In einer retrospektiven Kohortenstudie mit mehr als 2 Millionen Teilnehmern war das Risiko venöser Thromboembolien (VTE) mit der Körpergröße assoziiert. Männer unter 160 cm hatten ein um 65% niedrigeres Risiko, verglichen mit Männern über 190 cm. Für Frauen unter 155 cm, die zum 1. Mal schwanger waren, sank das Risiko um 69%, verglichen mit Frauen, die mindestens 185 cm groß waren. Zu diesen Ergebnissen kommt Dr. Bengt Zöller vom Center for Primary Health Care Research an der Lund University, Malmö, Schweden [1].
„Es handelt sich um eine methodisch hochwertige, gut gemachte Studie“, sagt Prof. Dr. Philipp Wild von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu Medscape. Er leitet die Präventive Kardiologie, die Medizinische Prävention und die Klinische Epidemiologie. Gleichzeitig arbeitet Wild am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK).
Das Ergebnis überrascht Wild nicht, schließlich kenne man größenabhängige Effekte von zahlreichen Erkrankungen wie Diabetes oder Krebs, wenn auch in umgekehrter Korrelation. Allerdings zeige die retrospektive Kohortenstudie Assoziationen, aber keine Kausalitäten. Daten aus der Kindheit fehlten. Deshalb ließen sich keine Aussagen über den Lebensstil der Eltern, etwa Rauchen, Ernährung und körperliche Aktivität, treffen. Darüber hinaus bestände die Studie hauptsächlich aus schwedischen Personen. Ihre Ergebnisse würden nicht zwangsläufig für andere Populationen gelten.
Störende Einflussfaktoren eliminiert
Basis von Zöllers Studie war schwedische Registerdaten. „Bereits in der Vergangenheit wurden Assoziationen zwischen einem erhöhten VTE-Risiko und der Körpergröße gefunden“, schreibt der Erstautor. „Allerdings ist es nie gelungen, genetische Einflüsse und Umweltfaktoren zu eliminieren.“ Deshalb arbeitet Zöller mit einem speziellen Design: Er vergleicht Daten von Zwillingen.
Die 1. Kohorte umfasste rund 1,6 Millionen Wehrpflichtige der Geburtsjahrgänge 1951 bis 1992. Sie wurden zwischen 1969 und 2010 aufgenommen und bis 2012 begleitet. Alle Teilnehmer hatten in ihrer Vorgeschichte keine VTE. Hinzu kam eine Kohorte mit knapp 1,1 Millionen Nulliparae, die während ihrer 1. Schwangerschaft zwischen 1982 und 2012 für die Kohorte rekrutiert worden sind. Auch hier endete die Nachbeobachtung im Jahr 2012. VTE gab es vor der Aufnahme in die Kohorte ebenfalls nicht. Über das schwedische Multigenerationenregister fand Zöller in beiden Kohorten Zwillingspaare, die sich in ihrer Größe unterschieden. Anschließend erfasste er die Gesamtzahl an VTE.
Größere Probanden, höheres VTE-Risiko
„Im Vergleich zu den größten Frauen über 185 cm und den größten Männern über 190 cm fanden wir bei kleineren Teilnehmern graduell niedrigere VTE-Risiken“, resümiert Zöller. Das Risiko war bei kleinen Frauen und Männern (< 155 bzw. < 160 cm) am geringsten. Hier errechneten die Autoren eine Hazard Ratio von 0,31 (95%-Konfidenzintervall: 0,22–0,42) beziehungsweise 0,35 (95%-KI: 0,22–0,55). Mindestens 10 cm Unterschied führte bei Brüdern zu einer HR von 0,69 (95%-KI: 0,61–0,78). Für Schwestern errechneten die Forscher bei 10 cm oder mehr eine HR von 0,65 (95% Konfidenzintervall, 0,52–0,80). Die jeweils kleinere Person hat das geringere VTE-Risiko.
„Die Körpergröße erwies sich als unabhängiger Prädiktor des VTE-Risikos“, resümiert Zöller. „Durch Geschwisterpaare konnten wir den Effekt weiterer Faktoren zumindest verringern.“ Gleichzeitig gibt er zu bedenken: „Die Größe der Bevölkerung hat sich im Schnitt erhöht, was erklären könnte, warum auch die Zahl an VTE weiter zunimmt.“ Nicht jedes Ereignis lasse sich auf chirurgische Eingriffe, Krebserkrankungen, Immobilisierung oder hormonelle Einflüsse zurückführen.
Biologie oder Physik als mögliche Erklärung
Um Assoziationen zwischen der Körpergröße und dem VTE-Risiko zu erklären, nennt Zöller die Schwerkraft als entscheidenden Faktor. Bei größeren Menschen gebe es mehr Gravitationsdruck in den Beinvenen. „Außerdem haben größere Individuen längere Beinvenen und damit auch mehr Fläche, wo Probleme auftreten können“, spekuliert er weiter.
Wild kommentiert: „Ich wäre vorsichtig mit schnellen Erklärungen.“ Die im Artikel genannten physikalischen Faktoren seien nicht der einzige Ansatz. „Ich halte biologische Faktoren, beispielsweise Hormone, die beim Wachstum eine Rolle spielen, für relevanter.“ Deren Einfluss auf Erkrankungen sei bekannt und vor allem bei Krebs gut untersucht worden.
Aktuell sieht Wild keine Notwendigkeit, die Körpergröße beim VTE-Risiko zu berücksichtigen: „Mit 245 Fällen auf 100.000 Personen sind VTE eine eher seltene Erkrankung. Durch bekannte genetische Risiken oder Umweltfaktoren erhöht sich das Risiko in einer Größenordnung von 500 bis 10.000 Prozent!“ Angesichts dieser Zahlen seien 65 bis 69% von eher geringer Relevanz. „Spannend wäre, zu verstehen, inwieweit die Körpergröße mit anderen Faktoren oder klinischen Ereignissen zusammenwirkt“, ergänzt der Experte.
REFERENZEN:
1. Zöller B, et al: Circ Cardiovasc Genet (online) 5. September 2017
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Mit der Körpergröße wächst das venöse Thromboembolie-Risiko: Ein unabhängiger Risikofaktor? - Medscape - 25. Sep 2017.
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