Lissabon – Eine kontinuierliche Glukosemessung (CGM) während der Schwangerschaft verbessert bei Frauen mit Typ-1-Diabetes die neonatalen Outcomes im Vergleich zur traditionellen Blutzuckermessung, so die Ergebnisse der 1. Studie, die einen gesundheitlichen Benefit der CGM über die Glukosekontrolle hinaus zeigt.
Die Erstautorin, Dr. Denice Feig von der Universität von Toronto, Kanada, und die Seniorautorin, Prof. Dr. Helen Murphy von der Universität von East Anglia, Großbritannien, präsentierten die Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten Studie CONCEPTT beim Europäischen Diabetes-Kongress in Lissabon [1]. Zeitgleich erschienen die Studienergebnisse in The Lancet [2].
Zahlreiche Vorteile durch die CGM
Ausgehend von ihren Ergebnissen sprachen sich die beiden Wissenschaftlerinnen dafür aus, allen schwangeren Frauen mit Typ-1-Diabetes eine CGM anzubieten, um so die gesundheitlichen Risiken für die Neugeborenen zu minimieren. „Der Einsatz einer CGM bei schwangeren Frauen mit Typ-1-Diabetes ist aufgrund einer verringerten Exposition gegenüber Hyperglykämien mit verbesserten gesundheitlichen Outcomes beim Neugeborenen assoziiert“, sagte Murphy.
„Die schwangeren Frauen, die eine CGM anwendeten, hatten niedrigere HbA1c-Werte – der primäre Endpunkt der Studie –, aber was noch wichtiger ist, sie hatten im Alltag bessere Blutzuckerspiegel. Sie befanden sich 100 Minuten mehr am Tag im empfohlenen Zielbereich (3,5-7,8 mmol/l; 63-140 mg/dl)“, betonte sie.
Sie ergänzte, dass die CGM ähnlich gute Effekte hatte, unabhängig davon, ob die Frauen eine Insulinpumpe nutzten oder sich mehrfach am Tag Insulin spritzten. Allerdings hatte sich in einer 2. Kohorte von Frauen mit Typ-1-Diabetes – nämlich solchen, die eine Schwangerschaft planten – „kein konsistenter Nutzen der CGM ergeben“.
Was die neonatalen Outcomes – ein sekundärer Endpunkt der Studie – angeht, zeigte sich, dass das Risiko für Large-for-gestational-age (LGA)-Babys bei den CGM-Anwenderinnen „um fast die Hälfte reduziert war“, sagte Murphy. Neugeborene von CGM-Müttern benötigten außerdem seltener eine Versorgung auf der Intensivstation über mindestens 24 Stunden, konnten einen Tag früher aus dem Krankenhaus entlassen werden und mussten seltener aufgrund neonataler Hypoglykämien mit intravenöser Dextrose behandelt werden. All diese Punkte hätten auch ein „Potenzial für Kostenersparnisse“, sagte sie.
In einer Pressemitteilung kommentierte Dr. Daghni Rajasingam, Geburtshelferin am Guys and St Thomas' NHS Foundation Trust, London, und Sprecherin des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists, London, Großbritannien, dass es wichtig sei, zu berücksichtigen, dass frühere Studienergebnisse zu CGM in der Schwangerschaft widersprüchlich ausgefallen seien.
Auch wenn „diese jüngste Studie keinen … signifikanten Nutzen für Frauen zeigt, die eine Schwangerschaft planen“, gebe es doch einige Vorteile für die Babies von Frauen, die die CGM während der Schwangerschaft nutzten, etwa „eine normale Größe bei der Geburt, kürzere Behandlungen auf der Intensivstation und weniger im Krankenhaus verbrachte Zeit“. Trotzdem sei weitere Forschung notwendig, z.B. auch Tests mit CGM in einer größeren Gruppe von schwangeren Frauen und bei Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sagte sie.
CGM versus Piks in den Finger
Die Verwendung eines CGM-Gerätes, das 288 Glukosemessungen am Tag liefert, erlaubt es Frauen, rasch auf Veränderungen des Blutzuckerspiegels zu reagieren. Die traditionelle Blutzuckermessung mit Piks in die Fingerkuppe wird dagegen durchschnittlich nur 4- bis 8-mal am Tag durchgeführt. Studien mit erwachsenen Typ-1-Diabetikern haben gezeigt, dass sich der HbA1c-Wert und Hypoglykämien verringern, wenn CGM genutzt wird, „doch es gibt sehr wenige Daten zu schwangeren Frauen“, erklärte Feig die Motivation zur Studie.
Das Ziel von CONCEPTT war, zu untersuchen, welchen Effekt eine CGM auf die glykämischen Kontrolle von Frauen mit Typ-1-Diabetes hat, die entweder bereits schwanger sind oder eine Schwangerschaft planen.
Schwangere Frauen (n = 215) und Frauen, die eine Schwangerschaft planten (n = 110), wurden in 2 getrennten Studien untersucht. In beiden Studien wurden die Teilnehmerinnen randomisiert einer CGM zusätzlich zur Blutzuckermessung im Kapillarblut oder kapillarer Blutzuckermessung alleine zugeteilt.
Der primäre Endpunkt war die Veränderung des HbA1c-Wertes zwischen der Randomisierung und der 34. Gestationswoche (bei schwangeren Frauen) oder Woche 24 bzw. Empfängnis bei Frauen mit geplanter Schwangerschaft. Die hier vorgestellten Ergebnisse legen den Fokus auf die Gruppe, die bereits schwanger war.
Die multinationale Open-Label-Studie fand an 31 Krankenhäusern in Kanada, England, Irland, Italien, Schottland, Spanien und den USA statt. Die Frauen managten ihren Diabetes mit Insulinpumpen (n = 108) oder Mehrfachinjektionen (n = 107), ihre glykämische Kontrolle war aber suboptimal (HbA1c 6,5–10% in der Schwangerschaft; sie mussten sich im ersten Drittel einer Einzelschwangerschaft befinden).
Die Hälfte der Frauen erhielt ein CGM-Gerät, die andere Hälfte nutzte die traditionelle Methode der Blutzuckermessung in Fingerkuppenblut. Das CGM-Gerät wurde etwa 24 Wochen getragen (von Woche 10–12 bis zum Ende der Schwangerschaft).
Den Frauen wurde beigebracht, wie sie das CGM-Gerät benutzen, wie sie ihre Insulindosis verändern und wie sie den Blutzucker in Kapillarblut aus der Fingerkuppe messen. Alle 4 Wochen (Wochen 12-36) kamen sie zur Kontrolle in das jeweilige Studienzentrum. Die Frauen in der Kontrollgruppe maßen mindestens 7-mal am Tag ihren Blutzucker.
CGM führte zu mehr Zeit im Zielbereich
Murphy präsentierte die Ergebnisse der Intention-to-treat-Analyse. Der primäre Endpunkt war die Veränderung des HbA1c-Wertes von der Randomisierung bis zur 34. Gestationswoche. Die Stichprobengröße war so berechnet, dass ein Unterschied zwischen den Gruppen von 0,5% nachgewiesen werden konnte.
Die Wissenschaftler fanden bei den schwangeren Frauen, die CGM nutzten, einen kleinen Unterschied beim HbA1c-Wert. Die mittlere Differenz betrug -0,19%-Punkte im Vergleich zur Kontrollgruppe, die den Blutzucker auf traditionelle Weise im Fingerkuppenblut ermittelte (p = 0,0207). Doch das bedeutet, dass der primäre Endpunkt technisch gesehen nicht erreicht wurde.
Die CGM-Nutzerinnen verbrachten mehr Zeit im HbA1c-Zielbereich (68% vs 61% bei den Kontrollen, p = 0,0034) und weniger Zeit im hyperglykämischen Zustand (> 7,8 mmol/l bzw. 140 mg/dl; 27% vs 32% bei den Kontrollen, p = 0,0279).
Im Hinblick auf schwere Hypoglykämien schnitten die beiden Gruppen jedoch ähnlich ab (18 in der CGM-Gruppe und 21 in der Kontrollgruppe), ebenso wie bei der im hypoglykämischen Zustand verbrachten Zeit (3% vs 4%, p = 0,10).
Die Frauen in der CGM-Gruppe suchten signifikant häufiger den Kontakt zum Studienpersonal als die Frauen in der Kontrollgruppe (p < 0,0001), etwa per E-Mail oder am Telefon, „z.B. um zu sagen, dass ihnen CGM-Material ausgegangen ist oder um von Kalibrierungsproblemen zu berichten, wobei einige Probleme schwerwiegender waren“, berichtete Murphy.
Und was Frustration angeht: Im CGM-Arm hatten 80,6% der Teilnehmerinnen Probleme (z.B. dass der Sensor nicht richtig saß), im Arm mit traditioneller Blutzuckermessung waren es nur 12,5%. Etwa 70% der Frauen, die bereits schwanger waren, und 77% der Frauen, die eine Schwangerschaft planten, nutzen die CGM mehr als 75% der Zeit.
In einem begleitenden Editorial in The Lancet schreiben Dr. Satish K. Garg und Dr. Sarit Polsky vom Barbara Davis Center für Diabetes der Universität von Colorado Denver, Aurora, USA, dass es wichtig sei, dass die CGM-Gruppe mehr Kontakt mit dem medizinischen Personal gehabt habe [3]: „Dies könnte zu der kleinen Verbesserung des HbA1c-Wertes beigetragen haben.“ Der größte Nachteil der Daten sei, dass es keine Informationen über die Häufigkeit der Blutzuckerselbstmessung in der Kontrollgruppe gebe. So lasse sich nicht sagen, inwiefern dies mit der Verbesserung des HbA1c-Wertes im Zusammenhang stehe.
Negative neonatale Outcomes halbiert
Feig stellte die sekundären geburtshilflichen und neonatalen Daten vor. „Es gab sehr wenige schwere negative Schwangerschafts-Outcomes und keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen“, sagte sie. In der CGM-Gruppe hatten 5 Frauen eine Fehlgeburt, in der Kontrollgruppe waren es 4. Es kam zu einer Totgeburt im Kontrollarm und keiner Todgeburt im GGM-Arm. Ebenso gab es im CGM-Arm keine Abbrüche, im Kontrollarm einen. Angeborene Fehlbildungen traten bei 2 Kindern im CGM-Arm und 3 Kindern im Kontroll-Arm auf.
Hinsichtlich hypertensiver Erkrankungen und Kaiserschnittraten gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. „Von Woche 16 bis 34 war ein Trend hin zu einer stärkeren Gewichtszunahme in der Kontrollgruppe zu beobachten (9,7 kg vs 8,9 kg in der CGM-Gruppe). Beide Gruppen entbanden nach etwa 37,4 Wochen“, so Feig.
Das wichtigste Ergebnis im Hinblick auf die neonatalen Outcomes war: 53% der CGM-Frauen vs 69% der Kontroll-Frauen brachten LGA-Babys (> 90. Perzentile) zur Welt; die Odds Ratio betrug 0,51 (p = 0,0210).
Zu Neugeborenen-Hypoglykämien, die eine intravenöse Behandlung erforderlich machten, kam es bei 15% der Babys in der CGM-Gruppe und 28% der Babys in der Kontrollgruppe (OR: 0,45;p = 0,025) und 27% der Babys in der CGM-Gruppe benötigten mindestens 24 Stunden Intensiv-Versorgung vs 43% der Kontrollgruppen-Babys (OR: 0,48;p = 0,0157).
„Die Odds Ratios für die wichtigsten neonatalen Ereignisse waren zwischen den Gruppen um etwa 50% reduziert“, fasste Feig zusammen. Die Number-Needed-to-Treat (NNT) zur Prävention eines Ereignisses betrug beim Endpunkt LGA-Baby 6, beim Endpunkt Neugeborenen-Hypoglykämie 8 und beim Endpunkt Intensivversorgung 6.“
Hat die Methode Zukunft?
Eine Sitzungsteilnehmerin, Dr. Sally Marshall vom Newcastle-upon-Tyne Hospitals NHS Foundation Trust, Großbritannien, betonte, dass es sich um eine „großartige Studie” handele, doch „wenn wir uns den Endpunkt Neugeborenen-Hypoglykämie anschauen, brauchen wir mehr Daten zur Blutzuckerkontrolle während der Wehen und der Entbindung“. „Nutzten die Frauen in dieser Phase das CGM-Gerät?“, fragte sie. Und waren die Methoden zur Blutzuckerkontrolle während der Wehen und der Entbindung in allen Studienzentren gleich oder gab es da irgendwelche Unterschiede? „Diese Punkte könnten einen echten Effekt auf die Outcomes haben.“
In einem formalen Kommentar zu den CONCEPTT-Ergebnissen gratulierte Prof. Dr. Elisabeth Reinhardt Mathiesen, Chefärztin für das Management schwangerer Frauen mit Diabetes am Rigshospitalet University Hospital in Kopenhagen, Dänemark, den Wissenschaftlern zu einer „gut gemachten Studie“. Sie dankte ihnen dafür, evidenzbasierte Daten für die Erwägung eines CGM „bei ausgewählten schwangeren Frauen mit Typ-1-Diabetes“ geliefert zu haben. Und auch dafür, „mutig genug gewesen zu sein, bei Schwangeren eine randomisiert-kontrollierte Studie durchzuführen“.
Sie betonte, ihr größtes Problem sei die Bezahlbarkeit des CGM: „Die Kosten bei 20 Frauen entsprechen etwa dem Gehalt einer Krankenschwester.“ Trotzdem machte sie sich Gedanken darüber, ob sie morgen allen schwangeren Frauen in ihrer Klinik CGM anbieten würde: „Viele Frauen werden danach fragen, und diese Studie spricht für den Einsatz und mein Bauchgefühl sagt mir, dass CGM die Zukunft ist.“
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 12. bis 16. September 2017, Lissabon/Portugal
2. Feig DS, et al: Lancet (online) 15. September 2017
3. Garg SK: Lancet (online) 15. September 2017
MEHR
IQWiG bescheinigt: Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten hat Zusatznutzen für Insulinbehandelte
Kontinuierliche Glukosemessung bei Typ-1-Diabetes: Die Patienten lieben es
FDA: Erste kontinuierliche Glukosemessung für Kleinkinder – doch zur Therapieplanung noch zu ungenau
Jedes Kilo zählt: Gewichtskontrolle ist das A und O für schwangere Diabetikerinnen
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Typ-1-Diabetes: Kontinuierliche Glukosemessung für alle Schwangeren? Studie zeigt, es nutzt vor allem auch dem Baby - Medscape - 6. Okt 2017.
Kommentar