Dem Tröpfeln ein Ende: Konservative Therapie der Belastungs-Inkontinenz ist oft hilfreich – wenn man die Kniffe kennt

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

29. September 2017

Dresden – Wird die Belastungsinkontinenz bei Frauen konservativ therapiert, ist Beckenbodentraining noch immer die wichtigste und erfolgversprechendste Methode – wenn es richtig durchgeführt wird. Ist das nicht der Fall, kann es sogar mehr schaden als nutzen. Darauf wies Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel, Direktorin des Kontinenzzentrums Villingen-Schwenningen beim 69. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) hin [1].

Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel

„Es gibt Patientinnen die frustriert sagen: ‚Ich mache doch schon 10 Jahre Beckenbodengymnastik, das hat überhaupt nichts geholfen‘. Das könnte dann daran liegen, dass das Training falsch durchgeführt wird“, sagte Schultz-Lampel. Denn eine kürzlich erschienene Studie zeigt: Werden die wichtigsten Beckenboden-Gymnastikübungen ohne vorherige Anspannung des Beckenbodens (Präkontraktion) durchgeführt, kann das einen Blasenhals-Deszensus verursachen.

Übungen mit und ohne vorherige Beckenbodenkontraktion im Vergleich

PD Dr. Kaven Baessler, Leiterin des Beckenboden-Zentrums der Charité und die Physiotherapeutin Bärbel Junginger untersuchten sonografisch 15 gesunde Frauen ohne vaginale Geburten und ohne Beckenbodensymptome oder uro-gynäkologische Operationen. Das mittlere Alter der Frauen lag bei 32, der BMI bei 23.

Die Studienteilnehmerinnen führten 4 traditionelle Beckenboden-Gymnastikübungen (Schulterbrücke, Bauchpresse, Zehenspitzenstand, Pilates Muschelübung) durch. Und zwar einmal mit vorheriger Anspannung des Beckenbodens (Präkontraktion) und ohne vorherige Präkontraktion. Dabei zeigte sich: Wurden die Übungen ohne vorherige Beckenboden-Kontraktion durchgeführt, dann senkte sich der Blasenhals im Durchschnitt zwischen 2,3 und 4,4 mm, mit vorheriger Präkontraktion nur zwischen 0,5 und 2,1 mm (p > 0,05).

 
Aus meiner Sicht sollten wir unsere Patientinnen nicht sofort operieren, denn eine konservative Therapie hat sehr viele Effekte auf den Beckenboden. Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel
 

Anspannen des Beckenbodens sollte von Therapeuten kontrolliert werden

Die Absenkung des Blasenhalses lässt sich also reduzieren, wenn der Beckenboden vorher angespannt wird und die Anspannung über die Dauer der Übung erhalten bleibt. Doch ein signifikanter Anteil inkontinenter Patientinnen sei gar nicht in der Lage, den Beckenboden anzuspannen. Daher solle der Therapeut vorher prüfen, ob dies möglich ist, ansonsten solle auf traditionelles Beckenbodentraining verzichtet werden, schreiben Baessler und Junginger.

„Dass Beckenbodengymnastik ohne vorherige Präkontraktion durchgeführt wird, kommt nicht gerade selten vor“, berichtete Schultz-Lampel: „Ich sehe das täglich in meiner Praxis. Deshalb sollte die traditionelle Beckenbodengymnastik durch eine kontrollierte Beckenbodentherapie – mit vaginaler/rektaler Kontrolle durch die Physiotherapeuten – ersetzt werden.“ Entsprechend der Leitlinie wird ein angeleitetes Beckenbodentraining über mehr als 3 Monate empfohlen, kombiniert mit einem Blasentraining (Empfehlungsrad A).

Schultz-Lampel unterstreicht den Stellenwert der konservativen Therapie: „Aus meiner Sicht sollten wir unsere Patientinnen nicht sofort operieren, denn eine konservative Therapie hat sehr viele Effekte auf den Beckenboden. Und die Patientin nimmt aktiv Einfluss auf ihre Störung“, betonte Schultz-Lampel. Das richtig durchgeführte Beckenbodentraining unter Einsatz der Präkontraktion kann die Lebensqualität von Frauen mit Belastungsinkontinenz erheblich verbessern, wies jetzt eine Studie an 140 postmenopausalen Frauen nach. Auch wenn eine Korrektur der Anatomie des Beckenbodens nicht bewirkt werden kann, sind die positiven Effekten für den Beckenboden zahlreich:

  • Erkennen, Aktivierung, evtl. Relaxierung und Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung der Funktion

  • Rückbildung von Veränderungen nach Schwangerschaft

  • Kompensation von Alterungsprozessen

  • Verhinderung zunehmender Störungen

  • Prävention von Störungen der Funktion und Anatomie

  • Steigerung der Lebensqualität

Orale Vitamin-D-Gabe senkt die Zahl der Inkontinenz-Episoden

Der Erfolg des Beckenbodentrainings lässt sich durch eine Änderung des Lebensstils unterstützen: „Inkontinenz lässt sich damit nicht heilen, doch es gibt Hinweise auf einen positiven Effekt durch die Vermeidung von Übergewicht, durch Rauchverzicht, ausgewogene Ernährung und angepasstes Trinkverhalten“, erläuterte Schultz-Lampel. Wie eine Studie mit 387 übergewichtigen Frauen aus 2014 ergab, halbiert schon eine Gewichtsreduktion um 5 bis 10% die Zahl der Inkontinenzepisoden: von 2,85 Episoden auf 1,08 innerhalb von 3 Tagen (p < 0,05).

 
Obwohl Duloxetin in den Leitlinien Empfehlungsgrad A hat, weist es für die Praxis nur einen geringen Stellenwert auf. Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel
 

Auch Vitamin D spielt eine Rolle in der konservativen Therapie der weiblichen Inkontinenz: Die Gabe von oralem Vitamin D sowohl bei Frauen als auch bei Männern verringert die Zahl der Inkontinenzepisoden, wie eine Studie mit 350 Altenheimbewohnern aus 2016 ergab.

Ebenfalls wirksam sind Zäpfchen, die Vitamin D und Östrogen enthalten: In einer Studie mit 60 postmenopausalen Frauen verbesserte sich bei 2 Drittel der Probandinnen unter Behandlung (3 x pro Woche für 6 Wochen) die Belastungsinkontinenz. Die Studienautoren vermuten, dass es infolge der Aktivierung der Kollagen-Regeneration durch Vitamin D zu einer Verbesserung des Bindegewebes kam.

Zu einer lokalen Östrogenisierung rät Schultz-Lampel nicht: Diese wirke zwar bei Dranginkontinenz und bei Infekten in bis zu 70% der Fälle, doch bei Belastungsinkontinenz zeige sich keine Besserung.

Auch vom Einsatz des selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmers Duloxetin rät sie ab: „Duloxetin hat nicht das gehalten, was wir uns von ihm versprochen haben. Erstens, weil es doch nicht so gut wirkt, zweitens weil es Nebenwirkungen hat und nur vorübergehende Verbesserung bringt. Obwohl Duloxetin in den Leitlinien Empfehlungsgrad A hat, weist es für die Praxis nur einen geringen Stellenwert auf“, betonte Schultz-Lampel.



REFERENZEN:

1. 69. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 20. bis 23. September 2017, Dresden

Kommentar

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