Dresden – Durch Flucht und Migration kommen Menschen mit Krankheiten nach Europa und Deutschland, die hierzulande nicht oder nicht mehr bekannt sind und mit deren Symptomen Ärzte nicht vertraut sind. „Das ist eine Thematik, um die auch wir Urologen uns bemühen müssen“, forderte Prof. Dr. Bernd Wullich vom Universitätsklinikum Erlangen beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) in Dresden [1].
Zwar hat sich herumgesprochen, dass die Tuberkulose-Häufigkeit in Deutschland seit 2014/2015 deutlich zugenommen hat, besonders die Lungen-Tuberkulose (Tbc). Weithin unbekannt ist jedoch die Urogenital-Tbc, die gelegentlich auch beim Geschlechtsverkehr übertragen wird. Zudem seien weltweit 200 Millionen Menschen mit Pärchenegeln (Schistosoma) infiziert – Saugwürmern, deren Larven durch die Haut in den Körper eindringen. Sowohl Tbc als auch Bilharziose (Schistosomiasis) werden vor allem aus Afrika und Asien mitgebracht. „Diese Krankheitsbilder haben wir fast vergessen“, ergänzte Wullich.
Probleme beim Nachweis der Urogenital-Tuberkulose
„Die Urogenital-Tbc ist die zweit- bis dritthäufigste Form der Tbc, wird aber oft übersehen“, warnte Prof. Dr. Kurt Naber aus Straubing. „Sie umfasst die Nieren, den Harntrakt sowie männliche und weibliche Genitalien“, erklärte der Spezialist für urogenitale Infektionen und ehemalige Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEI).
Etwa 40% der Urogenital-Tbc-Erkrankungen sind mit pulmonaler Tbc oder anderen Lokalisationen, die auch bereits ausgeheilt sein können, assoziiert. Bei Männern mit genitaler Tbc sind am häufigsten Nebenhoden und die Prostata befallen.
Im Wesentlichen wird die Tbc hämatogen oder lymphogen übertragen, aber auch die direkte Infektion über infizierten Urin oder Ejakulat ist möglich. „Deshalb kann die Urogenital-Tbc gelegentlich auch sexuell übertragen werden“, sagte Naber.
Der Urologe empfahl, jeden Patienten mit genitaler Tbc auch auf eine Tbc der Lunge und des oberen Harntrakts sowie auf HIV zu untersuchen. „Es sollten mindestens 3, besser 5 Kulturen von Urin, Ejakulat und Prostatasekret erfolgen. Die Diagnose einer isolierten genitalen Tbc ohne Nieren- und Prostatabeteiligung ist oft nur histo-pathomorphologisch möglich.“ In schwierigen Fällen empfahl Naber den subkutanen Tuberkulin-Provokationstest. Für die Diagnose einer kavernösen Prostata-Tbc sei die Urethrographie entscheidend.
Gelingt es nicht, Mycobacterium tuberculosis nachzuweisen, könne bei positivem Hauttest, bei Vorliegen eines entsprechenden histologischen Befundes und sichtbarer Kavernenbildung in der Urethrographie sowie bei steriler Pyurie von der Diagnose Urogenital-Tbc ausgegangen werden, so Naber weiter. Radiologische Untersuchungen seien nicht sinnvoll, solange keine Gewebedestruktionen eingetreten sind.
Therapie der Urogenital-Tuberkulose
In der Therapie sind die multiplen Antibiotika-Resistenzen ein Problem. Nur bei unkomplizierter Urogenital-Tbc reicht es, 6 bis 9 Monate zu behandeln. In komplizierten Fällen muss 1 Jahr, teilweise 18 Monate und länger mit 4 bis 5 Antibiotika therapiert werden. „Falls sich eine Schrumpfblase entwickelt hat, ist eine Zystektomie mit Enteroplastik angezeigt“, erklärte Naber.
In deutschen oder europäischen Leitlinien der urologischen Fachgesellschaften finden sich übrigens keinerlei Hinweise für den Umgang mit Urogenital-Tbc. Naber verwies auf aktuelle Leitlinien der Asian Association of Urinary Tract Infections & Sexual Transmitted Diseases (AAUS) sowie der Urological Association of Asia (UAA).
Bilharziose: Komplikationen bis hin zum Harnblasenkarzinom
Die Bilharziose gilt als gefährlichste Wurminfektion des Menschen. Schätzungsweise 200.000 Menschen fallen ihr jedes Jahr weltweit zum Opfer. Die Larven werden in Endemiegebieten meist in stehenden Gewässern aufgenommen. Sie sind in der Lage, durch die intakte Haut in den Menschen einzudringen.
Die Schistosomen wandern in die Venen des Darms oder des kleinen Beckens, etwa der Harnblasenwand, legen Eier ab und blockieren auf diese Weise Gefäße und lösen chronische Entzündungen aus. Spätfolgen sind zum Beispiel Strikturen mit Blasenhalsenge, Harnstauungsnieren, Schrumpfblase bis hin zum Harnblasenkarzinom. „Darum gibt es so viele Plattenepithelkarzinome der Harnblase in Ägypten“, erläuterte Naber.
Die Diagnose gelingt manchmal aus der Urinzytologie mit dem Nachweis ausgeschiedener Eier oder von schlüpfenden Mirazidien-Larven, einem Zwischenstadium der Parasiten. Es können aber auch Urethrozystoskopie oder Harnblasen-Biopsien notwendig werden; einige serologische Tests weisen auf Bilharziose hin. Zudem existiert ein DNA-Test für Schistosomiasis. Behandelt wird mit einer Einzeldosis Praziquantel, außerhalb Deutschlands auch mit Metrifonat.
Eine Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bei Schistosomiasis ist unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin erarbeitet worden, noch für 2017 ist eine Aktualisierung angekündigt. Als wesentliche Endemiegebiete werden dort das gesamte Afrika, Teile Brasiliens und Venezuelas, aber auch der Jemen, Irak und Syrien genannt.
Auch europäische Endemiegebiete
Naber wies jedoch darauf hin, dass nicht nur im Zusammenhang mit Flüchtlingsbewegungen, sondern im Zuge der Globalisierung auch Reisende oder Europäer, die in Endemiegebieten leben, an Urogenital-Tbc oder Bilharziose erkranken können. Das Robert Koch-Institut (RKI) wies vor 2 Jahren darauf hin, dass Bilharziose auf Korsika anhaltend verbreitet ist.
Aktuelle Daten zum Vorkommen der Bilharziose in Deutschland gibt es beim RKI derzeit nicht. Vor etwa einer Dekade waren etwa 20 bis 40 Erkrankungen pro Jahr gemeldet worden, die zu 90% in Afrika erworben waren.
Von den knapp 5.900 gemeldeten Tbc-Erkrankungen im Jahre 2015 waren 66% bei ausländischen Staatsbürgern diagnostiziert worden. Die Inzidenz war bei ihnen mit 50/100.000 etwa 20-mal so hoch wie in der deutschen Bevölkerung (2,5/100.000).
REFERENZEN:
1. 69. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 20. bis 23. September 2017, Dresden
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Diesen Artikel so zitieren: Mit der Zuwanderung werden fast vergessene Krankheiten aktuell: Wenn Würmer und Mykobakterien den Urogenitaltrakt befallen - Medscape - 4. Okt 2017.
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