Doppelte SGLT-Hemmung für Typ-1-Diabetiker: Günstig für HbA1c, Blutdruck und Gewicht – aber auch mit Risiken

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

14. September 2017

Lissabon – Für Typ-2-Diabetiker sind in den letzten Jahren zahlreiche neue Medikamente und Daten aus großen Studien verfügbar geworden – DPP4-Hemmer, GLP-1-Agonisten und SGLT2-Inhibitoren zum Beispiel. Nun nehmen die Pharma-Hersteller zunehmend die Typ-1-Diabetiker ins Visier: Können diese – wenn sie mit Insulin allein die HbA1c-Ziele nicht erreichen – auch von solchen Wirkstoffen profitieren? Die Ergebnisse einer solchen großen Doppelblind-Studie mit dem Akronym „inTandem3“ sind nun aktuell beim Kongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Lissabon vorgestellt und zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert worden [1,2].

In 133 Zentren weltweit haben 1.402 Patienten mit Typ-1-Diabetes und einem HbA1c-Wert über 7% zusätzlich zum Insulin randomisiert entweder Sotagliflozin, einen neuen noch nicht zugelassenen oralen dualen Hemmstoff von SGLT1 und SGLT2 oder Placebo erhalten. Sotagliflozin wird als neuartiges Antidiabetikum von Lexicon Pharmaceuticals entwickelt. Es hat 2 Wirkprinzipien: Während über die SGLT2-Inhibition die renale Glukose-Rückresorption gehemmt und damit die Glukoseausscheidung erhöht wird, reduziert die SGLT1-Hemmung die Glukose-Absorption im proximalen Intestinum und damit vor allem postprandiale Glukosespitzen.

Die Doppelblind-Studie ging über 24 Wochen; die Dosis des SGLT1/2-Hemmers lag bei 400 mg/Tag. Der primäre Endpunkt war das Erreichen eines HbA1c-Wertes unter 7%, ohne schwere Hypoglykämien oder eine diabetische Ketoazidose.

Positive Effekte auf HbA1c-Wert, Körpergewicht und Blutdruck

Das Ergebnis in Kürze: Signifikant mehr Patienten unter Sotagliflozin als unter Placebo erreichten den primären Endpunkt (28,6 vs 15,2%; p < 0,001). Im Mittel hatten die Patienten unter der zusätzlichen dualen SGLT-Hemmung einen um 0,46 Prozentpunkte niedrigeren HbA1c-Wert, ein um knapp 3 kg geringeres Gewicht und einen um 3,5 mmHg niedrigeren systolischen Blutdruck – dies bei gleichzeitig im Schnitt 2,8 Einheiten weniger Insulin pro Tag (alle Vergleiche p ≤ 0,002).

Während sich die Rate an schweren Hypoglykämien in den beiden Gruppen nicht signifikant unterschied (3,0 vs 2,4% zu Ungunsten von Sotagliflozin), waren leichtere Unterzuckerungen mit einem Grenzwert unter 55 mg/dl (3,1 mmol/l) unter dem dualen SGLT-Hemmer signifikant seltener (11,8 vs 15,4 pro Person und Jahr). Allerdings wurden die günstigeren Effekte auf Stoffwechsel und kardiovaskuläre Risikofaktoren mit einem signifikant erhöhten Risiko für eine diabetische Ketoazidose unter Sotagliflozin erkauft (bei 3,0 vs 0,6% der Patienten).

In ihrem Fazit weist die internationale Studiengruppe unter Erstautor Prof. Dr. Satish K. Garg vom Diabeteszentrum in Aurora, Universität von Colorado, Denver, darauf hin, dass in der täglichen Praxis rund 2 Drittel der erwachsenen Typ-1-Diabetiker das HbA1c-Ziel von unter 7% nicht erreichen. Doch gilt dieses seit DCCT/EDIC als Standard, um möglichst wirksam diabetische Folgeschäden wie Retino- und Nephropathie zu vermeiden. Steigert man jedoch die Insulin-Dosis, um den Blutzucker weiter zu senken, riskiert man im Gegenzug mehr Hypoglykämien und mehr Gewichtszunahme. Zudem sind laut Garg bereits derzeit bis zu 2 Drittel der Typ-1-Diabetiker übergewichtig bzw. adipös.

 
Der Ziel-HbA1c-Wert … wurde bei etwa zweimal so vielen Patienten unter Sotagliflozin – und bei dreimal so vielen ohne Gewichtzunahme erreicht wie unter Placebo. Prof. Dr. Satish K. Garg
 

Vor diesem Hintergrund sei das Ergebnis ihrer Studie zu bewerten; „Der Ziel-HbA1c-Wert von unter 7 Prozent wurde bei etwa zweimal so vielen Patienten unter Sotagliflozin – und bei dreimal so vielen ohne Gewichtzunahme erreicht wie unter Placebo.“ Die Studienteilnehmer entsprächen der üblichen Typ-1-Diabetiker-Population in der Praxis, betonen die Autoren.

Es bleiben Bedenken wegen des Ketoazidose-Risikos

Jedoch: Es bleiben die Bedenken wegen des gehäuften Auftretens einer diabetischen Ketoazidose. Diese Komplikation, die lebensbedrohlich sein kann, galt bislang als typisch für den Typ-1-Diabetes – sie entsteht, wenn aufgrund des bestehenden absoluten Insulinmangels bei diesen Patienten die Glukose nicht verwertet werden kann und vom Körper zu Ketonkörpern verbrannt wird, wobei die Glukosespiegel sehr hoch sind.

Unter SGLT2-Hemmer sind aber auch immer wieder Fälle von diabetischer Ketoazidose bei Patienten mit Typ-2-Diabetes berichtet worden – oft verliefen sie untypisch und die Glukosespiegel waren dabei nicht massiv erhöht. Daher haben alle SGLT2-Hemmer inzwischen auf Verlangen von FDA bzw. EMA Warnhinweise in den Beipackzetteln, dass sie das Ketoazidose-Risiko steigern können.

Und nun sollen SGLT-Hemmer auch bei Patienten mit Typ-1-Diabetes eingesetzt werden? Bei ihnen könnte angesichts des absoluten Insulinmangels der Einsatz noch kritischer sein. Die Studienautoren empfehlen daher auch ein enges Monitoring – vor allem „bei metabolischen Stress-Situationen“, etwa vor OPs, oder auch bei Patienten unter Insulinpumpen-Therapie, bei denen etwa aufgrund unbemerkter Katheter-Verschlüsse oder von Funktionsausfällen des Infusionssets das Ketoazidose-Risiko sowieso höher ist.

Mögliche Vorteile eher bescheiden – Risiken und Kosten ziemlich eindeutig

Kritisch bewertet auch Prof. Dr. David M. Nathan, Diabetes Center am Massachusetts General Hospital und Harvard Medical School in Boston, die Studie in einem begleitenden Kommentar [3]. Er erinnert zwar daran, dass für einige SGLT2-Hemmer in den kardiovaskulären Endpunkt-Studien nachgewiesen ist, dass sie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes deren kardiovaskuläres Risiko senken. Bei Typ-1-Diabetes habe sich aber bislang für kein Antidiabetikum, das zusätzlich zum Insulin gegeben wird, ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil nachweisen lassen, wendet er ein. Dies gelte z.B. auch für Metformin und GLP-1-Agonisten.

 
Das bedeutet (…) man erhielte dadurch eine relative Risikoreduktion für mikrovaskuläre Komplikationen um etwa 20 Prozent. Prof. Dr. David M. Nathan
 

Auch wenn in der aktuellen Studie Sotagliflozin im primären Endpunkt (HbA1c unter 7%, ohne schwere Hypoglykämien und ohne Ketoazidose) signifikant besser abschnitt als Placebo hält er auch dies noch nicht für ein ausreichendes Argument, eine solche Kombination in der Praxis anzuwenden.

Denn zum einen war die Studie so designt, dass die Untersucher die aktuellen HbA1c-Werte der Patienten nicht kannten. Dadurch sei eventuell die Insulindosis in der Placebo-Gruppe nicht so nachjustiert worden, wie dies normalerweise in der Praxis geschehen wäre. Zudem sei der Zusatznutzen überschaubar gewesen: Nur um 13 Prozentpunkte stieg unter Sotagliflozin der Anteil der Patienten, die einen HbA1c unter 7% ohne schwere Hypos und ohne Ketoazidose erreichten. Und insgesamt habe nur ein Drittel der Sotagliflozin-Patienten überhaupt einen HbA1c unter 7% erreicht. „…und der HbA1c-Wert war im Mittel nur 0,46 Prozentpunkte (6%) unter demjenigen der Gruppe, die nur Insulin erhielt“.

„Laut den Daten aus der DCCT-Studie ist pro 10 Prozent relative HbA1c-Senkung ein um etwa 35 bis 40 Prozent niedrigeres Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen über 6,5 Jahre zu erwarten“, argumentiert er weiter. „Das bedeutet – vorausgesetzt, es gelänge die kurzfristige Reduktion des HbA1c-Wertes um 6 Prozent in dieser Studie über 6,5 Jahre zu erhalten – erhielte man dadurch eine relative Risikoreduktion für mikrovaskuläre Komplikationen um etwa 20 Prozent.“ Dagegen aufzurechnen seien die Risiken der SGLT-Blockade wie Ketoazidose, Dehydrierung und genitale Pilzinfektionen – „die sofortige und potenziell ernste klinische Konsequenzen haben und bei denen für jede dieser Komplikationen das Risiko um den Faktor 3 bis 6 im Vergleich zur alleinigen Insulintherapie steigen würde“.

 
Es ist eher wahrscheinlich, dass Verbesserungen bei der Entwicklung automatischer Insulin-Abgabe-Systeme (…) ergänzende Therapien zum Insulin in Zukunft unnötig machen. Prof. Dr. David M. Nathan
 

Fortschritte eher durch Weiterentwicklung von Insulinpumpen und Monitoring

Zudem würden mögliche Vorteile der höheren Wahrscheinlichkeit, den HbA1c-Zielbereich zu erreichen, durch das erhöhte Ketoazidose-Risiko in der Studie wieder aufgewogen. „Und es gibt wenig Hinweise, dass sich dieses Risiko mit zunehmender Therapiedauer abschwächt.“ Auch habe es sich in der Studie eher um eine Klientel mit geringem Ketoazidose-Risiko gehandelt. Eine andere Studie über 18 Wochen mit Canagliflozin bei Patienten mit Typ-1-Diabetes habe ähnliche Ergebnisse gezeigt: Eine leichte Besserung der HbA1c-Einstellung war einer 4 bis 6%igen Prävalenz von Ketoazidosen (im Vergleich zu 0% unter Placebo) gegenüber gestanden.

Bislang fehle es an ausreichenden Informationen um den eventuellen positiven Einfluss der besseren Diabeteseinstellung auf mikrovaskuläre Komplikationen gegen das erhöhte Ketoazidose-Risiko abzuwägen, moniert Nathan. Er glaubt: „Es ist eher wahrscheinlich, dass weitere Verbesserungen bei der Entwicklung automatischer Insulin-Abgabe-Systeme in Richtung künstliches Pankreas ergänzende Therapien zum Insulin in Zukunft unnötig machen.“ Denn mit solchen Systemen lasse sich die HbA1c-Einstellung optimieren und dabei das Hypoglykämie-Risiko niedrig halten. „Jeder zusätzliche Benefit von ergänzenden Therapien für Typ-1-Diabetes-Patienten muss sehr exakt gegen die damit implementierten Risiken und Kosten abgewogen werden.“



REFERENZEN:

1. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 12. bis 16. September 2017, Lissabon/Portugal

2. Garg SK, et al: NEJM (online) 13. September 2017

3. Nathan DM: NEJM (online) 13. September 2017

Kommentar

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