Rheuma: Welche Medikamente sind vor, während und nach der Schwangerschaft erlaubt? Expertentipps für Frauen – und Männer

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

25. September 2017

Stuttgart – Welche Medikamente sind sicher, wenn eine Rheuma-Patientin schwanger ist oder werden will? Welche Wirkstoffe sollten wann abgesetzt werden? Und was gilt für Männer, die Väter werden wollen? Neue Studien und Empfehlungen hierzu stellte Prof. Dr. Monika Østensen vom University Hospital Trondheim, Norwegen, auf dem 45. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Stuttgart vor [1].

Dabei ging sie auf die unterschiedlichen Wirkstoffgruppen in, vor und nach der Schwangerschaft ein. „Die Ärzte fühlen sich hier häufig verunsichert. Und dann kann es zu Fehlentscheidungen kommen“, sagte Østensen, die auch an den aktuellen EULAR-Empfehlungen für Antirheumatika mitgearbeitet hat.

Wie sicher ist Kortison?

Stichwort Kortison: Hier liegt die sichere regelmäßige Tagesdosis zwischen 2,5 und 5 mg. Bei einem Schub sollte eine Pulsbehandlung erfolgen. Die Empfehlung bei einem leichtem bis mittlerem Schub lautet hier: 125 bis 250 mg Methylprednisolon an 3 darauffolgenden Tagen. Bei einem schweren Schub: 500 mg an 3 aufeinanderfolgenden Tagen. Im Anschluss könne auf 2,5 bis 5 mg reduziert und mit immunsuppressiven Medikamenten kombiniert werden, rät die Rheumatologen und verwies auf die Ergebnisse einer Untersuchung bei Lupus-Patientinnen sowie einen Vergleich von Leitlinien.

Die schnelle hochdosierte Therapie trage dazu bei, dass man die Dosis danach auch rasch wieder reduzieren könne. Und: „Verabreichen Sie bei akuter Arthritis eine Glukokortikoid-Injektion direkt ins Gelenk oder intramuskulär. Das ist schonender und macht weniger Nebenwirkungen“ rät Østensen.

Wann Methotrexat abgesetzt werden muss

Unstrittig unter Rheumatologen ist, dass potentiell teratogene Medikamente wie Methotrexat (MTX), Cyclophosphamid und Mycophenolat abgesetzt werden müssen. Hier sei eine erhöhte Fehlbildungsrate zwischen 3 und 5% erwiesen, so Østensen. Oft sei den Ärzten jedoch nicht klar, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Eine Antwort darauf gibt eine prospektive, kontrollierte Studie, die von Forschern an der Charité Berlin gemacht worden ist. Eine Gruppe von 136 Patientinnen wurde 5 bis 10 Wochen vor der Konzeption mit der MTX-Standarddosis behandelt, was keinen negativen Effekt auf die Schwangerschaft und das Kind hatte.

Allerdings zeigte sich bei der Vergleichsgruppe von 188 Patientinnen, die noch im 1. Trimester der Schwangerschaft MTX erhalten hatten, eine Abortrate von 42,4% und eine Fehlbildungsrate von 6,6%. Fazit: MTX hat innerhalb von 10 Wochen vor Konzeption keinen negativen Effekt, eine Behandlung im 1. Trimester jedoch schon.

Cyclophosphamid sollte hingegen 3 Monate und Mycophenolat 6 Wochen vor Konzeption abgesetzt werden, so die EULAR-Empfehlung.

 
Die Ärzte fühlen sich hier häufig verunsichert. Und dann kann es zu Fehlentscheidungen kommen. Prof. Dr. Monika Østensen
 

Medikamente in der Grauzone: Absetzen oder beibehalten?

„Medikamente in der Grauzone sind nur unzureichend untersucht. Hier ist die Sicherheit für den Fetus und das Kind aufgrund fehlender Evidenz nicht erwiesen“, betonte Østensen.

Grundsätzlich gelte für Arzneimittel, die aktuell nicht explizit für Schwangere zugelassen sind: „Wenn kein anderes Medikament zur Verfügung steht, das sicherer erscheint und eine Nichtbehandlung für die Schwangere riskanter wäre, müssen Nutzen und Risiken individuell abgewogen werden“, so die Rheumatologin. Auf Basis dieser Abwägung müsse dann die Therapieentscheidung fallen.

Meist werde vom Einsatz von Medikamenten wie Leflunomid (LEF), Tocilizumab, Anakinra und Ustekinumab abgeraten, obgleich Studien – etwa für Leflunomid – bisher keine Sicherheitssignale bezüglich Fehlbildungsrate und Teratogenität fanden: Weder eine US-Kohortenstudie, noch eine prospektive Fall-Studie sowie eine Bewertung durch Embryotox (Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie) lieferten Hinweise.

Dennoch werde das Auswaschen von LEF weiterhin empfohlen. „Wenn eine Frau Leflunomid nimmt und schwanger wird, ist das jedoch kein unmittelbarer Anlass, der Frau zum Abbruch zu raten“, betonte Østensen. Ob es sinnvoll ist, LEF bereits 2 Jahre vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen, sei nach wie vor umstritten.

Neue Daten liegen auch zu Tocilizumab (TCZ) in der Schwangerschaft vor: 3 Studien lieferten Fallserien von TCZ in der Schwangerschaft, davon eine Studie, die 180 Schwangerschaften prospektiv und 107 retrospektiv untersucht hat. „Hier liegen keine Hinweise vor, dass durch Tocilizumab die Fehlbildungsrate erhöht ist, wenn es die Frau im ersten Trimester oder später in der Schwangerschaft genommen hat“, so Østensen.

Jedoch habe man bei einer Reihe von Frauen eine erhöhte Spontanabortrate im Vergleich zu gesunden nicht-behandelten Frauen gefunden. „Wir müssen aber auch bedenken, dass viele Patientinnen gleichzeitig mit Methotrexat behandelt werden, das die Abortrate erhöht“, betonte die Rheumatologin. Bei TCZ sprächen insgesamt weder die Tierdaten, noch die vorliegenden Daten aus Studien mit Patienten dafür, dass man einen Schwangerschaftsbruch bei TCZ-Exposition der Mutter empfehlen müsse.

Biologika während der Schwangerschaft

„Bisher sind nur die TNF-Inhibitoren genügend untersucht. Sie sind kompatibel mit einer Schwangerschaft“, sagte Østensen. Alle anderen Biologika befänden sich in der Grauzone. Eine neue Studie von Østensen und ihrer Gruppe hat schwangere Frauen untersucht, die im 3. Trimester mit unterschiedlichen Biologika behandelt wurden. Dabei wurde die Konzentration im mütterlichen Serum und im Nabelschnurblut gemessen. Demnach war die Konzentration von Infliximab, Adalimumab, Rituximab und Ustekinumab beim Kind höher als bei der Mutter.

Etanercept werde dagegen nur minimal durch die Plazenta transportiert – entsprechend gering sei auch die Konzentration im Nabelschnurblut, so die Rheumatologin. Und Certolizumab werde überhaupt nicht aktiv transportiert, könne also während der gesamten Schwangerschaft gegeben werden, rät sie. Fazit: „Falls die Patientin einen TNF-Inhibitor braucht, dann sollte man bevorzugt einen mit einer geringen Plazentapassage verschreiben.“

Wann sollten plazentagängige TNF-Inhibitoren während der Schwangerschaft abgesetzt werden? Dies hänge davon ab, wie aktiv die Krankheit der Patientin sei. Wenn eine Frau hervorragend auf Infliximab oder Adalimumab anspreche, dann sei das kein unmittelbarer Grund, die Behandlung zu stoppen, so die Rheumatologin. In der Regel sollten Infliximab und Adalimumab jedoch spätestens zwischen der 20. und 22. SSW abgesetzt werden, da die Konzentration im Nabelschnurblut des Kindes ansonsten sehr hoch wird. Etanercept sollte bis Woche 32 abgesetzt werden, sagte Østensen.

Eine aktuelle Meta-Analyse von 13 Studien zu TNF-Blockern konnte übrigens keine Erhöhung der Abort- oder Fehlbildungsrate zeigen. „Das ist eine sehr wichtige Botschaft für uns.“

 
Bisher sind nur die TNF-Inhibitoren (unter den Biologika) genügend untersucht. Sie sind kompatibel mit einer Schwangerschaft. Prof. Dr. Monika Østensen
 

Medikamente, zu denen nur Tierdaten oder wenige Fallberichte vorhanden sind, sollten in der Schwangerschaft nicht angewendet werden, weil nicht bekannt ist, ob sie eine schädliche Wirkung auf das Kind haben. Dies gelte für Tofacitinib, Baricitinib, Secukinumab und Canakinumab.

Und Väter?

„Männer sind heute sehr aufmerksam dafür, dass Medikamente vielleicht die Fertilität beeinflussen oder dass sie mutagen sein könnten und dies zu Aborten und Fehlbildungen führen könnte“, erläuterte die Rheumatologin.

Entwarnung gab sie für MTX. Dies müsse wohl nicht vor der Zeugung abgesetzt werden, so das Fazit aus den Ergebnissen einer prospektiven Kohortenstudie: Hier wurden 113 untersuchte Schwangerschaften, bei denen die Väter eine Dosis von 10 bis 20 mg MTX eingenommen hatten, mit einer Gruppe von 412 Schwangerschaften verglichen, die kein MTX nahmen. Es fanden sich keine Hinweise für risikoreiche Schwangerschaften unter MTX-Gabe bei Männern.

2 Studien untersuchten zudem Zellen aus dem Fruchtwasser auf chromosomale Aberrationen: Hier fanden sich ebenfalls keine Hinweise, dass MTX mutagen sein könnte, so die Rheumatologin.

Mycophenolat-Derviate seien hingegen umstritten: So habe die Europäische Arzneimittelkommission (EMA) Ende 2015 in einer Fachinformation gewarnt: Männer, die Mycophenolat zur Prophylaxe von Abstoßungsreaktionen bei einer Transplantation einnehmen, sollten für die Dauer der Therapie und 90 Tage nach Ende der Therapie Kondome benutzen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es bei einer möglichen Schwangerschaft zu Schädigungen des ungeborenen Kindes kommen könnte, so die EMA.

Allerdings haben 2 kontrollierte Registerstudien aus den Jahren 2013 und 2015, die exponierte mit nicht-exponierten Männern verglichen, keine erhöhte Abort- oder Fehlbildungsrate bei deren Kindern gefunden, so Østensen. Auch eine prospektive Kohortenstudie von 2017 fand keine erhöhte Fehlbildungsrate bei den Kindern, wenn die Väter Mycophenolat genommen hatten.

Studien zu Immunsuppressiva bei Vätern – an denen auch Østensen beteiligt war – kommen zum Schluss, dass Azathioprin, Cyclosporin und Tacrolimus nicht abgesetzt werden müssen, wenn ein Mann Vater werden will. Auch für die TNF-Inhibitoren Infliximab, Adalimumab und Etanercept sei bisher keine erhöhte Fehlbildungsrate festgestellt worden.

Medikamente in der Stillzeit

Stillende Mutter sollten immer mit der niedrigst-effektiven Dosis eines Medikamentes behandelt werden. Østensen verweist hier auf einige EULAR-Empfehlungen:

  • Leflunomide und Mycophenolat oder deren Derviate sollten nicht an Stillende verabreicht werden. Hier liegen keine ausreichenden Daten vor und man kann mögliche Schäden für das Kind nicht sicher ausschließen.

  • Alle anderen nicht-selektiven Cox-Inhibitoren wie Hydroxychloroquine, Azathioprine, Ciclosporine, Tacrolimus, Prednison oder Methylprednisolon (Pulstherapie) können an stillende Mütter verabreicht werden.

  • Die Biologika Infliximab, Etanercept, Adalimumab und Certolizumab können Stillenden verabreicht werden. Zu Abatacept, Tocilizumab, Rituximab und Belimumab fehlen entsprechende Studiendaten.

Auch wenn letztere Biologika nicht untersucht seien, gingen sie aufgrund ihrer Molekülgröße wahrscheinlich nicht oder nur minimal in die Muttermilch über, sagte Østensen. „Ich finde, dass man ein solches Medikament einer stillenden Mutter nicht verweigern sollte, wenn sie einen Schub hat und es wirklich das ist, was bei ihr effektiv wirkt.“

Østensen riet Ärzten, auch aktiv nach Fachinformationen zu suchen, etwa bei Embryotox, dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin.



REFERENZEN:

1. 45. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 6. bis 9. September 2017, Stuttgart

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....