Mittagsschlaf, wenig TV, kaum Stress und viel Kaffee – neue Wege zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen

Roland Fath

Interessenkonflikte

8. September 2017

Barcelona – Mit einem gesunden Lebensstil kann bekanntlich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich gesenkt werden – doch was bedeutet „gesund“ jenseits der bekannten Einflussgrößen Ernährung, Bewegung und Rauchen? Bei der Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC) stellten Forscher neben neuen Zahlen zu den klassischen Risikofaktoren auch Studienergebnisse vor, nach denen unter anderem auch hoher Kaffeekonsum, Mittagsschlaf und wenig Fernsehen das Risiko jeweils um bis zu 65% reduzieren können [1]. 

Die üblichen Verdächtigen

Die Session zum Einfluss von bekannten und weniger erforschten Lebensstilfaktoren auf kardiovaskuläre Erkrankungen begann allerdings eher klassisch. Denn auch das Risiko für nicht-valvuläres Vorhofflimmern (VHF) – zu dem noch nicht so viele Daten zur Bedeutung von Lebensstilfaktoren vorliegen – wird ganz wesentlich durch traditionelle Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen und Alkoholkonsum beeinflusst.

Dr. C. Adrian Buzea, Klinikum Colentina in Bukarest, Rumänien, stellte eine Fall-Kontroll-Studie mit Daten zu fast 33.000 VHF-Patienten und 5-mal so vielen gematchten Kontrollpersonen aus Großbritannien ohne VHF vor. Starkes Übergewicht (Body-Mass-Index ≥ 30; 31,4% vs 21,4%), exzessiver Alkoholkonsum (≥ 3 Drinks täglich, 14,6% vs 10,9%) und Rauchen (16,6% vs 13,6%) war in der Fall-Gruppe deutlich häufiger als in der Vergleichsgruppe, berichtete er. Ein BMI von mindestens 35 war mit einem fast um 80% erhöhten VHF-Risiko verbunden, exzessiver Alkoholkonsum erhöhte das Risiko um rund 40%, Rauchen um 30%. Auch bei Ex-Rauchern wurde noch eine Risikoerhöhung um 15% nachgewiesen. Eine Vermeidung dieser modifizierbaren Risikofaktoren würde nicht nur das VHF-Risiko, sondern natürlich auch die Zahl von Schlaganfällen und die Schlaganfall-Mortalität reduzieren, resümierte Buzea.

Ungenügende körperliche Aktivität zählt ebenfalls zu den traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren. Ein noch besseres Maß für die Herz-Kreislauf-Gesundheit als Patientenangaben zur körperlichen Aktivität ist aber die objektiv messbare kardiorespiratorische Fitness (CRF). Dr. Johan Stub Clausen aus Kopenhagen, Dänemark, berichtete über die prospektive Copenhagen Male-Kohorte mit knapp 5.000 Männern, deren CRF auf dem Fahrradergometer über die maximale O2-Aufnahme bestimmt worden war.

Im Studienverlauf von 25 Jahren zeigte sich ein linearer Zusammenhang zwischen der gemessenen VO2max und der kardiovaskulären Mortalität. Pro Zunahme der VO2max um 10 ml/kg/min – die Durchschnittswerte lagen zu Beginn bei 32,9 ml/kg/min – verringerte sich die gesamte kardiovaskuläre Mortalität relativ um 10%, die Sterberate an vaskulären Erkrankungen sogar um 20%. Die Schlaganfallmortalität wurde nur tendenziell verringert, keinen Zusammenhang gab es zwischen der CRF und der Mortalität an Herzinsuffizienz, berichtete Clausen.

Auch eine Veränderung der CRF im Verlauf des Lebens hat erheblichen Einfluss auf die Prognose. Dies verdeutlichen die Daten einer norwegischen Studie mit rund 1.400 zu Beginn gesunden Männern im Alter von 40 bis 59 Jahren, deren CRF 2-mal im Abstand von 7 Jahren auf dem Fahrradergometer bestimmt worden war.

Parameter der Fitness war hier die geleistete Arbeit (kJ) geteilt durch das Körpergewicht (kg). Bei 35% der Studienteilnehmer hatte sich die Fitness im 7-Jahres-Zeitraum verbessert, bei 65% verschlechtert, berichtete Dr. Erik Prestgaard, Oslo University Hospital, Norwegen. Bei den Studienteilnehmern mit einem Anstieg der CRF – im Schnitt um 22% – war im Vergleich zu denen, bei denen sich die CRF am stärksten verschlechtert hatte (4. Quartile, Abfall um 25%), die Schlaganfallrate in den folgenden 25 Jahren halbiert.

Stress, Kaffee, Mittagsschlaf …

Auch zu den bisher weniger bekannten Risikofaktoren liegen mittlerweile Forschungsergebnisse vor. In einer Studie mit 10.000 Teilnehmern im Alter von 50 bis75 Jahren aus der Region Paris konnten Dr. Laure Poirat,  Paris, Frankreich und ihre Kollegen einen Zusammenhang zwischen hohem Stresslevel und ungünstigen Verhaltensfaktoren wie Rauchen, hohem BMI, wenig körperliche Aktivität und ungünstige Ernährung belegen. „Hohe Level von empfundenem Stress könnten eine zusätzliche Barriere für Präventionsbemühungen sein“, sagte Poirat.

Die Assoziation war unabhängig von anderen psychologischen Risikofaktoren wie Depressionen oder sozialer Isolation. Durch eine bessere Stressverarbeitung oder Vorbeugung könnten danach womöglich auch Verhaltens-Risikofaktoren günstig beeinflusst werden, spekulierte Poirat. Deutlich geringer war der Zusammenhang zwischen Stress und biologischen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Hypercholesterinämie oder erhöhter Nüchternglukosewerte.

 
Hohe Level von empfundenem Stress könnten eine zusätzliche Barriere für Präventionsbemühungen sein. Dr. Laure Poirat
 

Ein günstiger Einfluss von regelmäßigem Kaffeekonsum auf die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen ist bereits häufiger berichtet worden. Neue Daten weisen darauf hin, dass es praktisch gar keine Konsum-Obergrenze für den positiven Effekt gibt.

Im spanischen SUN-Projekt, an dem rund 20.000 Universitätsabsolventen teilnehmen, wurde eine inverse Assoziation zwischen dem Kaffeekonsum und der Gesamtmortalität gefunden. Bei Personen, die mindestens 4 Tassen täglich konsumierten war die Mortalität um 65% geringer als bei Personen, die nie oder fast nie Kaffee tranken. Besonders deutlich zeigte sich der Zusammenhang bei über 45-Jährigen, berichtete Dr. Adela Navarro, Hospital de Navarra in Pamplona, Spanien. Pro zusätzliche 2 Tassen Kaffee täglich, verringerte sich die Gesamt-Mortalität im rund 10-Jahres-Follow-up um 30%.

Risiko-Score, basierend auf 10 Faktoren

Im SUN-Projekt wurde auch der Nutzen eines 10-Faktoren-Scores zur Beurteilung der kardiovaskulären Gesundheit untersucht. In den Score flossen 5 traditionelle Risikofaktoren (Rauchen, BMI, mediterrane Ernährung, körperliche Aktivität, Alkoholkonsum) und 5 nicht-traditionelle Einflussfaktoren ein (Mittagsschlaf, TV-Konsum, Binge-Drinking, Sozialkontakte, Wochenarbeitszeit).

Mit zunehmender Zahl positiver Faktoren (Score von 0–10) nahm die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse stetig ab, berichtete Dr. Jesús Diaz-Gutierrez aus Pamplona. Bei Teilnehmern mit einem Score von 7 bis 10 war die Ereignisrate im Verlauf von im Median 10 Jahren um 87% geringer als bei Personen mit einem Score von 0 bis 2. Die Einzelfaktoren mit dem höchsten positiven Einfluss waren Nicht-Rauchen (Hazard Ratio: 50%), Mittagsschlaf (HR: 0,55) und TV-Konsum unter 2 Stunden täglich (HR: 0,57). Nach Ansicht von Diaz-Gutierrez könnte der Score helfen, die Präventionsbemühungen über traditionelle Risikofaktoren hinaus zu intensivieren.



REFERENZEN:

1. Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 30. August 2017, Barcelona/Spanien. Session „Impact of traditional and novel lifestyle factors on cardiovascular disease”, 27. August 2017

Kommentar

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