Stress und Depression als Krebsauslöser? Viele Deutsche glauben daran – doch was halten Psychoonkologen davon?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

19. September 2017

Warum ich? Das dürften sich viele Patienten fragen, die an Krebs erkrankt sind. Aber nach Ansicht von Experten lassen sich die Gründe nicht so einfach angeben. Gewiss – Tabak, Alkohol oder ungesunde Ernährung erhöhen das Risiko, zum Krebspatienten zu werden. Aber eben nicht zwangsläufig. Jetzt hat eine Umfrage des Krebsinformationsdienstes gezeigt, wie die Bevölkerung beim Krebs den Ausbruch der Krankheit begründet: Viele glauben, dass Krebs durch seelische Belastungen ausgelöst wird [1].

Im Auftrag des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums hat das Meinungsforschungsinstitut GfK im Juli und August 2.023 Menschen (991 Männer und 1.032 Frauen im Alter von 14 bis über 70 Jahren) mit 3 Aussagen zum Thema „Psyche und Krebs“ konfrontiert. Die Befragten waren zum Teil selbst erkrankt oder hatten Krebspatienten in ihrem Umfeld.

An eine „Krebspersönlichkeit“ als Auslöser glauben die wenigsten

Das Ergebnis: 61% aller Befragten (1.236 Menschen) stimmten der Aussage zu, dass psychische Probleme und Stress Krebs verursachen. 787 indessen sahen hier keinen Zusammenhang. Zwischen Männern und Frauen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede, so die Studie. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Befragten, die aktuell mit der Erkrankung Krebs direkt oder indirekt zu tun haben: Rund 54% der Patienten stimmten zu und 65% der Menschen, die mit der Erkrankung Krebs im persönlichen Umfeld zu tun haben.

Dass es aber eine bestimmte Kombination seelischer Probleme gebe, die zu Krebs führte, glaubte die Mehrheit der Befragten nicht. Rund 72% aller Teilnehmer an der Umfrage glauben nicht, dass Menschen Krebs bekommen, weil sie eine gehemmte Persönlichkeit haben und unfähig sind, starke Gefühlsäußerungen zu zeigen. Ähnlich auch das Ergebnis bei den aktuell erkrankten Krebspatienten sowie Angehörigen und Freunden von Patienten: Jeweils rund drei Viertel waren nicht einverstanden mit diesem Statement. Kurz: An eine „Krebspersönlichkeit“ als Auslöser für Krebs glauben heute die wenigsten, so die Untersuchung.

Schließlich fragten die Meinungsforscher auch, wie wichtig psychische Stabilität im Falle einer Krebserkrankung sei. Das Ergebnis: 84% der Befragten glauben, dass eine kämpferische und positive Haltung die Überlebenschancen von Krebspatienten erhöht. Von den aktuell Erkrankten waren es sogar über 90%, die dieser Aussage zustimmten.

Der Zusammenhang von seelischen Leiden und Krebs ist nicht erwiesen

Das Problem: Der Zusammenhang von seelischen Leiden und Krebs ist nicht erwiesen. Das sagt jedenfalls Prof. Dr. Joachim Weis von der Klinik für onkologische Rehabilitation am Universitätsklinikum Freiburg. Allerdings könnte das Stresshormon Kortison eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen. So sinke der Kortisonspiegel bei gestressten Menschen über den Tageslauf nicht ab wie bei entspannten Menschen. Da Kortison auch mit entzündlichen Prozessen in Verbindung gebracht wird, könnte es das Wachstum von Krebszellen stimulieren, meint Weis. „Aber das sind nur Denkmodelle. Es gibt keine Studie, die diesen Zusammenhang im menschlichen Kontext untersucht hat.“

Allerdings kann Stress unter Umständen mittelbar Krebs auslösen, weil gestresste Menschen mehr rauchen, sich schlechter ernähren und sich weniger bewegen. Aber auch hier fehle der wissenschaftliche Nachweis. „Wir kennen zu psychischen Auslösern von Krebs nur die Analysen über den Lebensstil“, resümiert Weis.

 
Wir kennen zu psychischen Auslösern von Krebs nur die Analysen über den Lebensstil. Prof. Dr. Joachim Weis
 

Ähnliches gilt für den Kampfgeist von Krebspatienten. Er hilft mittelbar und kann sogar das Leben der Patienten verlängern. Aber eben deshalb, weil kämpferische Patienten zum Beispiel eher die bestmögliche Therapie suchen und sich insgesamt mehr um ihre Gesundheit kümmern. Der Kampfgeist als solcher aber ist nicht heilsam. „In den 90er-Jahren hat man den Aspekt des Kämpfens in der Coping-Forschung etwas überstrapaziert“, meint der Freiburger Experte. Aber klar sei, dass etwa Krebspatienten mit Depressionen schlechtere Prognosen haben also solche, die keine Schwermut zeigen.

Das Unerklärliche erklären

Bleibt die Frage, warum so viele Menschen trotz der brüchigen Evidenz daran glauben, dass psychische Faktoren Krebs auslösen können und eine positive Geisteshaltung das Leben von Krebspatienten verlängern kann. Dr. Frank Schulz-Kindermann, Psychologe und Leiter der Spezialambulanz für Psychoonkologie am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), meint: Es sei wenig überraschend, dass 2 derart multifaktorielle Geschehen – wie Krebs einerseits und Stress andererseits – in keinen direkten Begründungs-Zusammenhang gebracht werden können.

„Trotzdem ist es für viele Menschen verlockend, kausale Begründungs-Zusammenhänge herzustellen“, sagt er. „Denn unsere klinische Erfahrung ist: An Krebs zu erkranken, führt bei den allermeisten zu Bestürzung, einer tiefen Ratlosigkeit und zum Gefühl des Abgetrennt-Seins vom bisherigen Leben.“

Dabei tauche eine Frage immer wieder auf: Warum habe ich das? „Da gibt es kaum gute Antworten, die von der Somatik herkommen – außer vielleicht bei Lungenkrebs. Und mit dieser offenen Frage können die Menschen kaum umgehen, schon gar nicht in so einer unbeständigen Situation wie einer Krebserkrankung.“ Da kommen der Stress am Arbeitsplatz, der Tod der Mutter oder die Vermutung, nicht gut mit sich umgegangen zu sein, gerade recht. Sie bieten Gründe an. Sie erklären das Unerklärliche.

 
Es ist für viele Menschen verlockend, kausale Begründungszusammenhänge herzustellen. Dr. Frank Schulz-Kindermann
 

Die Arbeit in der Spezialambulanz widme sich vor allem dem Weg der Patienten zurück in das normale Leben, in die Arbeit und die Beziehungen. Patienten, die ansonsten stabil im Leben stehen, können dabei die psychischen Gründe sogar eine Zeit lang „als Hilfskonstruktion benutzen“, wie Schulz-Kindermann sagt. Aber in den Gesprächen in der Ambulanz lassen sie diese Hilfen dann auch rasch wieder los, um erkennen zu können, was ihre Erkrankung für ihr Leben bedeutet. Und dies dürfte nicht nur für Patienten gelten, sondern auch etwa für ihre Angehörigen.

Übrigens irren nicht nur Patienten oder die allgemeine Bevölkerung, wenn sie psychische Belastungen für krebsauslösend halten. „Sondern auch viele Psychotherapeuten“, so Schulz-Kindermann. „Sie glauben genauso häufig wie der Bevölkerungsdurchschnitt, dass Krebsentstehung etwas mit der Psyche zu tun habe. Das finden wir Psychoonkologen fragwürdig.“



REFERENZEN:

1. Pressemeldung des Krebsinformationsdienstes vom 29. August 2017

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....