Lissabon – Der SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin (Forxiga®, AstraZeneca) verbessert die Glukosekontrolle und hilft Patienten mit einem schlecht kontrollierten Typ-1-Diabetes beim Abnehmen. Mit diesen Erkenntnissen der DEPICT-1-Studie zeigt erstmals eine Phase-3-Studie, dass auch Typ-1-Diabetiker von einem SGLT-2-Inhibitor profitieren.
Wichtig dabei: Das Auftreten einer diabetischen Ketoazidose war in beiden Dapagliflozin-Gruppen und in der Placebo-Gruppe in etwa gleich, berichtete Dr. Paresh Dandona, State University of New York, Buffalo, USA. Er präsentierte die Ergebnisse der Dapagliflozin Evaluation in Patients With Inadequately Controlled Type 1 Diabetes (DEPICT-1)-Studie auf der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Lissabon [1]. Zeitgleich wurde die Studie im Fachjournal Lancet Diabetes and Endocinology veröffentlicht [2].
Die 24-Wochen-Ergebnisse der Studie, die die Behandlung mit Dapagliflozin als orale Add-on-Therapie zu Insulin bei Typ-1-Diabetikern untersuchte, zeigen, dass beide Dapagliflozin-Dosen (5 und 10 mg) klinisch relevante Wirkungen im Vergleich zu Placebo haben. „Unsere Resultate deuten an, dass Dapagliflozin als Zusatztherapie zu Insulin die Glukosekontrolle bei Patienten mit unzureichend kontrolliertem Typ-1-Diabetes verbessern kann“, sagte Dandona.
Die Studie habe gezeigt, dass Dapagliflozin gut verträglich sei und keine Sicherheitsrisiken erkennbar waren. „Die 24-Wochen-Ergebnisse sind wichtig, denn es handelt sich um die erste Phase-3-Studie für die Klasse der SGLT2-Hemmer als orale Diabetes-Zusatztherapie zu Insulin bei Diabetes-Typ-1.“
In einem Editorial zu der Studienveröffentlichung schreibt Dr. John Petrie vom Institut für Kardiovaskuläre und Medizinische Wissenschaft der Universität von Glasgow in Schottland, dass DEPICT-1 „ermutigende Kurzzeitergebnisse liefert für die Wirksamkeit eines zusätzlichen SGLT2-Inhibitors bei Typ-1-Diabetes und zudem andeutet, wie das Risiko einer Ketoazidose reduziert werden könnte“ [3]. Jedoch, fügt er an, würden die Zulassungsbehörden aller Wahrscheinlichkeit nach die Langzeitergebnisse abwarten, bevor sie SGLT2-Hemmer – die aktuell nur für Diabetes-Typ-2 zugelassen sind – für die Behandlung von Typ-1-Diabetikern freigeben.
Dennoch, bemerkte er gegenüber Medscape, erschienen die Resultate mit Dapagliflozin in DEPICT-1 vielversprechender als die Performance des in der Entwicklung befindlichen dualen SGLT1/2-Inhibitors Sotagliflozin bei Typ-1-Diabetikern in der inTandem3-Studie, die ebenfalls auf dem EASD-Kongress präsentiert wurde, wie Medscape berichtete.
Erste Phase-3-Studie eines SGLT2-Inhibitors bei Typ-1-Diabetes
Neue Therapiemöglichkeiten seien beim Typ-1-Diabetes dringend notwendig, erklärte Dandona. „Die Intensivierung der Insulintherapie, die nötig ist, um den Blutzuckerspiegel adäquat zu kontrollieren, führt oft zu Hypoglykämien …, nicht jedoch zu Verbesserungen des Glukagon-Gleichgewichts und der Magenentleerung.“
Die lebenswichtige Insulintherapie beim Typ-1-Diabetiker gehe außerdem einher mit Gewichtszunahme und einem Anstieg des Blutdrucks. „Daher braucht es eine Zusatztherapie, die zu nachhaltigen Verbesserungen der wichtigsten Parameter führt, inklusive HbA1c-Wert, Stabilität des glykämischen Gleichgewichts, Körpergewicht und Hypoglykämie-Risiko“, so Dandona.
In DEPICT-1 sollte die Wirksamkeit und Sicherheit von Dapagliflozin als Zusatztherapie zu Insulin bei Typ-1-Diabetikern, deren Blutzucker nicht ausreichend kontrolliert ist, untersucht werden. Die randomisierte, parallel-kontrollierte multizentrische 3-armige Doppelblindstudie wurde an 143 Zentren in 17 Ländern durchgeführt.
Die Patienten waren 18 bis 75 Jahre alt, hatten Typ-1-Diabetes mit einem HbA1c-Wert zwischen 7,7 und 11,0% (Durchschnitt: 8,53% zu Studienbeginn) und erhielten seit mindestens 12 Monaten Insulin. Sie wurden randomisiert (1:1:1) zu 5 oder 10 mg Dapagliflozin oral einmal täglich oder entsprechendem Placebo (jeweils plus Insulin). Für die Sicherheitsanalyse wurden 883 Patienten randomisiert (Dapagliflozin 5 mg: n = 277; Dapagliflozin 10 mg: n = 296; Placebo: n = 260). In die Wirksamkeitsanalyse waren 778 dieser Patienten eingeschlossen (259 bzw. 259 bzw. 260). Primärer Endpunkt der Effektivitätsanalyse war die Veränderung des HbA1c-Werts im Vergleich zum Studienbeginn.
HbA1c, BMI und Insulin reduziert; Hypoglykämien in allen Armen ähnlich häufig
Im Vergleich zu Placebo konnten beide Dapagliflozin-Dosen den HbA1c-Wert signifikant senken: Von Studienbeginn bis zu 24 Wochen betrug die Differenz zwischen der 5-mg-Dapagliflozin-Gruppe und der Placebo-Gruppe -42% (p < 0,0001), zwischen 10 mg Dapagliflozin und Placebo -45% (p < 0,0001). Im gleichen Zeitraum verringerte sich der Body-Mass-Index (BMI) der 5-mg-Dapagliflozin-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 2,96%, bei der 10-mg-Gruppe betrug die Differenz 3,72%. Unter 5 mg Dapagliflozin fiel das Gewicht von durchschnittlich 81,7 auf 79,4 kg; unter 10 mg auf 78,7 kg. Die benötige Tages-Insulinmenge verringerte sich im Laufe der 24 Studienwochen in der 5-mg-Gruppe um 8%, in der 10-mg-Gruppe um 13,2%.
Als häufigste Nebenwirkung trat Nasopharyngitis bei jeweils 14%, 12% und 15% in den einzelnen Gruppen auf, gefolgt von Harnwegsinfektionen (7% vs 4% vs 5%), Infektionen der oberen Atemwege (5% vs 5% vs 4%) und Kopfschmerzen (4% vs 6% vs 4%). Hypoglykämien traten bei 79% der Dapagliflozin- und 80% der Placebo-Patienten auf; schwere Hypoglykämien bei 8%, 6% und 7%. „Wir sehen in dieser großen Studie deutlich, dass es nicht zu einem Anstieg der Hypoglykämien kommt, so dass dieses Medikament in dieser Patientengruppe sicher verwendet werden kann, ohne ein höheres Hypoglykämie-Risiko befürchten zu müssen,“, betonte Dandona.
Inzidenz diabetischer Ketoazidosen in allen Gruppen fast gleich
Diabetische Ketoazidosen (DKA) traten in der Dapaglliflozin-5 mg-Gruppe bei 4 Patienten (1%) auf, bei 5 Patienten (2%) in der 10-mg-Gruppe und bei 3 Patienten (1%) der Placebo-Gruppe. Schwere DKA traten in den 3 Gruppen bei jeweils 1% der Patienten auf. „Tatsächlich unterschied sich die DKA-Rate nicht zwischen den 3 Studienarmen“, schlussfolgerte Dandona bei seiner Präsentation auf dem EASD-Kongress.
In der ebenfalls in Lissabon präsentierten inTANDEM3-Studie mit dem neuen dualen SGLT-Inhibitor Sotagliflozin hatten dagegen innerhalb von 24 Wochen 8,6% der Patienten, die Sotagliflozin erhielten, eine DKA, versus 2,4% in der Placebo-Gruppe. Unter Sotagliflozin traten bei 3% eine oder mehrere DKA-Episoden auf, unter Placebo bei 0,6%. Aufgrund einer Ketoazidose mussten 1,6% der Sotagliflozin-Behandelten und 0,1% der Placebo-Behandelten die Studie abbrechen.
In seinem Editorial weist Petrie darauf hin, dass die initiale Befürwortung einer Off-Label-Nutzung von SGLT2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes durch Berichte über Ketoazidosen gebremst worden sind. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) rät seit 2015 durch Warnhinweise davon ab, diese Wirkstoffklasse bei Typ-1-Diabetikern einzusetzen, wie Medscape berichtete.
Klinische Praxis schwächte DKA-Inzidenz mit ab
Die DEPICT-Studiengruppe habe sich an den realen klinischen Bedingungen orientiert, indem sie „nach der einfachen Regel verfuhr, die Insulindosis zu Beginn der Wirkstoffgabe um nicht mehr als 20% zu verringern und danach wieder zurück zur initialen Menge zu titrieren“. Dieses Vorgehen, das nicht unüblich sei, schwäche das Ketoazidose-Risiko ab, bemerkte Petrie.
Kommentiert wurden die Ergebnisse nach der Präsentation auf dem EASD-Meeting von Dr. Maciej Malecki von der Medizinischen Fakultät der Jagiellonen-Universität in Krakau, Polen. Er warf eine Reihe von Fragen rund um die Ergebnisse auf, so etwa zur Reduktion der HbA1c-Werte in Assoziation zum Gewichtsverlust: „Wäre dieser Gewichtsverlust wünschenswert bei Typ-1-Diabetikern mit normalem BMI?“ Und: „Wäre eine solche Blutdrucksenkung bei Typ-1-Diabetikern mit niedrigeren Ausgangswerten erstrebenswert?“ Im Hinblick auf die Sicherheit fragte er sich auch, ob „die Reduktion der Insulindosis auch ungefährlich ist bei Typ-1-Diabetikern mit einer initial niedrigeren Tagesinsulinmenge“.
Trotzdem, meinte Malecki, „lassen diese Erkenntnisse hoffen, dass Dapagliflozin schnell als Zusatztherapie für Patienten mit dieser Form des Diabetes zugelassen wird. Allerdings werden nach der Zulassung weitere Beobachtungen notwendig sein, um das Sicherheitsprofil des Medikaments für die Behandlung von Typ-1-Dabetes zu vervollständigen“. Zudem sei es wichtig zu eruieren, ob das Medikament die kardiovaskuläre Mortalität in dieser Patientengruppe reduzieren könne.
Studie zu kardiovaskulären Ereignissen bei Typ-2- und vielleicht auch Typ-1-Diabetes?
Ergebnisse der kardiovaskulären Endpunkt-Studie mit Dapagliflozin bei Typ-2-Diabetes, dem Multicenter Trial to Evaluate the Effect of Dapagliflozin on the Incidence of Cardiovascular Events (DECLARE-TIMI 58) werden erst 2019 erwartet. Somit bleibt dieses Medikament hinter anderen SGLT2-Inhibitoren wie Empagliflozin und Canagliflozin zurück. Für beide wurde in den jeweiligen Endpunkt-Studien, EMPA-REG OUTCOME und CANVAS, ein Schutz vor kardiovaskulären Ereignissen und eine Senkung der kardiovaskulären Mortalität nachgewiesen.
Gegenüber Medscape bemerkte Editorialist Petrie: „Wir brauchen Langzeit-Daten und idealerweise eine kardiovaskuläre Endpunkt-Studie (für Typ-1-Diabetes). Das wäre eine interessante Aussicht, denn für Typ-1-Diabetes gab es bisher noch gar keine. Wir müssen zudem herausfinden, wie wir vorhersagen können, welche Typ-1-Diabetiker unter einem SGLT2-Hemmer eher eine Ketose entwickeln – entweder anhand der initialen Keton-Spiegel oder z.B. durch neue Biomarker.“
Er ergänzte, die SGLT2-Inhibitoren bewegten sich wieder in Richtung Zulassung für die Behandlung des Typ-1-Diabetes bewegen. Im Vergleich zu dem SGLT1/2-Inhibitor Sotagliflozin seien „die Ketoazidose-Raten beruhigend, aber wir müssen im Kopf behalten, dass es sich (bei DEPICT-1) um eine Phase-3-Studie handelte, deren Patienten engmaschig überwacht wurden“. Bei inTandem3 hatten sich die Forscher dagegen für ein pragmatischeres Studiendesign entschieden.
Dieser Artikel wurde von Julia Rommelfanger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2017 Annual Meeting, 11. bis 15. September 2017, Lissabon/Portugal
2. Dandona P, et al: Lancet Diabetes Endocrinol (online) 14. September 2017
3. Petrie JR: Lancet Diabetes Endocrinol (online) 14. September 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Zusatztherapie mit Dapagliflozin hilft Typ-1-Diabetikern – Ketoazidose-Risiko scheint gering - Medscape - 5. Okt 2017.
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