Typ-2-Diabetes: Kardiovaskuläre Endpunktstudie mit Exenatid enttäuscht – was kann Liraglutid, was Exenatid nicht kann?

Interessenkonflikte

19. September 2017

Lissabon – Der Glucagon-Like-Peptide-1 (GLP-1) Rezeptor-Agonist Exenatid in seiner einmal wöchentlichen Darreichungsform (Bydureon®, AstraZeneca) hat in einer großen kardiovaskulären Endpunkt-Sicherheitsstudie, vorgestellt bei der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Lissabon, zwar den Nachweis erbracht, dass es kardiovaskulär sicher ist, ist aber daran gescheitert, einen signifikanten kardiovaskulären Nutzen zu zeigen [1].

Die Hauptergebnisse der EXSCEL-Studie (EXenatide Study of Cardiovascular Event Lowering) waren bereits vor dem Meeting bekannt. Nun wurden sie auch gleichzeitig im New England Journal of Medicine publiziert [2].

Die Studie umfasste 14.000 Teilnehmer mit Typ-2-Diabetes und einem weiten Bereich zusätzlicher kardiovaskulärer Risiken (73,1% hatten bereits kardiovaskuläre Erkrankungen), sie stammten aus 35 Ländern und wurden randomisiert auf entweder einmal wöchentlich Exenatid mit verzögerter Freisetzung (2 mg sc) oder Placebo – dies on Top zur Standardtherapie.

Die Studien mit GLP-1-Agonisten hatten unterschiedliche Ergebnisse

Studienleiter Prof. Dr. Rury R. Holman, Direktor der Diabetes Studien-Einheit der Universität Oxford, Großbritannien, versuchte, die Studie für die Kongressteilnehmer in einen Zusammenhang zu stellen und diskutierte die unterschiedlichen Ergebnisse, die bislang mit den verschiedenen Wirkstoffen aus der Klasse der GLP-1-Agonisten in den kardiovaskulären Endpunktstudien erzielt worden sind.

Dazu gehören die ELIXA-Studie (Evaluation of LIXisenatide in Acute coronary syndrome) mit Lixisenatid (Lyxumia®, Sanofi), die LEADER -Studie mit Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk) und SUSTAIN-6 mit dem noch nicht zugelassenen Wirkstoff Semaglutid (Novo Nordisk).

„Die große Frage ist: Sind es echte Unterschiede, die wir in den kardiovaskulären Endpunktstudien gesehen haben – oder sind sich die GLP-1-Agonisten doch eher ähnlich als unterschiedlich?“, fragte er.

Es gebe sicherlich Unterschiede in den Studien-Designs, räumte er ein. So war z.B. EXSCEL die größte kardiovaskuläre Endpunktstudie, die bislang mit einem GLP-1 Agonisten gemacht worden ist und sie „hatte breitere Einschlusskriterien“, so Holman. Sie war z. B. zweieinhalbfach größer als SUSTAIN-6.

 
Die große Frage ist: Sind es echte Unterschiede, die wir in den kardiovaskulären Endpunktstudien gesehen haben? Prof. Dr. Rury R. Holman
 

Und die Patientenpopulationen unterschieden sich: In ELIXA z.B. hatten alle Patienten erst kürzlich ein akutes Koronarsyndrom (ACS) überstanden – es gab also keinen einzigen Teilnehmer in der Primärprävention.

Zusätzlich unterschieden sich die Follow-up-Zeiten in den Studien – so war eine der Limitationen von EXSCEL, räumte Holman ein, dass die Expositionszeit gegenüber der Therapie mit im Schnitt 2,4 Jahren relativ kurz war. In LEADER mit Liraglutid waren dies immerhin 3,5 Jahre.

Die kurze mittlere Follow-up-Zeit in EXSCEL war begleitet von einer höheren Rate an Therapieabbrüchen, die laut Holman vor allem auf Probleme mit der Komplexität der 1. Generation von Devices zurückzuführen waren, mit denen Exenatid appliziert wurde.  „Das alles sind keine unbedeutenden Unterschiede im Studien-Design und -Verlauf“, sagte er.

Trotzdem, so meint Holman, „die Wirkstoffklasse als Ganzes ist in ihren kardiovaskulären Outcomes konsistent”. Und weiter: „Die EXSCEL-Daten zu kardiovaskulären Endpunkten und zur Mortalität stimmen mit denjenigen überein, die wir für andere GLP-1-Agonisten in ELIXA, LEADER und SUSTAIN-6 gesehen haben. Sie unterstützen weiterhin den Einsatz dieser Substanzen in der Behandlung des Typ-2-Diabetes."

 
Die Wirkstoffklasse als Ganzes ist in ihren kardiovaskulären Outcomes konsistent. Prof. Dr. Rury R. Holman
 

EXSEL ergänzt das Wissen, war aber auch „enttäuschend“

Doch der unabhängige, eingeladene Kommentator, Prof. Dr. Francesco Giorgino, Abteilung für Endokrinologie, Andrologie und metabolische Erkrankungen der Universität Degli Studi di Bari, Aldo Moro, Italien, sieht die Dinge etwas anders: „EXSCEL ergänzt unser Wissen über die Therapie mit GLP-1-Agonisten bei Typ-2-Diabetes – und lässt uns mit einigen guten Neuigkeiten, aber auch einiger Enttäuschung zurück“, sagte er.

Die guten News sind, dass mit der Exenatid-Therapie kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko verbunden war, kein erhöhtes Risiko für Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz, für Pankreaskrebs oder Pankreatitis. Es gab zudem eine Senkung der Gesamtmortalität und einen „möglichen" kardiovaskulären Nutzen in einer Subgruppe von Patienten – bei denjenigen ab einem Alter von 65 Jahren.

Jedoch: Im primären Endpunkt gab es keine statistisch signifikante Reduktion, obwohl EXSCEL der LEADER-Studie ähnelte – dies mehr als jede andere Studie mit einem GLP-1-Agonisten, ergänzte er.

In EXSCEL war die Abnahme der Gesamtmortalität nicht mit einer Reduktion in der kardiovaskulären Mortalität assoziiert, wie dies z.B. mit Liraglutid in LEADER der Fall war. Letzteres hatte die FDA kürzlich veranlasst, zusätzliche Indikationen in die Fachinformation von Liraglutid aufzunehmen, nämlich die Reduktion des Risikos für Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulären Tod bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes, die eine klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankung haben.

„Die wichtigste Frage ist, wenn man alle diese Ergebnisse gemeinsam betrachtet, unterscheiden sich diese Wirkstoffe in ihrer Signalkapazität und ihren biologischen Effekten?“, sagte Giorgino. „Das ist keine einfache Frage – und die Antwort ist noch offen. Obwohl Exenatid und Liraglutid ähnliche Eigenschaften haben, gibt es Potenzial für einige Unterschiede zwischen den Wirkstoffen“, ergänzte er. EXSCEL, so schlussfolgerte er, „ist eine Forderung nach noch mehr Forschung, um diese Fragen zu klären".

 
EXSCEL … lässt uns mit einigen guten Neuigkeiten, aber auch einiger Enttäuschung zurück. Prof. Dr. Francesco Giorgino
 

In der allgemeinen Diskussion nach der Vorstellung der Studienergebnisse berichteten Ärzte, dass die Auswahl des GLP-1-Wirkstoffes im Alltag aber auch von vielen praktischen Aspekten abhängt, etwa den Kosten, der Art des Applikationssystems, der Verabreichungsfrequenz etc. – Liraglutid, zum Beispiel,  muss einmal täglich gegeben werden – in EXSCEL aber wurde die einmal wöchentliche Darreichungsform von Exenatid getestet.

Die Hauptergebnisse von EXSCEL

An EXSCEL haben 14.752 Patienten weltweit teilgenommen, 25% davon wurden in Nordamerika rekrutiert, 18% in Lateinamerika, 46% in Europa, und 10% kamen aus dem asiatisch-pazifischen Raum. Es gab 685 Studienzentren in 35 Ländern.

Die Baseline-Charakteristika zwischen den 2 Studienarmen waren gut ausbalanciert. Das mediane Alter der Teilnehmer lag bei 62 Jahren, 38% waren Frauen. Die meisten waren adipös, der mittlere Body Mass Index betrug 32 kg/m2. Die Diabetesdauer lag im Schnitt bei 12 Jahren.

Das Ziel der Studie war – bei gleicher glykämischer Kontrolle – die kardiovaskulären Effekte von Exenatid zu testen, betonte Prof. Dr. M. Angelyn Bethel, Oxford University, Großbritannien, die die Teilnehmer-Charakteristika vorstellte.

Die Ärzte durften alle Antidiabetika verordnen – außer einem anderen GLP-1-Agonisten und es gab keine „Run-In-Phase” in der EXSCEL-Studie, dies im Gegensatz zu anderen Endpunktstudien mit GLP-1-Agonisten. Rund 75% der Patienten hatten als Basis Metformin, 35% nahmen Sulfonylharnstoffe, 45% hatten zudem Insulin, 12% DPP-4-Inhibitoren und eine „kleine” Zahl erhielt SGLT2-Inhibitoren.

Unter den Patienten hatten 73% bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung, definiert als Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine koronare Revaskularisierung in der Anamnese oder eine signifikante Stenose der Koronarien oder der Karotiden oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK). Eine kongestive Herzinsuffizienz galt jedoch nicht als kardiovaskuläre Vorerkrankung und immerhin 16% der Patienten – sowohl im Exenatid- als auch im Placebo-Arm – fielen in diese Kategorie.

Der primäre zusammengesetzte Endpunkt – Tod an kardiovaskulärer Ursache, Herzinfarkt oder Schlaganfall – trat bei 11.4% der Patienten unter Exenatid im Verlauf von im Median 3.2 Jahren auf im Vergleich zu 12.2% unter Placebo (Hazard Ratio 0,91 in der Intention-to-treat Analyse; p = 0.06 für Überlegenheit).

Prof. Dr. Adrian F Hernandez, Duke University, Durham, North Carolina, der die kardiovakulären Outcome-Daten präsentierte, sagte EXSCEL „hat seinen primären Wirksamkeits-Endpunkt nicht erreicht“ – und die Ergebnisse für die sekundären Endpunkte – die Raten für Tod an kardiovaskulärer Ursache, tödlichen oder nicht-tödlichen Herzinfarkt, tödlichen oder nicht-tödlichen Schlaganfall, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder Hospitalisierung wegen eines ACS – unterschieden sich ebenfalls nicht zwischen den Gruppen und „waren konsistent mit dem primären Endpunkt“.

 
EXSCEL hat seinen primären Wirksamkeits-Endpunkt nicht erreicht. Prof. Dr. Adrian F Hernandez
 

Jedoch erreichte Exenatid den primären Sicherheits-Endpunkt (es erwies sich kardiovaskulär als sicher) und die Inzidenzen an akuter Pankreatitis, Pankreaskrebs, medullärem Schilddrüsenkarzinom oder irgendwelchen anderen schweren Nebenwirkungen waren ebenfalls nicht unterschiedlich in der Exenatid- und der Placebo-Gruppe. Und: Es gab einen Hinweis auf einen Nutzen in Bezug auf kardiovaskuläre Todesfälle bei den Teilnehmern ab einem Alter von 65 Jahren, sagte Hernandez.

In ihrer Publikation schreiben die EXSCEL-Autoren: „Dass kein kardiovaskulärer Benefit in der aktuellen Studie nachgewiesen werden konnte, könnte auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein. Das mediane Follow-up war kürzer [in EXSCEL] als in der LEADER Studie (3,2 vs 3.8 Jahre) ebenso wie die Exposition gegenüber der Studienmedikation (2,4 vs 3.5 Jahre); zusätzlich war der Ausgangs-HbA1C-Wert in unserer Studie niedriger als in der LEADER Studie (8.0% vs 8.7%) und die Rate an Therapieabbrüchen war höher.“

Die Erwartungshaltung steigt bei den neuen Antidiabetika

Eigentlich waren Studien wie EXSCEL nur dafür geplant worden, um die kardiovaskuläre Sicherheit von antidiabetischen Wirkstoffen nachzuweisen – dies als Reaktion auf den Skandal um Rosiglitazon (Avandia®, GlaxoSmithKline).

Aber zur Überraschung vieler haben dann einige dieser Studien gezeigt, dass manche dieser Wirkstoffe einen kardiovaskulären Benefit haben, so dass nun die Erwartungshaltung gewachsen ist, seitdem mehr und mehr dieser Studien publiziert werden.

 
Dass kein kardiovaskulärer Benefit in der aktuellen Studie nachgewiesen werden konnte, könnte auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein. Die EXSCEL-Autoren
 

Dies war zum einen bei einigen GLP-1-Agonisten der Fall. Doch die 1. große Studie war EMPA-REG – mit einem SGLT2-Inhibitor – in der erstmals eine Reduktion der kardiovaskulären Todesfälle mit einem Antidiabetikum, in diesem Fall mit Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Lilly) gezeigt werden konnte. Und hier hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA im vergangenen Dezember bereits das Label geändert und um den Zusatz ergänzt, dass diese Therapie auch das Überleben verbessert.

Kürzlich hatte dann auch die CANVAS-Studie (Canagliflozin Cardiovascular Assessment Study) einen kardiovaskulären Nutzen eines anderen SGLT2-Inhibitors, den von Canagliflozin (Invokana®, Johnson & Johnson) bestätigt. Die Studie hatte mehr als 10.000 Teilnehmer mit Typ-2-Diabetes und einem hohen kardiovaskulären Risiko oder kardiovaskulären Ereignissen in der Anamnese eingeschlossen. Doch war in dieser Studie – wie berichtet – der kardiovaskuläre Benefit auf Kosten eines höheren Amputationsrisikos unter Canagliflozin erkauft worden.

Die Präsentation der EXSCEL-Studie ist zum Download verfügbar unter www.exscel-study.org.


Dieser Artikel wurde von Sonja Böhm aus Medscape.com übersetzt.



REFERENZEN:

1. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 12. bis 16. September 2017, Lissabon

2. Holman RR, et al. NEJM (online) 14. September 2017

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