Barcelona – Post-hoc-Analysen der Blutdruck-Studie SPRINT gibt es bereits in großer Zahl. Der Effekt einer antihypertensiven Therapie mit einem systolischen Zielwert unter 120 mmHg versus unter 140 mmHg wurde dabei in den verschiedensten Subgruppen miteinander verglichen. Die Autoren einer neuen Analyse um Dr. Tzung-Dau Wang, Taipeh, Taiwan, wollten ebenfalls neue Erkenntnisse aus der SPRINT-Datenbasis generieren. Dafür gingen sie sogar so weit, Subgruppen innerhalb einer Subgruppe zu generieren – mit einem verblüffenden Resultat.
Denn letztlich hatten laut ihrer Analyse Patienten mit systolischen Ausgangswerten über 160 mmHg unter der intensiveren Blutdrucksenkung ein signifikant erhöhtes Mortalitätsrisiko – dies aber nur dann, wenn sie außerdem zu Studienbeginn einen Framingham Risk Score unterhalb des Medians aufwiesen. Ihre Ergebnisse stellten die Forscher auf dem europäischen Kardiologenkongress in Barcelona vor [1].
Ausschlaggebend für das Risiko ist der erreichte Wert
„Eine solche Vorgehensweise ist statistisch nicht korrekt“, kritisiert Prof. Dr. Michael Böhm, Homburg/Saar, die Analyse. „Das Ergebnis ist daher allenfalls Hypothesen-generierend“, betont er gegenüber Medscape.

Prof. Dr. Michael Böhm
Bei der Präsentation seiner Ergebnisse hatte Wang die Vermutung angestellt, dass die Patienten der von ihm gefundenen (und von ihm so genannten) Sub-Subgruppe mit Startblutdruckwert über 160 mmHg – aufgrund ihres niedrigen Framingham-Scores – zum einen nicht viel zu gewinnen haben. Andererseits ihnen aber die sehr starke und rasche Blutdrucksenkung im intensiven Behandlungsarm geschadet habe.
Das ist für Böhm jedoch nicht plausibel. Zwar fand der Homburger Experte in einer Analyse der Daten von ONTARGET und TRANSCEND selbst ein hohes Sterberisiko bei Patienten mit erreichten systolischen Werten unter 120 oder 110 mmHg – grafisch dargestellt in sogenannten J-Kurven. Doch dabei war der erreichte Wert ausschlaggebend gewesen und nicht die Differenz. „Im Gegenteil“, so Böhm: „Alles spricht dafür, dass eine deutliche Blutdrucksenkung mit einer Differenz von etwa 40 mmHg, wie von Wang beschrieben, das kardiovaskuläre Risiko der Patienten positiv beeinflussen würde – solange der Wert eben am Ende nicht allzu niedrig ist.“
In SPRINT war die Mortalität beim niedrigeren Ziel reduziert
Zur Erinnerung: In die SPRINT-Studie waren 9.361 Patienten ab einem Alter von 50 Jahren mit einem systolischen Blutdruck von 130 bis 180 mmHg, aber ohne Diabetes oder Schlaganfall-Historie eingeschlossen worden. Diese wurden in 2 Gruppen mit Blutdruck-Zielwerten unter 120 versus unter 140 mmHg randomisiert; der Blutdruck wurde dabei unbeaufsichtigt gemessen.
In der vor 2 Jahren publizierten Studie hatte sich dabei ein positiver Effekt für die strengere Blutdrucksenkung gezeigt: Der primäre Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, nicht-tödlichem akutem Koronarsyndrom/Myokardinfarkt, Schlaganfall oder akut dekompensierter Herzinsuffizienz war in der Gruppe mit dem niedrigeren Zielwert um 25% niedriger, die Gesamtmortalität als sekundärer Endpunkt war um 27% reduziert. Der Vorteil für die konsequentere Therapie war jeweils signifikant.
Auswertung von SPRINT nach Start-Blutdruck
Wang und Kollegen hegen jedoch Bedenken hinsichtlich der Therapiesicherheit, jedenfalls für einige Patienten mit einer Hypertonie vom Grad 2. Laut ihrer Analyse ist das Sterberisiko bei diesen Patienten manchmal nicht signifikant niedriger, sondern sogar signifikant höher, wenn man ihren systolischen Blutdruck zu stark, also auf unter 120 mmHg, senkt.
Auslöser für Wangs Überlegungen waren Unterschiede in der Gesamtmortalität der SPRINT-Patienten in Abhängigkeit vom Ausgangs-Blutdruckwert. Diese Unterschiede waren aber nicht signifikant.
Die taiwanesischen Forscher werteten daher das Outcome der SPRINT-Teilnehmer nochmals aus, nunmehr systematisch getrennt nach ihrem Start-Blutdruck. Dafür definierten sie nachträglich 5 Subgruppen im SPRINT-Kollektiv, beginnend mit den 2.324 Patienten, die einen Ausgangswert unter 130 mmHg hatten und somit eigentlich gar nicht für die Studie qualifiziert waren, und weiter in Zehnerschritten: 130 bis unter 140, 140 bis unter 150, 150 bis unter 160 sowie ab 160 mmHg.
Im primären Endpunkt zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen diesen 5 Subgruppen. Allerdings fand sich in der Subgruppe mit systolischen Ausgangsblutdruckwerten ab 160 mmHg ein nicht-signifikanter Anstieg der Gesamtmortalität um 16%. Die weitere Suche förderte in dieser Subgruppe mit den höchsten Start-Blutdruckwerten, die nur 961 Patienten umfasste, schließlich auch noch eine nicht-signifikante Steigerung der nicht-kardiovaskulären Todesfälle um 64% zutage.
Die Wissenschaftler aus Taiwan teilten die Patienten nun weiter in Sub-Subgruppen ein, um herauszufinden, ob irgendeine Patienten-Gruppe ein signifikant erhöhtes Sterberisiko hatte (was im Gegensatz zum Ergebnis der Gesamtstudie stehen würde). Aber weder das Alter noch vorbestehende Koronar- oder Nierenerkrankungen oder die antihypertensive Therapie spielten eine Rolle.
Erhöhtes Risiko für kleine Sub-Subgruppe
Erst bei der Betrachtung der Patienten nach ihrem zu Studienbeginn vorliegenden Framingham Risk Score wurden die Forscher fündig: Patienten, die zur Baseline einen systolischen Blutdruck über 160 mmHg hatten und dabei erstaunlicherweise einen niedrigen bis moderaten Framingham Risk Score aufwiesen, der unter dem Median des Gesamtkollektivs (31,3) lag, hatten eine 3-fach erhöhte Gesamtmortalität bei strikter Blutdrucksenkung. Diese erfüllte die mit p = 0,044 knapp die Vorgaben für die Signifikanz.
Wang meint deshalb, dass man bei Patienten mit Start-Blutdruckwerten über 160 mmHg und einem Framingham Score, den er der Einfachheit halber mit „unter 30“ definierte, den Blutdruck lieber nicht so konsequent senken sollte. Diese Sub-Subgruppe umfasste allerdings nur noch 480 Patienten, das waren 5,1% der Teilnehmer von SPRINT; die Hälfte von ihnen (n = 244) wurde intensiv blutdrucksenkend behandelt.
Tatsächlich dürfte es nur wenige Patienten geben, auf die diese Charakteristika zutreffen, denn wer an Hypertonie Grad 2 leidet, hat in der Regel kein niedriges oder moderates, sondern eher ein hohes kardiovaskuläres Risiko. Das bestätigt auch Böhm auf Nachfrage von Medscape: „Diese Studie wird sicherlich keine Auswirkungen auf die Leitlinien oder auf unsere alltägliche Praxis haben“, zeigte er sich sicher.
REFERENZEN:
1. Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 30. August 2017, Barcelona/Spanien
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Ist allzu viel doch ungesund? In einer Sub-Subgruppe von SPRINT erwies sich die starke Blutdrucksenkung als riskant - Medscape - 8. Sep 2017.
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