlich erkrankten Personen“, heißt es in der Pressemeldung zur Studie [2]. Die unterschiedliche Praxis ist teuer. So kostete die Diagnose eines Shigellose-Falls umgerechnet rund 80.000 Euro.

Bundesländer mit unterschiedlichen Strategien

„In einigen Bundesländern wurde eine große Anzahl an Personen aus unterschiedlichen Herkunftsländern auf Erkrankungen wie z.B. Salmonellen, Syphilis und HIV getestet“, erklärt Dr. Kayvan Bozorgmehr, Studienleiter von der Universität Heidelberg. So wurden von den 441.899 Erstantragstellern im Jahr 2015 rund 88% verpflichtend auf Tuberkulose getestet, 23% auf pathogene Darmkeime, wie Salmonellen und Shigellen, 17% auf Hepatitis B, 13% auf Syphilis und 11% auf HIV. „Nur wenige dieser Menschen sind tatsächlich erkrankt“, sagt Bozorgmehr.

Besonders Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen taten sich im Jahr 2015 hervor und untersuchten bei den Neuankömmlingen ein breites Spektrum von seltenen Infektionskrankheiten. Bayern und Hamburg untersuchen als einzige Bundesländer auf Syphilis. Bayern verlangte 2015 die meisten Untersuchungen, und zwar auf Tuberkulose bei Kindern und Schwangeren, auf Hepatitis B, Syphilis, HIV und auf pathogene Darmkeime.

 
Die Schlussfolgerung Bayerns und anderer Länder ist, dass die niedrigen Findungsquoten die Untersuchungen eigentlich nicht rechtfertigen. Dr. Kayvan Bozorgmehr
 

Ob die Morbidität unter den Asylsuchenden diese Untersuchungsdichte überhaupt rechtfertigt, sei schwer festzustellen, sagt Bozorgmehr zu Medscape. „Die Ergebnisse der Untersuchungen waren nicht in allen Ländern frei zugänglich. „Es liegt in der Hand des durchführenden Gesundheitsamtes oder der Klinik, ob die Zahlen erhoben und ob sie veröffentlicht werden.“ Oft seien auch nur die Krankheitsfälle gezählt worden, aber die Zahl der Untersuchten wurde nicht festgehalten. „Die Krankheitsfälle werden mit dem Hinweis, dass es sich um Asylsuchende handelt, mittlerweile regelhaft an das RKI gemeldet“, sagt Bozorgmehr.

Die Studienautoren haben nun die relativ vollständigen Zahlen aus Hamburg und Bayern auf die Ergebnisse der anderen Bundesländer projiziert. Das Resultat ist erfreulich. Die Infektionsraten bei Asylsuchenden bewegen sich auf niedrigstem Niveau. So wurde bei 4% der Untersuchten Hepatitis B festgestellt und bei 3,5% intestinale Parasiten. Das sind die beiden höchsten Werte. HIV dagegen lag bei 0,6%, Syphilis bei 0,4%, Tuberkulose bei 0,3% und Shigellen bei 0,01% aller Untersuchungen.

Ein Vergleich mit der Morbidität der Gesamtbevölkerung sei nicht direkt möglich, hieß es. Denn dann müsste man alle Bürger untersuchen, so wie man alle Flüchtlinge untersucht, um überhaupt einen Vergleich anstellen zu können, erklärt der Heidelberger Wissenschaftler.

Nach den Berechnungen der Studienautoren kommt die Strategie, sehr viele Krankheiten zu detektieren, den Steuerzahler teuer zu stehen. „Unsere Schätzung der Gesamtkosten für diagnostische Verfahren im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung in Deutschland im Jahr 2015 beläuft sich auf 10,3 Millionen Euro. Darin sind die Kosten des medizinischen Personals, weiterer Folgediagnostik oder etwaiger Doppeluntersuchungen nicht enthalten“, sagt Bozorgmehr.

Länder reduzieren Untersuchungen

Inzwischen reagierten die Länder. „Die Schlussfolgerung Bayerns und auch anderer Länder, die umfangreich untersuchen, ist, dass die niedrigen Fallfindungsquoten die Untersuchungen eigentlich nicht rechtfertigen“, sagt Bozorgmehr. Tatsächlich haben zum Jahreswechsel 2015/2016 einige Bundesländer nachjustiert und die Anzahl der Untersuchungen runtergefahren. Bozorgmehr: „Auch aus ökonomischer Sicht eine gute Entscheidung.“ Tatsächlich errechneten die Forscher allein für das Jahr 2015 ein Einsparpotential von 3,1 Millionen Euro.

Kassen werden verjüngt

Unterdessen stellen die Krankenkassen fest, dass ihnen die Jugend und die relativ gute Gesundheit der Flüchtlinge unter ihren Versicherten gut tun. Zum Beispiel bei der AOK Bremen/ Bremerhaven. Die Daten der Kasse zeigen, dass die rund 11.000 Flüchtlinge, die derzeit im so genannten „Bremer Modell“ betreut werden, relativ gesund sind. Im Rahmen des Bremer Modells erhalten die Flüchtlinge eine Gesundheitskarte und können die meisten Leistungen regulär beim Arzt erhalten. Die Kosten stellt die Kasse dann den Sozialbehörden in Rechnung.

 
Die häufigste Diagnose ist der grippale Infekt, die zweithäufigste ist die Schwangerschaft und auf Platz drei liegen Hauterkrankungen. Jörn Hons
 

„Die häufigste Diagnose bei diesen Flüchtlingen ist der grippale Infekt“, sagt Jörn Hons, Sprecher der Kasse, zu Medscape. „Die zweithäufigste ist die Schwangerschaft und auf Platz drei liegen Hauterkrankungen.“ Bei den AOK-Versicherten an der Weser dagegen steht die Kurzsichtigkeit an 1. Stelle, der Bluthochdruck an 2. Stelle und dann folgt der grippale Infekt. Schwangerschaften liegen erst auf dem 24. Rang. Diabetes indessen liegt bei den AOK Versicherten auf Platz 7 und bei den betreuten Flüchtlingen erst auf Platz 17.

„Auch durch die Flüchtlinge hat sich die AOK Bremen/Bremerhaven verjüngt“, sagt Hons. „Wenn man bedenkt, dass etwa die Hälfte der betreuten Flüchtlinge später als Versicherte in die AOK eintreten, so kann man sagen, dass diese Verjüngung wegen der geringeren Krankheitsrisiken der Flüchtlinge zu geringeren Ausgaben führt“, sagt Hons. „Diesen Effekt wollen wir jetzt genauer untersuchen und beziffern.“

Dass also mit den vielen Flüchtlingen auch mehr medizinische Versorgung und damit erhöhte Kosten anfallen, ist richtig. Aber es stimmt auch, dass die Flüchtlinge gesünder sind als ihre Gastgeber.



REFERENZEN:

1. Bozorgmehr K, et al: Europe's journal on infectious disease surveillance, epidemiology, prevention and control 2017, 05. Oktober 2017

2. Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg vom 06. Oktober 2017

Kommentar

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