Lissabon – Mit dem Insulinsensitizer Pioglitazon und den Sulfonylharnstoffen Glibenclamid, Gliclazid sowie Glimepirid lässt sich als Add-on-Therapie zu Metformin bei zuvor schlecht eingestellten Typ-2-Diabetikern, deren Blutzucker gut einstellen, und es gibt keine Hinweise auf kardiovaskuläre Gefahren. So lautet das Fazit aus den 5-Jahres-Sicherheitsdaten der TOSCA IT-Studie (Thiazolidinediones or Sulphonylureas Cardiovascular Accidents Intervention Trial), die auf dem Kongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2017 in Lissabon vorgestellt und in Lancet Diabetes and Endocrinology veröffentlicht worden ist [1;2].
„Die Studie hat gezeigt, dass sowohl Pioglitazon als auch die Sulfonylharnstoffe als Add-on zu Metformin mit niedrigen kardiovaskulären Ereignisraten und kaum klinisch relevanten Nebenwirkungen einhergehen – sofern sie bei den richtigen Patienten und in der passenden Dosis eingesetzt werden“, berichten Dr. Olga Vaccaro, Federico II Universität von Neapel, Italien, und Kollegen.
Genauer gesagt habe sich kein Unterschied hinsichtlich des kombinierten primären Studienendpunkts – Mortalität, schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) oder Revaskularisierung – gezeigt, ergänzte Prof. Dr. Enzo Bonora, ebenfalls von der Federico II Universität von Neapel, auf dem EASD-Kongress.
Daher „können Pioglitazon und Sulfonylharnstoffe unter gewissen klinischen Gegebenheiten weiterhin Optionen für eine kombinierte Behandlung des Typ-2-Diabetes darstellen“, bemerkte Bonora. Pioglitazon habe in der Studie bei der langfristigen Blutzuckerkontrolle besser abgeschnitten. Und insgesamt sei das kardiovaskuläre Risiko bei allen Studienteilnehmern niedrig gewesen, sagte er.
„Beide gleich gut“ – einziger erhältlicher Insulinsensitizer
Diese Vergleichsdaten seien sehr willkommen, kommentierte Prof. Dr. Rury R. Holman, Direktor der Diabetes-Studieneinheit der Universität Oxford, Großbritannien, gegenüber Medscape. „Ich denke, dass Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon hier gleich gut abgeschnitten haben.“ Jedoch habe die Studie aufgrund der unerwartet niedrigen Ereignisraten zu wenig Aussagekraft.
Das niedrige kardiovaskuläre Ereignisrisiko könnte eher auf Metformin als auf die Zusatzmedikation zurückzuführen sein, ergänzte er. Nichtsdestotrotz „vergebe ich als Fazit ein Vertrauensvotum für Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon“.
„Die Quintessenz lautet, dass Pioglitazon für die passenden Patienten tolerabel und sicher zu sein scheint, bei nachhaltig guter Blutzuckerkontrolle“, sagte Prof. Dr. Marja-Riitta Taskinen, Universität Helsinki, Finnland, die die Studienpräsentation kommentierte, im Gespräch mit Medscape. „In der TOSCA-Studie waren zwar keine kardiovaskulären Risikominderungen erkennbar, aber die kardiovaskuläre Sicherheit ist zufriedenstellend.“
In einem begleitenden Editorial zur Studienpublikation schreiben Drs. Vivian A. Fonseca und Dragana Lovre, beide von der Tulane University in New Orleans, USA: „Die Ergebnisse liefern 5-Jahres-Sicherheitsdaten für zwei häufig eingesetzte Antidiabetika. Beide, Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon, haben wenige Nebenwirkungen, wenn sie den richtigen Patienten in der richtigen Dosis verschrieben werden“ [3].
Diese Erkenntnisse zeigten, dass Pioglitazon den Blutzucker effektiv und dauerhaft reduziere, so die Experten weiter. Er sei der einzige verfügbare Insulinsensitizer, der noch im Klinikalltag eingesetzt werde. Wegen des möglicherweise erhöhten Risikos für das Auftreten von Blasenkrebs und Herzinsuffizienz wird Pioglitazon – auch in Deutschland – nur noch bei bestimmten Patienten eingesetzt, nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken.
Kardiovaskuläre Sicherheit der Zweitlinientherapie
Aktuell werde Metformin als Erstlinientherapie zur Blutzuckerkontrolle bei Typ-2-Diabetikern empfohlen. Die Wahl der Zweitlinientherapie hingegen falle weniger leicht, sagte Dr. Gabriele Riccardi, Universität Federico II, Neapel, Italien, auf dem EASD-Kongress. Am häufigsten greife man auf Sulfonylharnstoffe zurück, vor allem in Entwicklungsländern, da sie kostengünstig und bekannt wären. Jedoch wäre ihre kardiovaskuläre Sicherheit „angezweifelt worden“.
Pioglitazon könnte eine adäquate Alternative darstellen, obwohl Bedenken hinsichtlich klinisch relevanter Nebenwirkungen bislang nicht gänzlich ausgeräumt werden konnten. Daher hatten die Forscher einen Vergleich der Langzeitwirkungen von Pioglitazon gegenüber Sulfonylharnstoffen als Add-on zu Metformin angestrebt.
Zwischen September 2008 und Januar 2014 wurd en in 57 diabetischen Zentren 3.028 Patienten (Alter 50-75 Jahre) mit Typ-2-Diabetes randomisiert, deren Blutzucker durch Metfromin alleine (2-3 g/Tag) unzureichend kontrolliert war. Die Patienten enthielten entweder Pioglitazon (15-45 mg) oder einen der Sulfonylharnstoffe (5-15mg Glibenclamid, 2% der Studienteilnehmer; 2-6 mg Glimepirid, 48% oder 30-120 mg Gliclazid, 50%), je nach den Gewohnheiten der Klinik.
Nur 11% der Studienteilnehmer hatten bereits vor Studienbeginn ein kardiovaskuläres Ereignis durchgemacht. Der primäre kombinierte Studienendpunkt setzte sich zusammen aus Gesamtmortalität, nicht-tödlichem Myokardinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall oder dringender koronarer Revaskularisierung.
Nebenwirkungen unter Pioglitazon und Sulfonylharnstoffen gering
Die Studie wurde nach einem durchschnittlichen Follow-up von 57,4 Monaten vorzeitig gestoppt, da eine Zwischenauswertung im primären Endpunkt keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen ergab (Hazard Ratio [HR] 0,96, p = 0,79). In der Pioglitazon-Gruppe traten signifikant weniger Hypoglykämien auf als in der Sulfonylharnstoffgruppe (10% vs 34%; p < 0,0001). Die Patienten in beiden Gruppen nahmen leicht an Gewicht zu (im Schnitt weniger als 2 kg).
Die niedrige Nebenwirkungsrate in TOSCA IT sei „bemerkenswert“, schreiben die Editorialisten. Die Gewichtszunahme sei niedrig gewesen, Hypoglykämien traten unter Sulfonylharnstoffen seltener auf als erwartet und die bekannten Nebenwirkungen unter Pioglitazon zeigten sich nur gelegentlich, bemerken sie. Das könnte zumindest teilweise auf die weniger als maximale Dosierung der Medikamente zurückzuführen sein, vermuten sie. „Eine weitere Lektion für die klinische Praxis.“
Zwischen den Gruppen bestand kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Auftretens von Herzinsuffizienz, Blasenkrebs oder Frakturen. Unter Pioglitazon erreichten die Patienten eine leicht aber doch signifikant bessere Blutzuckerkontrolle als unter den Sulfonylharnstoffen. „Beide gut verfügbaren und kostengünstigen Antidiabetika sind bezüglich ihrer Effektivität und unerwünschter Ereignisse geeignete Optionen, obwohl unter Pioglitazon weniger Hypoglykämien aufgetreten sind“, schlussfolgert die Studiengruppe.
Holman sagte abschließend, er freue sich auf weitere Analysen aus dieser Studie, inklusive einer Kostenkalkulation.
Dieser Artikel wurde von Julia Rommelfanger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 12. bis 16. September 2017, Lissabon/Portugal
2. Vaccaro O, et al: Lancet Diabetes Endocrinol (online) 13. September 2017
3. Fonseca VA, et al: Lancet Diabetes Endocrinol (online) 13. September 2017
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Diesen Artikel so zitieren: Alt, aber nicht so schlecht – „Vertrauensvotum“ für Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon in 5-Jahresstudie TOSCA - Medscape - 9. Okt 2017.
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