DEVOTE-Studie: Wie wichtig sind schwere Hypoglykämien und glykämische Variabilität für die Prognose bei Typ-2-Diabetes?

Lissabon – Die DEVOTE-Studie hat das sehr lang wirkende, einmal täglich zu injizierende Basalinsulin degludec (Tresiba®, Novo Nordisk) mit Insulin glargin (Lantus®, Sanofi) verglichen, das üblicherweise bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mit einem hohen kardiovaskulären Risiko eingesetzt wird. Weitere Analysen der DEVOTE-Resultate haben nun neue Erkenntnisse zum möglichen Zusammenhang zwischen glykämischer Variabilität und schweren Hypoglykämien geliefert – und welche Konsequenzen diese für das kardiovaskuläre Risiko und schwere kardiovaskuläre Komplikationenen und Tod haben.

Dr. Bernie Zinman vom Mount Sinai Hospital in Toronto, Kanada, präsentierte die sekundären Ergebnisse der DEVOTE-2-Analyse auf der 53. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) [1]. Das Hauptergebnis: Schwankte der Nüchtern-Blutzuckerwert von Tag zu Tag waren sowohl das Risiko für schwere Hypoglykämien sowie die Gesamt-Mortalität erhöht. Nicht erhöht war trotz glykämischer Variabilität aber das Risiko für ernste kardiovaskuläre Komplikationen – wie Herztod, Myokardinfarkt – oder für dringende kardiovaskuläre Interventionen. Die Ergebnisse aus DEVOTE-2 sind gleichzeitig in der Zeitschrift Diabetologia veröffentlicht worden [2].

„Hier handelt es sich um neue und präspezifizierte sekundäre Analysen“, erklärte der wissenschaftliche Leiter der DEVOTE-Studie Dr. John B. Buse von der School of Medicine an der Universität von North Carolina in Chapel Hill. Endergebnisse aus der Studie DEVOTE (Comparing Cardiovascular Safety of Insulin Degludec versus Insulin Glargine in Patients with Type 2 Diabetes at High Risk of Cardiovascular Events) wurden erstmals auf den wissenschaftlichen Sitzungen der American Diabetes Association (ADA) im Juni 2017 vorgestellt (wie Medscape berichtete). Sie zeigten, dass Insulin degludec im Hinblick auf die kardiovaskuläre Sicherheit Insulin glargin ebenbürtig ist. Unter Insulin degludec war die Häufigkeit schwerer Hypoglykämien allerdings um relativ 40% geringer als unter glargin; nächtliche schwere Unterzuckerungen waren sogar um relativ 53% seltener.

Schwere Hypoglykämien verhindern sollte oberstes Ziel sein

Dr. Thomas R. Pieber von der Medizinischen Universität in Graz, Österreich, stellte Daten zum Zusammenhang zwischen schweren Hypoglykämien und allen Todesursachen aus der DEVOTE-3-Analyse vor, die ebenfalls in Diabetologia publiziert sind [3]. Danach gab es keine eindeutige Assoziation zwischen schwerer Hypoglykämie und ernsten kardiovaskulären Komplikationen (MACE) – dies obwohl ein signifikant höheres Risiko für einen kardiovaskulär bedingten Tod direkt im Anschluss nach einem schweren hypoglykämischen Ereignis bestand. „Die Daten sprechen für eine zeitliche Beziehung zwischen schwerer Hypoglykämie und Gesamt-Mortalität“, erläuterte Pieber. Sie seien daher ein Indiz dafür, dass schwere Unterzuckerungen mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko einhergingen.

In Lissabon war Dr. Martin Rutter, Hochschuldozent für Kardiometabolische Medizin an der Manchester Royal Infirmary, England, eingeladen worden, einen unabhängigen Kommentar zu den Präsentationen zu geben. Aus seiner Feder stammt außerdem ein Editorial zu DEVOTE-2 und DEVOTE-3, das ebenfalls in Diabetologia erschienen ist [4]. „Während DEVOTE-2 und DEVOTE-3 die Mortalitätsrisiken stärker ins Bewusstsein rücken, die mit glykämischer Variabilität und schweren Hypoglykämien bei Insulin behandelten Hoch-Risiko-Patienten mit Diabetes verbunden sind, können beide Studien die kausalen Zusammenhänge nicht klären“, schreibt Rutter.

 
Hier handelt es sich um neue und präspezifizierte sekundäre Analysen. Dr. John B. Buse
 

„Schwere Hypoglykämie bei Typ2-Diabetes zu verhindern, sollte ohnehin bereits Priorität in der klinischen Praxis besitzen“, betont er. Weitere klinische Studien seien nötig, damit Ärzte entscheiden könnten, ob es sinnvoll sei, den Fokus auf die Glukose-Variabilität und das Risiko für eine schwere Hypoglykämie zu legen, um die Risiken für schwere kardiovaskuläre Komplikationen und Tod bei diesen Menschen zu reduzieren.

Kann glykämische Variabilität bereits als verlässlicher Indikator dienen?

Wie Zinman im Rahmen seines DEVOTE-2-Vortrags erläuterte, ist HbA1c nicht der einzige Index für die glykämische Kontrolle. „Die Daten sprechen dafür, dass ein Basalinsulin, das sich durch eine geringe Variabilität von Tag zu Tag auszeichnet, klinisch vorteilhaft ist, weil dadurch der Nüchtern-Blutzucker weniger stark schwankt“, sagte er.

Laut Rutter sind diese neuen Resultate wichtig und kämen zur rechten Zeit. Er zollte DEVOTE-2 Beifall, weil sie die größte Studie zu Insulin behandelten Hoch-Risiko-Patienten mit Typ-2-Diabetes sei, die die Blutzucker-Variabilität mit schweren kardiovaskulären Komplikationen, Mortalität und dem Risiko für schwere Hypoglykämien in Beziehung setzt – und außerdem mit Daten von hoher Qualität und eindeutigen Ereignissen unterlegt. Dennoch gebe es auch Schwächen.

„Es handelt sich um Beobachtungsdaten. Und es gab zu Beginn der Studie Unterschiede bei den Risikofaktoren für die einzelnen Variabilitäts-Gruppen”, bemerkte Rutter. Deshalb könne eine hohe Blutzucker-Variabilität schlicht ein Marker für andere nicht erfasste Zustände oder Verhaltensweisen sein, die eine schwere Hypoglykämie und eine höhere Mortalität nach sich ziehen. Als ein Beispiel führte er die autonome Neuropathie an.

Bei einigen Analysen stehe die Statistik auf eher schwachen Füßen, bemängelte Rutter weiter, und die Glukose-Variabilität werde lediglich durch 3 Messungen des Nüchtern-Wertes pro Monat erfasst. Ein kontinuierliches Glukose-Monitoring hätte bessere Daten zur glykämischen Variabilität geliefert. „Wenn ich ehrlich bin, ist die Zeit noch nicht reif, auf die glykämische Variabilität zu setzen, wenn es darum geht, die Häufigkeit schwerer Hypoglykämien zu reduzieren“, bekannte Rutter.

Es gebe mehrere laufende Studien zum Typ-2-Diabetes, bei denen der primäre Endpunkt die Verminderung der Glukose-Variabilität sei, aber leider keine mit dem Ziel, kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren. Als Hinderungsgründe führte Rutter an, dass solche Studien schwer durchzuführen seien und die Pharmaunternehmen deshalb kaum Interesse an ihnen hätten. Enttäuschende Ergebnisse zur postprandialen Hyperglykämie lieferten im Übrigen auch HEART2D und die Acarbose Cardiovascular Evaluation (ACE)-Studie, die ebenfalls auf der EASD-Konferenz berichtet wurden.

Alles in allem zeigten diese neuen aussagekräftigen Beobachtungsdaten zwar, dass stark schwankender Nüchtern-Blutzuckerwerte mit schweren Hypoglykämien und einer höheren Mortalität assoziiert seien. Damit seien aber weitere Studien erforderlich, um zu entscheiden, ob die Senkung der Glukose-Variabilität schwere Hypoglykämien, das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität zu reduzieren vermag.

 
Die Daten sprechen für eine zeitliche Beziehung zwischen schwerer Hypoglykämie und Gesamt-Mortalität. Dr. Thomas R. Pieber
 

DEVOTE-3: „Wir wissen nicht, ob schwere Hypoglykämien die Todesursache waren“

DEVOTE ist nicht die 1. Studie, die sich mit den kardiovaskulären Folgen bei Typ-2-Diabetes beschäftigt, um zu zeigen, dass zwischen schweren Hypoglykämien und vermehrt auftretenden schweren kardiovaskulären Komplikationen sowie der Gesamt-Mortalität ein Zusammenhang besteht. Zuvor haben dies bereits ACCORD, ADVANCE, VADT, LEADER, ORIGIN und EXAMINE untersucht.

Rutter sprach DEVOTE-3, die die zeitlichen Beziehungen der Hypoglykämie und ihrer Folgen bewertete, eine ebenso hohe Qualität wie DEVOTE-2 zu. Er machte aber auch hier Schwächen aus. So habe man nicht überprüft, welchen Anteil leichte hypoglykämische Episoden haben, und wie es um Studienteilnehmer mit mehrfach aufgetretenen schweren Hypoglykämien bestellt gewesen ist.

Bei einer Beobachtungsstudie wie dieser könnten die Unterschiede in den Ausgangsmerkmalen zwischen den Individuen mit und ohne Hypoglykämie einige der aufgezeigten Beziehungen erklären: „Ist die Beziehung kausal oder eher auf Faktoren wie körperliche Schwäche zurückzuführen? Ist eine schwere Hypoglykämie als eine Art Marker zu bewerten?“, so Rutters Fragen. „Wir wissen nicht, ob bei jenen, die nach einer schweren Hypoglykämie starben, die schwere Hypoglykämie die eigentliche Todesursache gewesen war“, hob er hervor.

DEVOTE liefere keine Erklärung, wie Ärzte mit einer schweren Hypoglykämie umgehen sollten, um Komplikationen zu vermeiden, so Rutter. Ihm leuchte außerdem nicht ein, wie sich eine einzige Episode einer schweren Hypoglykämie auf die Mortalität ein Jahr später auswirken solle. „DEVOTE-3 bringt die Mortalitätsrisiken, die mit schwerer Hypoglykämie verbunden sind, stärker ins Bewusstsein und macht deutlich, dass dem Erkennen und der Prävention einer Hypoglykämie bei Typ-2-Diabetes nicht die Aufmerksamkeit zu Teil wird, die sie verdienen“, so Rutter weiter.

 
Schwere Hypoglykämie bei Typ2-Diabetes zu verhindern, sollte ohnehin bereits Priorität in der klinischen Praxis besitzen. Dr. Martin Rutter
 

Insgesamt lieferten die DEVOTE-3-Daten eindeutige Hinweise, dass – wenn sinnvoll – bei Typ-2-Diabetes häufiger Therapien eingesetzt werden sollten, die das Risiko einer Hypoglykämie senken:  wie SGLT2-Inhibitoren, DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Agonisten sowie schnell und sehr lang wirkende Insulin-Analoga, einschließlich des Insulins degludec.

Nach Ansicht Rutters gibt die Studie letztlich auch Anregungen für weitere Forschung: Große Kohorten-Studien mit kontinuierlicher Überwachung des Glukose-Spiegels und EKG-Monitoring könnten wichtige Erkenntnisse bringen. Außerdem könnten Studien, bei denen das Risiko für eine schwere Hypoglykämie im Mittelpunkt stehe, den Nutzen einer Intervention auf dieser Ebene quantifizieren, um die Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen und die Mortalitätsrisiken zu vermindern.

App sagt Risiko für Hypoglykämie voraus

Buse stellte eine Post-hoc-Analyse zu einem Risiko-Score für schwere Hypoglykämien vor, dem Informationen von bekannten Risikofaktoren aus DEVOTE zugrunde liegen. Diese Faktoren sollten das Risiko für das Auftreten eines hypoglykämischen Ereignisses beeinflussen. „Wir wollten wissen, ob wir in DEVOTE vorhersagen konnten, wer im weiteren Verlauf eine Hypoglykämie entwickeln wird“, erklärte er.

Wie sich herausstellte, lieferte die lange Liste an Risikofaktoren aus DEVOTE keine zuverlässigeren Prognosen wie eine kürzere aus „traditionellen“ Risikofaktoren. Zu diesen gehört das Therapie-Regime für Insulin (irgendeines, nur basal oder basal und Bolus), die Dauer der Diabetes-Erkrankung, das Geschlecht, das Alter und der HbA1c bei der Basismessung. „Folglich wurde die kürzere Liste benutzt, um den Risiko-Score zu entwickeln, weil sich diese leichter in die klinische Praxis übertragen lässt“, erläuterte Buse das Vorgehen.

Buse und seine Kollegen entwickelten auf dieser Grundlage eine App, die das Risiko für eine Hypoglykämie vorhersagt, aber auch für schwere kardiovaskuläre Komplikationen und die Gesamt-Mortalität. Diejenigen Patienten mit dem höchsten Risiko-Wert für eine schwere Hypoglykämie in der DEVOTE-Studie profitierten insofern von Insulin degludec, als ihr Risiko für eine schwere Hypoglykämie und für schwere kardiovaskuläre Komplikationen sank.

 
DEVOTE-3 bringt die Mortalitätsrisiken, die mit schwerer Hypoglykämie verbunden sind, stärker ins Bewusstsein. Dr. Martin Rutter
 

„Die App ist eine großartige Idee. Lasst sie uns ausprobieren und anwenden“, forderte Rutter seine Kolleginnen und Kollegen auf. Die App ist online verfügbar unter https://tracs.unc.edu/DEVOTE.


Dieser Artikel wurde von Dr. Ingrid Horn aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.



REFERENZEN:

1. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 12. bis 16. September 2017, Lissabon/Portugal

2. Zinman B, et al: Diabetologia (online) 15. September 2017

3. Pieber TR, et al: Diabetologia (online) 15. September 2017

4. Rutter MK: Diabetologia (online) 15. September 2017

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....