Ein hoher Gehalt an natürlich vorkommendem Lithium im Trinkwasser könnte das Risiko, im Alter eine Demenz zu entwickeln, verringern. Zu diesem Ergebnis kommt Dr. Lars Vedel Kessing, Forscher an der Universität Kopenhagen, in einer bevölkerungsbasierten Fall-Kontroll-Studie [1].
„Hohe Probandenzahlen erzeugen schnell signifikante Ergebnisse. Ob die Ergebnisse aber klinisch relevant sind, ist eine andere Frage. Das kann ich aus der Veröffentlichung nicht erkennen“, kommentiert Prof. Dr. Richard Dodel, Inhaber des Lehrstuhls für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen und ärztlicher Leiter des Geriatrie-Zentrums Haus Berge, Contilia GmbH Essen. Ohne weitere Untersuchungen liefere die Arbeit einen wichtigen Hinweis, aber keinen Beweis.
Kein linearer Zusammenhang
Lithium ist als Medikament für Patienten mit bipolaren Störungen bekannt geworden. Schon früher fanden Wissenschaftler auch Hinweise auf die Beeinflussung der Alzheimer-Demenz. In einer kleinen randomisierten, kontrollierten Studie führten Lithium-Plasmakonzentrationen von 0,25 bis 0,5 mmol/l zu niedrigeren Werten des Alzheimer-Markers P-Tau. Gleichzeitig verbesserte sich die kognitive Leistung, was anhand der Alzheimer’s Disease Assessment Scale gezeigt wurde. Für Kessing und Kollegen war die Arbeit Ausgangspunkt für eigene Studien.
Im 1. Schritt entnahmen sie Wasserproben aus 151 Gebieten Dänemarks. Durch geographische Besonderheiten schwankt der Lithiumgehalt im Trinkwasser je nach Region vergleichsweise stark. In westlichen Regionen enthält das Grundwasser 0,6 µg/l, während im Osten des Landes Werte von bis zu 30,7 µg/l erreicht werden. Das liegt an verschiedenen Gesteinsformationen im Untergrund, die so in Deutschland nicht zu finden sind.
Anschließend werteten Kessing und Kollegen medizinische Aufzeichnungen von 73.731 Patienten mit Demenz und 733.653 Kontrollen aus. Das mittlere Alter lag bei 80,3 Jahren. Tatsächlich war der Lithium-Wert im Trinkwasser von Menschen mit Demenz etwas niedriger als bei gesunden Probanden, nämlich 11,5 µg/l versus 12,2 µg/l.
Um die Beziehung zwischen der Lithiumdosis und der neurodegenerativen Erkrankung zu untersuchen, führte Kessing eine Regressionsanalyse durch. Das Ergebnis bleibt aufgrund einer kurvenförmigen Assoziation jedoch widersprüchlich. Verglichen mit Personen, die Wasser mit 2,0 bis 5,0 µg/l aufnahmen, sank das relative Risiko (RR) bei mehr als 15,0 µg/l auf 0,83. Im Konzentrationsbereich von 10,1 bis 15,0 µg/l ermittelte Kessing ein RR von 0,98. Zwischen 5,1 und 10,0 µg/l lag das RR jedoch bei 1,22. Alle Unterschiede waren statistisch signifikant. Nur in bestimmten Konzentrationsbereichen gibt es also einen linearen Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung als Argument für Kessings Hypothese.
Sollte Trinkwasser mit Lithium angereichert werden?
Trotz dieser Zweifel diskutiert Dr. John J. McGrath von der University of Queensland im australischen St. Lucia, Trinkwasser mit Lithiumsalzen anzureichern [2]: „Die Aussicht, dass eine relativ sichere, einfache und billige Intervention, also die Optimierung der Lithium-Konzentrationen im Trinkwasser, dazu führen könnte, Demenzen zu vermeiden, ist verlockend.“ Er verweist auf weltweit steigende Zahlen an Patienten und auf die fehlenden Therapien. „Insofern kommt jeder vorbeugenden Maßnahme eine besondere Bedeutung zu“, so McGrath weiter.
Kessings Hyothese sei „überraschend, aber mechanistisch plausibel“. Lithium beeinflusse viele biologische Wege, die mit neuroprogressiven und neurodegenerativen Erkrankungen verbunden seien. Er nennt u.a.:
homöostatische Mechanismen,
intrazelluläre Mikroglia-Aktivierung,
Glutamatexzitotoxizität,
Apoptose,
Autophagie,
Entzündungen,
oxidativen Stress,
mitochondriale Dysfunktionen.
Lithium erhöhe auch die synaptische Plastizität und reguliere mehrere antiapoptotische Faktoren nach oben, ergänzt McGrath. Das Ion hemme zudem das Enzym Inositolmonophosphatase 2 und reduziere den Inositoltrisphosphat-Spiegel. „Hier handelt es sich um wissenschaftlich dokumentierte Prozesse bei der Demenz.“
Der Editorialist argumentiert nicht nur mit Demenzen unterschiedlicher Pathogenese, sondern hofft auf weitere Effekte. Vor mehr als 25 Jahren hatten Forscher schon eine Assoziation höherer Lithiumwerte mit niedrigeren Suizid- und Kriminalitätsraten gefunden. McGrath vermutet jedoch, der Zusatz von Lithium lasse sich in der Praxis nicht realisieren. Bereits die Frage, ob Fluorid dem Trinkwasser zugesetzt werden solle, habe zu großen Diskussionen geführt, schreibt er.
„Lithium ist keine Substanz, die man allen Personen in größeren Mengen anbieten sollte“, warnt Dodel. „Wir kennen unerwünschte Effekte auf die Nieren und auf das Herz von Patienten mit bipolaren Störungen.“ In der Pharmakotherapie kämen zwar höhere Dosierungen zum Einsatz. Trotzdem will der Experte Nebenwirkungen auch bei niedrigen Mengen nicht ausschließen.
REFERENZEN:
1. Kessing LV, et al, JAMA Psychiatry (online) 23. August 2017
2. McGrath JD, et al, JAMA Psychaitry online 23. August 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Demenzschutz aus dem Wasserhahn – Geringeres Risiko bei höherer Lithium-Konzentration im Trinkwasser? - Medscape - 21. Sep 2017.
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