Der Deutsche Ethikrat fordert eine internationale Debatte zu Keimbahneingriffen am menschlichen Embryo. Er befürchtet, dass durch die rasant verlaufende Entwicklung zum Genom-Editing Fakten geschaffen werden, deren Tragweite nicht absehbar sei. „Weil hiermit nicht nur nationale, sondern auch Interessen der gesamten Menschheit berührt werden, bedarf es einer weitgespannten Diskussion und einer internationalen Regulierung“, forderte der Ethikrat mit seinem Vorsitzenden Prof. Dr. Peter Dabrock in einer Ad-Hoc-Empfehlung [1].
Es geht um CRISPR-Cas9, eine molekulare Genschere, die gezielt Sequenzen in der DNA finden und herausschneiden kann. Das Werkzeug kann jeden Organismus manipulieren, Fremdsequenzen in die DNA einbauen und einzelne Basen korrigieren.
Im August war in Nature eine aufsehenerregende Studie veröffentlicht worden, in der Forscher aus den USA, Südkorea und China unter der Federführung der Orgon Health & Science University in Portland (USA) das Verfahren bei menschlichen Embryonen angewendet haben. Im Experiment waren in der Keimbahn veränderte Embryonen in vitro mit modifiziertem Erbgut entstanden.
Die Forscher hatten eine Mutation repariert, die zu erblich bedingter hypertropher Kardiomyopathie führt. Die Wissenschaftler schnitten das mutierte paternale Allel des Gens MYBPC3 mit der CRISPR-Cas9-Genschere aus dem Genom der Embryonen heraus und reparierten die Stelle anschließend mit dem maternalen Wildtyp-Gen. Die Embryonen durften sich nur wenige Tage entwickeln (wie Medscape berichtete).
Ethikrat: Folgen betreffen alle
Erstmals würden damit medizinische Maßnahmen entwickelt, die sich nicht nur auf ein Individuum, sondern auf eine ganze Generation noch nicht gezeugter Nachkommen beziehen, betont der Ethikrat. „Wissenschaftliche Forschung, deren Ergebnisse derart grundlegende Auswirkungen auf das menschliche Selbstverständnis haben, muss gesellschaftlich eingebettet sein. Sie ist keine interne Angelegenheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Sie ist auch keine Frage eines einzelnen Landes – nicht nur, weil Forschung international vernetzt ist, sondern auch, weil die Konsequenzen solcher Forschungsaktivitäten alle Menschen betreffen“, formuliert der Ethikrat.
Eine solche Verwendung von Embryonen wie in der Nature-Studie wären in Deutschland aufgrund des Embryonenschutzgesetzes strafbar – wie auch in vielen anderen europäischen Ländern. Allerdings denken hierzulande Teile der Wissenschaftsgemeinschaft anders. Im Frühjahr 2017 gab es ein Vorstoß der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaft mit einem Diskussionspapier.
Überzählige Embryonen für hochrangige Forschungszwecke sollten demnach verwendet werden dürfen – im Hinblick auf Therapieansätze für genetische Erkrankungen, hieß es in dem Diskussionspapier. Allerdings: „Jede gezielte Keimbahn-Veränderung mit Auswirkungen auf einen später geborenen Menschen soll beim derzeitigen Stand unterbleiben, weil noch kein vertretbar niedriges Risiko im Vergleich zur Erbkrankheit, die vermieden werden soll, erreichbar ist“, so der Jurist und Mitautor des Leopoldina-Diskussionspapiers Prof. Dr. Jochen Taupitz kurz nach Erscheinen der Nature-Studie gegenüber dem Science-Media-Center (SMC).
Eine geänderte Haltung zu Keimbahn-Interventionen beobachtet der Ethikrat bei der US-amerikanischen National Academy of Science und der National Academy of Medicine. Diese beurteilten solche Keimbahn-Interventionen nun als verantwortbar, wenn der Eingriff die letzte vernünftige Möglichkeit für ein Paar sei, ein gesundes, biologisch eigenes Kind zu bekommen. Der Ethikrat sieht einen Wechsel vom „Nicht-Erlauben, solange die Risiken nicht geklärt sind, zu einem Erlauben, wenn die Risiken besser eingeschätzt werden können.“
Kontroverse Meinungen von Wissenschaftlern und Ethik-Experten
Gegenüber dem Science-Media-Center hatten sich einige Wissenschaftler in Statements zu der Bedeutung und Tragweite der Nature-Studie im August geäußert. Die Meinung reichte von „kein wirklicher Durchbruch“ und „interessant für die Grundlagenforschung“ bis hin zu „dem wissenschaftlichen Fortschritt und der medizinischen Entwicklung dienlich“ und der Forderung, sich einer differenzierten Debatte über die Durchführung solcher Experimente an Keimbahn-Zellen auch in Europa nicht zu verschließen.
Auch Ethik-Experten äußerten unterschiedliche Auffassungen: „Hier geht es nicht um die Herstellung von ‚Designer-Babys’, sondern darum, Leiden zu verhindern. Welche Grenzen es dabei zu beachten gibt, sollte weiterhin von Experten unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam mit Patienten und anderen Bürgern ausgehandelt werden“, sagt etwa Prof. Dr. Barbara Prainsack, Department of Global Health & Social Medicine, King's College London, und Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission.
Auch der Vorsitzende des deutschen Ethikrates Dabrock, Professor für Systematische Theologie (Ethik) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, formulierte seine persönliche Meinung: „Ethisch verwerflich ist, wie unter Ausblendung zahlreicher weiterhin ungelöster biologischer Risiken der Eindruck erweckt wird, wir könnten bald Keimbahn-Interventionen durchführen“, so Dabrock.
„Nur um die ersten zu sein, diesmal nicht auf dem Mond, sondern bei der Keimbahn-Manipulation, scheinen Labore nicht mehr nur in China, sondern auch in den USA oder in England keine Grenze mehr zu kennen. Sie scheinen bereit zu sein, schwerste Gesundheitsrisiken für spätere Menschen in Kauf zu nehmen“, sagte Dabrock.
Der Deutsche Ethikrat fordert nun in seiner Ad-Hoc-Empfehlung, dass sich der Bundestag und die Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode mit dem Thema auseinandersetzen und es auf der Ebene der Vereinten Nationen platzieren. Eine internationale Konferenz müsse zum Thema stattfinden, und es müssten global verbindliche Regularien oder völkerrechtliche Konventionen verabschiedet werden.
REFERENZEN:
1. Deutscher Ethikrat: Ad-Hoc-Empfehlung vom 29. September 2017
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Genschere CRISPR-Cas: Ethikrat fordert globale Regeln für Keimbahneingriffe am Menschen - Medscape - 13. Okt 2017.
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