Madrid – Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkrebs, deren Tumor unter platinbasierter Chemotherapie fortgeschritten ist, überleben unter einem Angiogenese-Hemmer signifikant länger krankheitsfrei. Das legen die Ergebnisse der Phase-3-Studie RANGE nahe, die beim Kongress der European Society for Clinical Oncology (ESMO) 2017 präsentiert und kürzlich in The Lancet veröffentlicht wurden [1;2].
Der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor-Rezeptor-2(VEGFR2 )-Antikörper Ramucirumab (Cyramza®, Eli Lilly) verbesserte das progressionsfreie Überleben (PFS) im Vergleich zu Placebo signifikant um fast 25%.
Ist der Nutzen klinisch relevant?
Der absolute Nutzen des Medikaments war allerdings gering und die Lebensqualität verbesserte sich nicht, so dass Experten die klinische Relevanz der Therapie bei dieser traditionell schwer zu behandelnden Patientengruppe hinterfragten.
Hauptautor Prof. Dr. Daniel P. Petrylak von der Abteilung Urologie an der Yale School of Medicine, New Haven, Connecticut, USA, betonte in einer Pressemitteilung, dass die Verringerung des Risikos für das Fortschreiten der Krankheit „in allen Patientenuntergruppen konsistent war“. Er fügte hinzu: „Die objektive Ansprechrate hat sich mit Ramucirumab fast verdoppelt und es gab keine signifikanten Unterschiede in der Toxizität zwischen den Behandlungen.“
Während einer Pressekonferenz gefragt, ob die absolute Zunahme des PFS mit Ramucirumab gegen Placebo von etwas mehr als 1,5 Monaten klinisch aussagekräftig sei, sagte Petrylak, dass die Wirksamkeit des Medikaments in der objektiven Ansprechrate gesehen werde. „Ich denke, es ist klinisch bedeutsam.“
„Ramucirumab plus Docetaxel könnte ein Standard in der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasierendem Urothelkrebs werden, deren Tumor auch unter Checkpoint-Inhibitoren fortgeschritten ist, oder die nicht für eine Behandlung damit in Frage kommen“, schlug er vor.
Ein nicht an der Studie beteiligter Experte war jedoch anderer Meinung. Dr. Richard Cathomas, stellvertretender Chefarzt für Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital Graubünden in Chur, Schweiz, stellte die Größenordnung des klinischen Nutzens in Frage.
„Wir müssen wissen, ob die Verbesserung des progressionsfreien Überlebens in einem Gesamtüberlebensvorteil mündet“, kommentierte er und warnte: „Wir haben in anderen Studien, die Chemotherapie mit Angiogenese-Hemmern bei verschiedenen Krebsarten kombinierten, gesehen, dass ein so kleiner Vorteil des progressionsfreien Überlebens häufig nicht auf das Gesamtüberleben übertragbar ist.“
Deshalb glaubt Cathomas, dass „es zu früh ist, allein aufgrund dieser Ergebnisse die standardmäßige Second-Line-Therapie, die Immun-Checkpoint-Hemmung, zu ändern“.
„Doch die Verbesserung der Ansprechrate zeigt, dass Ramucirumab einen Effekt auf die Krankheit hat“, fügte er hinzu, „und so könnte in Zukunft die Angiogenese-Hemmung Teil des Behandlungs-Armentariums von Urothelkrebs werden.“
Phase-3-Studie mit 530 Patienten
Bis vor kurzem hatten Patienten mit Platin-refraktärem, fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom nur wenige Behandlungsoptionen und Checkpoint-Inhibitoren waren nur bei 25% der Patienten wirksam.
Eine kürzlich durchgeführte Phase-2-Studie von Petrylak und Kollegen zeigte jedoch, dass die Zugabe von Ramucirumab zu Docetaxel das progressionsfreie Überleben im Vergleich zu Docetaxel alleine signifikant verbessert und damit das krankheitsfreie Überleben nahezu verdoppelt hat.
Das Team führte daher eine randomisierte, doppelblinde Phase-3-Studie bei 530 Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom während oder nach einer platinbasierten Chemotherapie durch. Patienten, die zuvor mit einem Immun-Checkpoint-Inhibitor behandelt worden waren, konnten ebenfalls eingeschlossen werden.
Die Patienten, die einen Performance-Status von 0 oder 1 aufwiesen, wurden 1:1 randomisiert verteilt auf Ramucirumab 10 mg/kg plus Docetaxel 75 mg/m2 (n = 263) oder auf Placebo plus Docetaxel 75 mg/m2 (n = 267).
Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben. Die Patienten wurden median für 5,0 Monate nachuntersucht.
Wenig mehr als 1 Monat Überlebensvorteil mit Ramucirumab
Das mediane PFS lag bei 4,07 Monaten mit Ramucirumab plus Docetaxel gegenüber 2,76 Monaten mit Placebo plus Docetaxel; bei einer Hazard Ratio von 0,757 (p = 0,0118). Nach 12 Monaten waren 11,9% in der Ramucirumab-Gruppe krankheitsfrei gegenüber 4,5% der Patienten mit Placebo.
Als die Daten unabhängig verblindet ausgewertet wurden, lag das mediane PFS mit Ramucirumab bei 4,04 Monaten verglichen mit 2,46 Monaten mit Placebo bei einer Hazard Ratio von 0,672 (p = 0,0005). Die krankheitsfreie Überlebensrate nach 12 Monaten lag bei 8,3% mit Ramucirumab und bei 5,1% mit Placebo.
Die Gesamt-Ansprechrate lag bei 24,5% für die 216 Probanden, die Ramucucirumab erhalten hatten und für die Analyse zur Verfügung standen, gegenüber 14,0% bei den 221 Probanden, die Placebo erhalten hatten. Die absoluten Ansprechraten lagen bei 4,2% bzw. 1,4%.
Die von den Patienten berichteten Ergebnisse unterschieden sich nicht zwischen den Ramucirumab- und Placebo-Gruppen – weder beim Index EORTC QLQ-C30 Global Quality of Life noch beim EQ-5D-5L.
Die Autoren berichten auch von keinen größeren Unterschieden bei den Grad 3 oder höhergradigen unerwünschten Ereignissen zwischen den beiden Behandlungsarmen: keine unerwarteten Toxizitäten, obgleich Grad 3 oder schwere Anämie unter Ramucirumab weniger häufig auftrat als unter Placebo (3% vs 11%). Das häufigste unerwünschte Ereignis von Grad 3 oder höher war Neutropenie, bei 15% der Probanden, die Ramucirumab erhalten hatten, und bei 14% der Patienten mit Placebo.
Ist Pembrolizumab eine attraktivere Option?
Dr. Yohann Loriot von der Abteilung für Krebsmedizin am Institut Gustave Roussy, Universität Paris Sud, Villejuif, Frankreich, diskutierte die Ergebnisse nach der Präsentation. Er sagte, dass die Studie viele Stärken habe, unter anderem ihren primären Endpunkt erreicht habe, fragte aber auch, ob die absolute Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens unter Ramucirumab klinisch relevant sei. Auch hob er die fehlende Verbesserung der Lebensqualität und der Gesamtüberlebensdaten hervor.
Auf die Frage, wie das Medikament in der klinischen Praxis eingesetzt werden könnte, verwies Loriot auf Daten der KEYNOTE 045, die eine Verbesserung der Lebensqualität durch den Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab (Keytruda®, Merck) zeigten.
Er gab auch zu bedenken, dass die Einschlusskriterien für die derzeitigen Ramucirumab-Studien „restriktiv" gewesen seien und dass deshalb schwer zu sagen sei, wie es in wichtigen Subgruppen abschneidet.
Dennoch könne Ramucirumab in einigen klinischen Situationen wie z.B. bei Basaltumoren, nützlich sein und die Immuntherapie könnte Tumore für antiangiogene Medikamente sensibilisieren – eine Kombination, die bereits getestet wird.
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. ESMO 2017 Congress (European Society for Medical Oncology), 8. bis 12. September 2017, Madrid/Spanien
2. Patrylak DP, et al: Lancet (online) 12. September 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Überlebensvorteil mit Ramucirumab bei Urothelkrebs: Doch sind 1,5 Monate klinisch relevant? - Medscape - 2. Okt 2017.
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