Dresden – Alles deutet darauf hin, dass die deutschen Urologen in naher Zukunft auf ein allgemeines PSA-basiertes Prostatakrebs-Screening drängen werden, möglichst finanziert von den gesetzlichen Krankenkassen. Hieß es noch im Frühjahr bei der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), dem Berufsverband Deutscher Urologen (BDU) sowie dem Bundesverband Prostatakrebs-Selbsthilfe (BPS), man wolle warten, bis die Datenlage so gut sei, dass man sich beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) für ein positives Votum stark machen könne, scheint diese Situation nun erreicht zu sein. Unmittelbar vor dem DGU-Jahreskongress in Dresden ist eine Re-Analyse der großen europäischen und nordamerikanischen Studien zu dem Thema erschienen [1;2].
Der PSA-Test sei nun rehabilitiert, meinte etwa Prof. Dr. Kurt Miller, Leiter der Urologischen Klinik an der Charité Berlin beim DGU-Kongress in Dresden. „Können wir Leben verlängern?“, fragte Prof. Dr. Joachim Noldus vom Universitätsklinikum Marien Hospital Herne. „Ja! Die Frage ist: Was wollen wir dafür bezahlen?“
Und Prof. Dr. Gerd Lümmen aus Troisdorf, wie Miller langjähriges Mitglied der Leitlinienkommission zum Prostatakarzinom, sprach sich für ein „intelligentes, schlankes Screening“ aus. „Es ist keine Frage, ob das Screening eingeführt werden sollte, sondern nur noch wie“, ist Lümmen überzeugt. Nicht ohne Genugtuung wird darauf verwiesen, dass die U.S. Preventive Services Task Force, ein unabhängiges Expertengremium in den USA, ihr negatives Urteil über den PSA-Test inzwischen revidiert hat.
Zur Erinnerung: Während die Europäer mit der Studie ERSPC (European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer) eine signifikante Senkung der Prostatakarzinom-bedingten Sterblichkeit von gescreenten versus nicht gescreenten Männern festgestellt hatten, waren die US-Amerikaner mit PLCO (Prostate, Lung, Colorectal, and Ovarian Cancer Screening Trial) zum Ergebnis gekommen, ein PSA-basiertes Screening bringe keine Vorteile.
Dann nachdem US-Organisationen mehrheitlich vom PSA-Screening abgeraten hatten, stellte sich im vergangenen Jahr heraus: Die Nicht-Screening-Gruppe war erheblich mit Teilnehmern „kontaminiert“, die sich doch hatten screenen lassen – und zwar zu mehr als 80%. Somit war es kein Wunder, dass unterschiedliche Effekte zwischen den Gruppen nicht zu finden waren.
Konsistenter Nachweis für reduzierte Mortalität in mehreren Studien
„Die Amerikaner haben über die PLCO-Studie noch einmal nachgedacht“, erklärte Lümmen mit leiser Ironie. Denn bis heute ist unklar, wie es zu der Auswertungspanne mit drastischen Folgen kommen konnte – in den USA sinkt seit Rücknahme der Screening-Empfehlung die Inzidenz fortgeschrittener Prostatakarzinome. Ein Alarmzeichen.
In der aufwändigen Re-Analyse sind nun die Daten aus PLCO abgeglichen worden mit jenen aus ERSCP. Unter anderem waren Mikrosimulationsmodelle verwendet und Mean Lead Times (MLT) berechnet worden, also die durch ein Screening verlängerte Lebenszeit aufgrund der früh gestellten Diagnose. „Komplexe Statistik“, so die knappe Erläuterung Lümmens.
Das Ergebnis: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Effekte des Screenings zwischen den beiden Studien differieren. Im Gegenteil, sie sind fast deckungsgleich. In ERSCP war das Screening mit einem um 25% bis 31% und in PLCO um 27% bis 32% erniedrigten Prostatakrebs-bedingten Mortalitätsrisiko verbunden. Für jedes Jahr, in dem das Karzinom früher entdeckt wird, sinkt die Prostatakrebs-bedingte Sterblichkeit um 7 bis 9%.
Die Konsistenz dieser Daten wird unterstrichen durch Erkenntnisse aus Schweden. Dort war eine historische Kohorte von Männern aus Malmö im Alter von Anfang bis Mitte 50 verglichen worden mit einer gescreenten Gruppe entsprechender Männer aus Göteborg. Es ging in der Untersuchung auch um die Frage, ob ein opportunistisches Screening oder ein systematisches Screening besser ist.
Nach 18-jähriger Beobachtungszeit lässt sich sagen, dass erwartungsgemäß die Anzahl gestellter Karzinom-Diagnosen deutlich zunimmt, im Vergleich zur Kohorte ohne Screening war sie mehr als verdoppelt. Dafür halbiert sich die Rate der bei Diagnose vorhandenen Metastasen. Prostatakarzinom-bedingte Todesfälle gehen um 42% zurück. Das organisierte Screening erwies sich als effektiver als das opportunistische Screening: 139 Männer müssen zum Screening eingeladen und 13 Karzinome diagnostiziert werden, um innerhalb von 18 Jahren einen Todesfall zu verhindern.
Problem Überdiagnostik und Übertherapie: Aktive Überwachung wird wichtiger
Dass sich Lebenszeit mit dem Screening retten lässt, steht für die Urologen damit fest. Allerdings werden dann auch viele Karzinome entdeckt, die (zunächst) keiner Behandlung bedürfen. Nach Angaben von Noldus könnte dies 50 bis 60% der gescreenten Männer betreffen. Wie damit umgehen?
Man müsse lernen, zwischen der Diagnose eines Prostatakarzinoms und der Therapie zu trennen, meint Noldus. „Dann kann das eine Erfolgsgeschichte werden.“ Schon jetzt gehen die Operationszahlen zurück und die Raten aktiv überwachter Patienten nehmen zu. Außerdem muss man abwägen, ab welchem und bis zu welchem Alter gescreent werden soll.
Ein frühes Alter, also meist ab 45 Jahre, hat den Vorteil, dass man lange Zeit hat, um ein klinisch relevantes Prostatakarzinom noch frühzeitig zu erwischen. Umgekehrt ist bei einem unter 50-jährigen Mann mit einem PSA von unter 1 ng/ml das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu sterben, so gering, dass man eigentlich kaum mehr kontrollieren müsste. Andererseits geht ein junges Alter einher mit einer erhöhten Rate an Überdiagnostik und Übertherapie. Ab 70, da scheinen sich alle einig zu sein, ist ein Prostatakarzinom-Screening wegen der meist langsamen Progression der Krankheit nicht mehr sinnvoll.
Lümmen sprach sich in Dresden für ein organisiertes Screening gut aufgeklärter Männer zwischen dem 55. und 69. Lebensjahr mit individualisierten Kontrollintervallen aus – dies entspricht der ERSPC-Kohorte. Derzeit empfiehlt die DGU bei PSA-Werten von unter 1 ng/ml die Kontrolle alle 4 Jahre, bei Werten von 1-2 ng/ml alle 2 Jahre und bei Werten über 2 ng/ml die jährliche Kontrolle.
Hilfreich für die Praxis, hieß es, sei außerdem die Nutzung des Prostatakrebs-Risikokalkulators. Dort gehen Gesamt- und freies PSA, Prostatavolumen, Alter und das Ergebnis der digital-rektalen Untersuchung ein. Die Stiftung Prostatakrebsforschung Schweiz hat dafür eine App für mobile Endgeräte entwickelt, auf die Redner beim Kongress verwiesen.
Prostata-Untersuchungstechniken werden weiter entwickelt
Miller machte in Dresden außerdem darauf aufmerksam, dass sich das Screening künftig weiter verbessern werde, etwa mit Hilfe der multiparametrischen Magnetresonanztomographie (mpMRT) der Prostata. Wegen ihres hohen positiven Vorhersagewertes lasse sich damit die Notwendigkeit von Biopsien in Zukunft deutlich reduzieren, es würden weniger Niedrigrisiko- und vermehrt Hochrisiko-Karzinome entdeckt, so Miller. Eine Dortmunder Arbeitsgruppe berichtete, dass sich mit der Kombination aus mpMRT und MRT/Ultraschall-Fusionsbiopsie die Diagnosegenauigkeit klinisch signifikanter Karzinome erhöhen lasse.
Hinzu kommt die Entwicklung computergestützter Bildauswertungsverfahren, die die Langzeitüberwachung von Patienten mit erhöhtem PSA-Wert oder auffälligen Tastbefunden in Zukunft erleichtern könnten. Sobald sich mit modernen Techniken Tumorherde sehr genau lokalisieren lassen, wäre die Grundlage dafür geschaffen, lokal begrenzte, kleine Tumorherde mit niedrigem oder intermediären Risiko fokal und damit organerhaltend zu behandeln. Die Biopsie wäre dann womöglich für manchen Mann zugleich die Therapie.
REFERENZEN:
1. 69. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 20. bis 23. September 2017, Dresden
2. Tsodikov A, et al: Ann Intern Med (online) 5. September 2017
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Diesen Artikel so zitieren: PSA-basiertes Prostatakrebs-Screening: Urologen sehen es demnächst als Kassenleistung – „Ja, wir können Leben verlängern!“ - Medscape - 28. Sep 2017.
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