In den Top-Medizinjournalen der USA haben sich die Redaktionen – als Reaktion auf das Las Vegas Massaker – nun in Editorials gegen die zunehmende Waffengewalt im Land gewandt. Was können wir Ärzte dagegen tun? Diese Frage stellen sie in Kommentaren, die simultan im New England Journal of Medicine, JAMA, Annals of Internal Medicine und PLOS Medicine erschienen sind [1;2].
Ihre Empfehlungen an die Kollegen:
nicht zu schweigen,
Patienten nach Schusswaffen zuhause zu fragen,
sich regelmäßig weiterzubilden und einzubringen,
und die Führungsebene ihrer Institution zu kontaktieren, um herauszufinden, wie man mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten kann.
Ihr Fazit lautet: „Das Einzige, was die Welt zum Besseren ändern kann, ist eine Gruppe von Menschen, die daran glauben, dass sie die Welt ändern können. In Bezug auf Verletzungen und Todesfälle durch Schusswaffen – lassen Sie uns alle Teil einer solchen Gruppe werden!“
Das Attentat von Stephen Paddock, der am 1. Oktober in Las Vegas 58 Menschen getötet und hunderte teils schwer verletzt hat und dessen Motive nach wie vor ungeklärt sind, hat zu vielen Diskussionen in den USA geführt – auch in der Ärzteschaft. Wie viele Personen in den umliegenden Krankenhäusern versorgt werden mussten, ist immer noch unklar; die Angaben schwanken zwischen 489 und 527 Patienten. Dass es, obwohl der Täter mit Schnellfeuergewehren geschossen hatte, nicht noch mehr Opfer gab, wird vor allem auf ein gut koordiniertes Klinik-Netzwerk mit Trauma-Zentren zurückgeführt.
Versorgung in Trauma-Zentren
„Wir krochen über Tote“, schilderte eine Überlebende gegenüber der Nachrichtenagentur dpa die damalige Situation: Viele Menschen hätten blutüberströmt am Boden gelegen. Schon nach kurzer Zeit trafen Polizei und Rettungskräfte vor Ort ein. Der Täter hatte sich bekanntlich direkt nach der Tat selbst erschossen.
Aufgrund von erprobten Triage-Verfahren gelang es Ärzten, die Patienten je nach Schweregrad ihrer Verletzung in geeigneten Einrichtungen zu versorgen, berichten US-Medien. So brachten Rettungskräfte 104 Schwerverletzte in das University Medical Center of Southern Nevada (UMCSN), das einzige Trauma-Zentrum der Stufe I im Bundesstaat.
US-Einrichtungen dieser Art werden in mehrere Level eingeteilt. Bei der Stufe I sind von der Ausstattung her umfassende Behandlungen schwerer Verletzungen möglich. Zur Zertifizierung müssen mindestens 1.200 Trauma-Patienten pro Jahr versorgt werden. In Stufe II und III sind die Ausbildungs- und Schulungsanforderungen geringer. Stufe-IV- bzw. Stufe-V-Zentren stabilisieren Patienten und transportieren sie gegebenenfalls weiter.
Die für die Zertifizierung notwendige Zahl an Patienten in den Trauma-Zentren zu erreichen, ist in den USA – leider – nicht so schwierig: „Eine überraschend hohe Zahl von Menschen, nämlich 78.000 pro Jahr, werden in US-Krankenhäusern aufgrund von Schusswaffenverletzungen behandelt“, berichtet Dr. Faiz Gani von der Chirurgie der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore in einer aktuellen Publikation [3]. Er hat in einer am 2. Oktober erschienenen Studie aus Daten des Nationwide Emergency Department Sample, einer Kohorte mit Notfallpatienten, die gesundheitsökonomischen Kosten durch solche Verletzungen berechnet.
Im JAMA ergänzt Dr. James M. Shultz von der University of Miami Miller School of Medicine, Donald Soffer Clinical Research Center in Miami: „An einem durchschnittlichen Tag in den USA werden 93 Einwohner durch Schusswaffen getötet und mindestens doppelt so viele verletzt.“
Die gesundheitsökonomischen Folgen laut Gani: Pro Kopf fallen 5.254 US-Dollar für die Notfallversorgung und weitere 95.887 US-Dollar für den stationären Aufenthalt an. Alle medizinischen Kosten summierten sich landesweit jährlich auf 2,8 Milliarden US-Dollar. Weitere 46 Milliarden US-Dollar kämen aufgrund von Arbeitslosigkeit, Verrentung oder Anschlusstherapien hinzu.
Unzureichende Behandlung psychischer Folgen
Shultz und seine Mitautoren betonen auch die langfristigen Folgen für die psychische Gesundheit der Opfer wie posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen oder Angstzustände. Der Experte verweist auf die Strategien, die sich nach dem Massaker auf der norwegischen Insel Utøya durch den Attentäter Anders Behring Breivik im Jahr 2011 bewährt haben. Diese Strategie basiert auf 3 Hauptprinzipien: Proaktivität, Kontinuität und gezielte Interventionen.
So stellen Kriseninterventionsteams proaktiv Kontakt zu nichthospitalisierten Hinterbliebenen her. Patienten werden direkt nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus kontaktiert. Um die Kontinuität zu gewährleisten, bleiben Ärzte über eine vorher benannte Kontaktperson mit den Patienten in Verbindung. Und per UCLA PTSD Reaction Index, einem Screening-Tool, erfassen sie, ob weitere gezielte Interventionen bzw. Therapien erforderlich sind.
„Die Utøya-Interventionen waren damals bereits in das staatliche Gesundheitssystem Norwegens eingebettet“, berichtet Shultz. „Die Vereinigten Staaten haben derzeit kein solch organisiertes System, um Entsprechendes zu leisten. Hier besteht großer Nachholbedarf.“
Waffengesetze: Ärzte sollten sich einbringen
Was können aber Ärzte individuell darüber hinaus noch unternehmen? Mit dieser Frage befasst sich Dr. Darren B. Taichman, stellvertretender Chefredakteur im New England Journal of Medicine in seinem Editorial. Er plädiert dafür, dass sich auch Ärzte „für eine vernünftige Waffengesetzgebung einsetzen“, entsprechende Organisationen unterstützen oder selbst für öffentliche Ämter kandidieren.
Und zudem sieht er ärztliche Möglichkeiten, „Patienten im sicheren Umgang mit der Waffe zu erziehen“. Dabei spricht Taichman vor allem die Aufbewahrung zu Hause an, um den unbefugten Zugriff Dritter zu verhindern. Damit ließe sich die Wahrscheinlichkeit für solche Massaker weiter reduzieren, meint er.
REFERENZEN:
1. Shultz JM, et al: JAMA (online) 9. Oktober 2017
2. Taichman DB, et al: NEJM (online), 9. Oktober 2017
3. Gani F, et al: Health Affairs (online) 2. Oktober 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Las Vegas Shooting“: Die großen medizinischen Fachjournale in den USA wenden sich gegen zunehmende Schusswaffen-Gewalt - Medscape - 11. Okt 2017.
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