„Feuchte“ altersabhängige Makula-Degeneration: Experten plädieren für weniger starres „Treat-and-Extend“-Therapieschema

Dr. Klaus Fleck

Interessenkonflikte

10. Oktober 2017

Berlin – Entscheidend für die erfolgreiche Therapie der neovaskulären („feuchten“) altersabhängigen Makula-Degeneration (nAMD) sind eine frühe Diagnose und der zeitnahe Beginn regelmäßiger Injektionen von Anti-VEGF-Substanzen. „Trotz der prinzipiell sehr guten Wirkung dieser Medikamente werden viele Patienten jedoch aufgrund eines zu starren herkömmlichen Therapieschemas nur unzureichend behandelt – sie könnten von einer Flexibilisierung dieses Schemas profitieren“, erklärte PD Dr. Monika Fleckenstein, Leiterin des Klinischen Studienzentrums der Universitäts-Augenklinik Bonn, auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des 115. Kongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in Berlin [1].

PD Dr. Monika Fleckenstein

Im Ausland bereits mit guten Erfahrungen etabliert, setzt sich deshalb nun auch hierzulande zunehmend das sogenannte Treat-and-Extend-Schema bei der Betreuung von nAMD-Patienten durch.

Barrieren beim herkömmlichen Therapieschema

Bei der in Deutschland noch stark verbreiteten, herkömmlichen Betreuung mittels PRN-Schema (pro re nata, nach Bedarf) wird der Patient alle 4 Wochen zu einer Untersuchung einbestellt. Eine intravitreale operative Medikamentengabe (IVOM, z.B. mit Ranibizumab oder Aflibercept) erhält er nur beim Nachweis einer aktuellen Krankheitsaktivität. „Dieses Schema ist jedoch mit zahlreichen Herausforderungen und damit Barrieren verbunden“, so Fleckenstein: „So sind dabei sehr viele Klinik- bzw. Praxisbesuche notwendig, die für Patienten und ihre Angehörigen in vielerlei Hinsicht eine hohe Belastung darstellen.“

Dies betreffe etwa die Organisation des Transports und eventuell einer Begleitung, den Zeitaufwand für den Besuch in der Klinik oder Praxis und Ängste vor der Injektion. Das resultiert nicht selten in einer schlechteren Compliance. Eine internationale retrospektive Untersuchung der Anti-VEGF-Behandlungsrealität zeigte für Deutschland deutliche Defizite bei der Behandlungsintensität und dem Visusverlauf der Patienten: „Wir behandeln die feuchte AMD einfach noch zu wenig“, bestätigte die Bonner Ophthalmologin im Gespräch mit Medscape.

Flexibilisierung durch Treat-and-Extend-Schema

„Vor dem Hintergrund der aus demographischen Gründen steigenden Zahlen der – oft multimorbiden – Patienten gibt es auch für die behandelnden Zentren große organisatorische, logistische und bürokratische Herausforderungen“, sagte Fleckenstein. Für die häufigen Konsultationstermine sei beim herkömmlichen Schema etwa nur eingeschränkt planbar, ob im Einzelfall Diagnostik ausreiche oder bei Bedarf OP-Kapazität für die Medikamenteninjektion freigehalten werden müsse.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hat sich in mehreren Ländern bereits seit einiger Zeit das sogenannte Treat-and-Extend (T&E)-Schema zur Behandlung der nAMD etabliert. „Die Ergebnisse mehrerer großer Studien legen nahe, dass mit T&E im Einzelfall mindestens ebenso gute Ergebnisse erzielt werden können wie selbst im Idealfall mit den bisherigen Behandlungsschemata, für die Patienten jedoch signifikant weniger Augenarzt-Besuche notwendig sind“, so Fleckenstein.

 
Wir behandeln die feuchte AMD einfach noch zu wenig. PD Dr. Monika Fleckenstein
 

Statt nach 4 ist oft erst nach 8 Wochen die nächste Visite nötig

Nach den initialen Injektionen wird der Patient auch beim T&E-Schema zunächst nach 4 Wochen wieder einbestellt. Der Unterschied zum PRN-Schema: Ist keine Krankheitsaktivität nachweisbar, wird das Intervall um 2 Wochen auf 6 und bei den nächsten Visiten eventuell auf 8, 10 oder sogar 12 Wochen verlängert, dafür wird aber bei jeder Visite eine Injektion vorgenommen.

Wird hingegen Krankheitsaktivität festgestellt, werden die Intervalle wieder um 2 Wochen verkürzt. In einer prospektiven Multizenter-Studie war bei 45% der T&E-Patienten nur noch alle 8 Wochen oder sogar noch seltener eine Visite notwendig. Ist ein Intervall von 12 Wochen ohne Aktivitätszeichen erreicht, dann stehen der Bonner Ophthalmologin zufolge die Chancen gut, dass die Therapie für längere Zeit ausgesetzt werden kann.

Günstige Wirkung auf die Compliance und bessere Planbarkeit

Vorteile der T&E-Methode: „Die selteneren Patientenvisiten wirken sich günstig auf die Compliance aus“, so Fleckenstein. „Ein nicht zu unterschätzender psychologischer Faktor ist, dass der Patient genau weiß, was auf ihn zukommt, nämlich eine Untersuchung und eine Injektion. Das behandelnde Zentrum wiederum kann sich auf einheitliche Untersuchungs- und Behandlungssequenzen einstellen und seine OP-Kapazität besser planen.“

 
Die selteneren Patientenvisiten wirken sich günstig auf die Compliance aus. PD Dr. Monika Fleckenstein
 

Die Autoren einer aktuellen Literaturübersicht zu 9 T&E-Studien vermuten, dass sich mit dem T&E-Schema bei nAMD-Patienten sogar bessere Visus-Ergebnisse als mit der herkömmlichen PRN-Methode erzielen lassen.

Neue Medikamente für längere Wirksamkeit

Die Behandlungsabstände ließen sich möglicherweise auch mit neuen Medikamenten vergrößern. So könnte eine längere bzw. stärkere Wirksamkeit eventuell durch neue Präparate erzielt werden, die eine höhere Bindungsaffinität an den Wachstumsfaktor VEGF bzw. kleinere Moleküle haben: Sie können dadurch Gewebe besser durchdringen und für höhere Wirkstoffkonzentrationen sorgen.

Fleckenstein verwies in diesem Zusammenhang auf laufende klinische Studien mit den Substanzen Brolucizumab (RTH258, Novartis) und Abicipar Pegol (Allergan). Die Kombination von VEGF-Hemmstoffen mit Substanzen, die andere Signalwege der Gefäßneubildung bei der feuchten AMD beeinflussen – wie Antikörper gegen Angiopoietin 2 – sei zudem ein vielversprechender Therapieansatz bei Poor Respondern, die nur schlecht auf die herkömmlichen VEGF-Inhibitoren ansprechen. Diese Patientengruppe wird auf mehr als 10% geschätzt.



REFERENZEN:

1. Vorab-Pressekonferenz am 21. September 2017 anlässlich des 115. Kongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), 28. September bis 1. Oktober 2017, Berlin

Kommentar

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