Schulstudie: Stress, Kopfschmerzen und Schlafstörungen plagen Schüler – Experten fordern Schulfach Gesundheit

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

19. September 2017

Fast jeder 2. Schüler zwischen 10 und 18 Jahren leidet unter Stress – und nicht nur das: Ein Drittel der Stressgeplagten, besonders die Mädchen, klagen zudem über Kopfschmerzen, Rückenbeschwerden, Bauchweh und Schlafprobleme, so ein zentrales Ergebnis des DAK-Gesundheitsradars, einer Befragung unter fast 7.000 Schülern der Klassenstufen 5 bis 10 [1].

„Ich finde es erschreckend, wie viele Kinder und Jugendliche mit Bauchschmerzen, Kopfweh und Rückenschmerzen zur Schule gehen“, sagt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit. „Unser neuer Präventionsradar zeigt großen Handlungsbedarf auf. Um Gesundheitsrisiken zu reduzieren, brauchen wir Programme gegen Schulstress oder für bewusste Ernährung.“

 
Die Ergebnisse des Präventionsradars sind alarmierend. Dr. Thomas Fischbach
 

Beunruhigt zeigen sich auch die Kinderärzte: „Die Ergebnisse des Präventionsradars sind alarmierend. Übergewicht, Fehlernährung und mangelnde Bewegung sind verantwortlich für einen großen Teil der Krankheiten, die wir jeden Tag in unseren Praxen sehen“, sagt Kinderarzt Dr. Thomas Fischbach aus Solingen, Pressesprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Es ist also höchste Zeit, dass wir Kinder und Jugendliche sensibilisieren, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen.“

Mädchen stärker belastet

Mädchen fühlen sich häufiger gestresst als Jungen und leiden nach eigenen Angaben auch öfter unter somatischen Beschwerden:

  • 4 von 10 Schülerinnen haben oft Kopfschmerzen (Jungen:  25%),

  • mehr als ein Drittel der Schülerinnen schläft schlecht (Jungen: 30%).

  • 30% der Schüler und Schülerinnen haben regelmäßig Rückenschmerzen,

  • ein Viertel der Mädchen und 15% der Jungen klagen über Bauchweh.

  • Viele Kinder und Jugendliche erleben Schule als Belastung: So geben 40% der Schüler an, zu viel für die Schule zu tun zu haben.

Dabei nehmen sowohl der Stress als auch somatische Beschwerden mit den Schuljahren zu. Diese Zahlen aus der DAK-Umfrage bestätigen die Trends, die aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) des Robert Koch-Instituts und der internationalen HBSC-Studie bekannt sind, sagt Sabine Schindler-Marlow, Referentin für Prävention bei der Ärztekammer Nordrhein in Düsseldorf, im Gespräch mit Medscape. „Jedoch muss man berücksichtigen, dass es sich um eine Selbsteinschätzung der Schüler handelt.“ Man könne also nicht schlussfolgern, dass 50% aller Schüler stressbedingte Erkrankungen aufweisen. „Daher sollte man diese Ergebnisse nicht überbewerten und keine kausalen Schlüsse ziehen“, fügt sie an.

Dass Mädchen auf weiterführenden Schulen häufiger unter Stress leiden als Jungen, sei ebenfalls aus der HBSC-Studie hervorgegangen. Dem gegenüber leiden im Grundschulalter Jungen öfter unter Stress als Mädchen. „Das spricht dafür, dass biologische Ursachen bei psychosomatischen Beschwerden eine Rolle spielen und Entwicklungsphasen bei Mädchen und Jungen bei der Bewertung der Umfrageergebnisse berücksichtigt werden müssen“, bemerkt Schindler-Marlow.

 
Es ist also höchste Zeit, dass wir Kinder und Jugendliche sensibilisieren, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Dr. Thomas Fischbach
 

Kassen, Kammern und Kinderärzte fordern mehr Gesundheit im Lehrplan

Im Präventionsradar 2017 hat die DAK-Gesundheit gemeinsam mit dem Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in 6 Bundesländern – Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – zum Schuljahr 2016/17 in 44 Schulen und 408 Klassen 6.902 Schüler und Schülerinnen (Durchschnittsalter 13 Jahre; 51% männlich) zu ihrem körperlichen und psychischen Wohlbefinden und zum Gesundheitsverhalten befragt.

Die DAK-Gesundheit sieht nun angesichts der Ergebnisse Handlungsbedarf an den Schulen: „Unsere Studie zeigt deutlich, dass Gesundheit in unseren Schulen eine größere Rolle spielen muss“, fordert Storm. „In der Schule sollen Kinder fürs Leben lernen – aber das Fach Gesundheit steht bislang nicht auf dem Stundenplan. Die Schüler können komplexe Matheaufgaben lösen und fließend Englisch sprechen, wissen aber nicht, wie schädlich Zucker und langes Sitzen sind“, fügt Storm an.

Begrüßt wird diese Forderung der DAK-Gesundheit vom Kinderärzte-Verband, der sich schon länger für mehr Gesundheitserziehung an Schulen einsetzt: „Der BVKJ fordert seit vielen Jahren die Aufnahme von Gesundheits- und Ernährungsthemen in den Lehrplan der allgemeinbildenden Schulen“, sagt Fischbach.

 
Die Schüler können komplexe Matheaufgaben lösen und fließend Englisch sprechen, wissen aber nicht, wie schädlich Zucker und langes Sitzen sind. Andreas Storm
 

Als nicht zwingend notwendig bezeichnet der Pädiater ein spezielles Fach Gesundheit. „Gesundheitsbewusstsein kann sehr gut fächerübergreifend vermittelt werden“, so der Kinderarzt. Wichtig seien Themen wie Bewegung gegen Haltungsschäden und Übergewicht, Erste Hilfe und Unfallvermeidung, Impfen, Drogen, Hygiene und Ernährungserziehung.

Auch andere Initiativen, etwa die „Allianz für Gesundheitskompetenz“, zu der sich 14 Spitzenverbände des Gesundheitswesens und das Bundesgesundheitsministerium zusammengeschlossen haben, sowie einige Ärztekammern, etwa in Niedersachsen und Nordrhein, setzen sich für bessere Gesundheitserziehung an Schulen ein. „Gesundheitskompetenz sollte Bestandteil von Bildungs- und Lehrplänen von allgemeinbildenden Schulen und Weiter- und Fortbildungseinrichtungen sein“, fordert die im Juni 2017 neu gegründete „Allianz für Gesundheitskompetenz“.

Wichtig sei nämlich, dass Kinder und Jugendliche ihre Befindlichkeiten, etwa Stress oder Rückenschmerzen, einordnen können, sagt Schindler-Marlow von der Ärztekammer Nordrhein. „Sie müssen außerdem wissen, wie sie damit umgehen – das setzt Gesundheitskompetenz voraus, die an Schulen vermittelt werden kann.“

Vermittlung von Gesundheitskompetenz in Schulen

Die Ärztekammer in Nordrhein hat schon 1995 das Programm „Gesund macht Schule“ für mehr Gesundheitskompetenz an Grundschulen ins Leben gerufen. Seit 1999 ist die AOK Rheinland/Hamburg beteiligt, und mittlerweile wird es auch in Hamburg und Sachsen-Anhalt umgesetzt. Im aktuellen Schuljahr nehmen rund 300 Schulen im Rheinland an dem Programm teil, bei dem Gesundheitsthemen wie „Menschlicher Körper”, „Bewegung und Entspannung“ oder „Essen und Ernährung“ in den Unterricht eingefügt und Ärzte von der Kammer als Referenten für Elternabende und zur Unterstützung des Unterrichts vermittelt werden.

Dr. Rudolf Henke

„Der Vermittlung von Gesundheitskompetenz in Grund-, Haupt- und Förderschulen kommt aus unserer ärztlichen Sicht eine hohe Bedeutung zu“, sagt Dr. Rudolf Henke, Internist und Präsident der Ärztekammer Nordrhein. „In der Schule können gesundheitserzieherische Ansätze aus den Familien verstärkt werden und dort, wo sie fehlen, miteinander aufgebaut werden.“

Das Vermitteln von Gesundheitskompetenz funktioniere jedoch nur bei entsprechender Integration von Gesundheitsthemen in die Lehrerausbildung, sagt Schindler-Marlow. „Voraussetzung für die Integration gesundheitlicher Themen in die Lehrpläne ist entsprechende Schulung des Lehrpersonals, auch der Fachlehrer an weiterführenden Schulen.“

 
Gesundheitsbewusstsein kann sehr gut fächerübergreifend vermittelt werden. Dr. Thomas Fischbach
 

Langfristig seien für ein gesamtgesundheitliches Bewusstsein an Schulen auch Aspekte wie Lärmschutz, ergonomische Möbel im Klassenzimmer, richtiges Lüften und eine gesunde Mittagsverpflegung zu beachten.

Energydrink statt Frühstück

Der Ernährungserziehung kommt angesichts eines weiteren Ergebnisses des Präventionsradars eine besondere Bedeutung zu: Fünftklässler schwören zwar auf Energydrinks, viele von ihnen legen jedoch keinen besonderen Wert aufs Frühstück:

  • Ein Viertel der Umfrageteilnehmer hat schon einmal einen Energydrink konsumiert,

  • unter den Zehntklässlern sind es 84%.

  • Rund 20% genehmigen sich den Wachmacher vor oder während der Schulzeit.

„Gerade für Kinder und Jugendliche sind diese Getränke bedenklich. Sie enthalten viel Koffein, sind extrem gesüßt und stecken voller synthetischer Zusatzstoffe“, warnt Studienleiter Prof. Dr. Reiner Hanewinkel vom IFT Nord.

In manchen EU-Ländern seien die koffeinhaltigen Fitnessdrinks für Minderjährige sogar verboten, fügt Schindler-Marlow an. „Kinder und Jugendliche müssen wissen, dass ein täglicher Konsum nicht ohne ist. Wir brauchen mehr Studien, die aufdecken, ab welcher Menge diese Getränke wirklich schädlich für die Gesundheit von Schülern sind“, so ihre aktuelle Einschätzung. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat sich für Hinweise auf den Etiketten der Drinks ausgesprochen, und dafür dass bestimmte Verbrauchergruppen, unter anderem Kinder, auf einen Verzehr verzichten sollten.

Nicht alle Schüler frühstücken vor der Schule:

  • Stufenübergreifend frühstücken nur 55% der Schülerinnen und Schüler täglich vor der Schule,

  • etwa ein Viertel (27%) frühstückt „nie“.

  • Mit zunehmendem Alter wird immer seltener gefrühstückt: Lediglich 47% der Neunt- und Zehntklässler frühstücken jeden Tag, während die Quote bei den Fünft- und Sechstklässler bei 63% liegt.

Fast Food erfreut sich dagegen großer Beliebtheit – 24% genehmigen sich Hamburger, Pizza und Co. mehrmals pro Woche. Genauso häufig konsumieren 39% der Schüler Softdrinks. Immerhin: Der Obst- und Gemüsekonsum liegt höher: Etwa die Hälfte der Befragten gibt einen täglichen Verzehr an.

 
In der Schule können gesundheitserzieherische Ansätze aus den Familien verstärkt werden und dort, wo sie fehlen, miteinander aufgebaut werden. Dr. Rudolf Henke
 

Etwa 12% der Befragten sind nach eigenen Angaben übergewichtig; unter denen, die nie zuhause frühstücken, sind es 16%.

Nur 17% der befragten Schüler sind täglich sportlich aktiv und entsprechen damit den Empfehlungen der WHO. Mit zunehmendem Alter reduziert sich die körperliche Aktivität der Schüler weiter.

Frühe Erfahrung mit Alkohol und Drogen

Alkohol haben bereits 60% der Befragten konsumiert; 22% der Fünft- und 89% der Zehntklässler berichten von Erfahrungen mit Alkohol. Mehr als jeder Zweite (59%) der obersten Jahrgangsstufe hatte bereits mindestens einen Rausch. Insgesamt 13% haben Cannabis ausprobiert; unter den Zehntklässlern sind es 29%.

 
Gerade für Kinder und Jugendliche sind diese Getränke (Energydrinks) bedenklich. Prof. Dr. Reiner Hanewinkel
 

Die DAK-Gesundheit plant, das Präventionsradar fortan jährlich als Quer- und Längsschnitts-Befragung durchzuführen.



REFERENZEN:

1. DAK Präventionsradar: Erhebung Schuljahr 2016/17

Kommentar

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