Einen langen Leidensweg hat der junger Mann hinter sich. Nun sagt er wieder von sich, dass er glücklich ist. Denn eine Transplantation hat ihm alle sexuellen und urologischen Funktionen zurückgegeben, nachdem eine Gangrän als Folge einer rituellen Beschneidung seinen Penis verstümmelt hatte. Es handelt sich um die erste erfolgreiche Operation dieser Art – und sie bedeutet Hoffnung für Kriegs- und Unfallopfer, Krebspatienten und Männer mit schweren angeborenen Missbildungen.
Ethische, psychologische, soziokulturelle und medizinische Probleme
Obwohl die Ärzte um Dr. André van der Merwe vom Tygerberg Academic Hospital in Kapstadt, Südafrika, mit den 2-Jahres-Ergebnissen in diesem Sommer eine Erfolgsgeschichte präsentiert haben, verschweigen sie in ihrer Lancet-Publikation nicht die Schwierigkeiten und Rückschläge, die es dabei gab [1]. Diffizil war z.B. die Auswahl des Patienten, weil gewährleistet sein sollte, dass er emotional stabil blieb.
Nicht nur der Verlust eines Körperteils greife das Ego an, auch das eines anderen Menschen zu bekommen, könne das Selbstbild erschüttern und in Psychosen, Depressionen, ja Ablehnung münden, erläutern die Nephrologen und Urologen, die durch ihr Fachgebiet – Nierentransplantationen – Erfahrung mit ähnlichen Problemen haben. Als warnendes Beispiel hatten sie die 1. Penisübertragung 2005 in China vor Augen: Das Transplantat war nach 2 Wochen wieder entfernt worden, auch weil die Frau des Empfängers es nicht akzeptieren konnte.
Hinzu kommt, dass die soziokulturellen Verhältnisse in Südafrika eine extreme Sensibilität erfordern, um Diskriminierung zu verhindern. Und nicht zuletzt galt es, den Nutzen des ja nicht lebensnotwendigen Eingriffs gegen die Risiken einer lebenslangen Immunsuppression abzuwägen. Ein Unsicherheitsfaktor war dabei die Therapietreue: Sie ist gerade im jungen Erwachsenenalter oft besonders niedrig, wie von Transplantationen allgemein bekannt ist.
Daher begannen die Ärzte bereits 2 Jahre vor der geplanten Operation, geeignete Kandidaten auszusuchen und mit ihnen ethische, psychologische und medizinische Fragen zu besprechen. Außerdem trainierten sie an anatomischen Präparaten die operative Technik.
9 Stunden Operation
Als ein Spender zur Verfügung stand, wählten sie aus der Warteliste von 12 Männern aufgrund von Blutgruppe und Gewebetyp einen 21-Jährigen aus, der durch eine Gangrän nach einer Beschneidung 3 Jahre zuvor aphallisch geworden war. Nach der Entnahme wurde das Spenderorgan 16 Stunden mit einer eiskalten Lösung gespült, und zwar per direkter Injektion in die Corpora cavernosa. Die lange Kühlung war deshalb unumgänglich, weil dasselbe Team in 1. Priorität anderen Patienten die Nieren des Spenders übertrug.
Die anschließende Penistransplantation dauerte 9 Stunden. Da bei dem Patienten auch die Anschlüsse zu den dorsalen Penisgefäßen durch Infektion und Ischämie zerstört waren, sicherten die Chirurgen die Blutversorgung des Spenderorgans, indem sie dessen Aa. dorsalis mit Nebenästen der A. epigastrica und A. pudendaper Anastomose vernähten. Zum Blutabfluss diente eine Verbindung der V. dorsalis penis mit einen Ast der V. epigastrica. Nach dem Öffnen der Klammern setzte sofort die Durchblutung des Penis ein. Ebenso wurden Harnleiter und Gewebe zusammengefügt sowie beide dorsale Nerven unter der Lupe repariert.
Die Chronik der Rekonvaleszenz
Die Immunsuppression mit Antithymyozyten-Globulin, Methylprednisolon, Tacrolimus, Mycophenolatmofetil und Prednison wurde sofort begonnen; nach einer Woche folgte zusätzlich eine 3-monatige Medikation mit dem PDE5-Hemmer Tadalafil.
Nach 8 Stunden machte ein Thrombus im Spenderorgan einen Notfalleingriff erforderlich. Am 3. Tag äußerte der Patient zum 1. Mal den Wunsch, „seinen“ Penis zu sehen, was die Autoren als Ausdruck dafür werten, dass er das Organ bereits in sein Körperbild integriert und als sein eigenes angenommen hatte. Nach dem Entkleiden habe er große Freude geäußert.
Nach 6 Tagen mussten ein infiziertes Hämatom und eine Hautnekrose chirurgisch behandelt werden.
Nach 3 Wochen berichtete der Patient erstmals über Erektionen und zeigte zum Beweis Fotos.
Nach 4 Wochen wurde er entlassen.
Nach 5 Wochen berichtete er von befriedigendem Geschlechtsverkehr, trotz der Anweisung mindestens 3 Monate abstinent zu bleiben. Doch waren bei der Untersuchung weder Hämatome noch Anastomosenlecks zu entdecken. Ein halbes Jahr später berichtete er, dass seine Partnerin im 3. Monat schwanger sei. Die Entbindung fand zwar fristgerecht statt, doch wurde das Baby leider tot geboren.
Nach 7 Monaten verschlechterte sich die Nierenfunktion, erholte sich jedoch wieder durch Verringerung der Tacrolimusdosis.
Nach 8 Monaten erkrankte der Patient an einer Phäohyphomykose des Fußes durch Alternaria alternata, die mit einem topischen Antimykotikum langsam abheilte.
Nach 18 Monaten sagte er, das wertvollste Ergebnis der Transplantation sei, dass er sich wieder glücklich fühle.
Nach 24 Monaten lag der Wert auf dem Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Short-Form-36 Version 2, SF-36v2) in der Domäne „psychisches Wohlbefinden“ bei 46, im Vergleich zu 25 vor der OP und 57 nach 6 Monaten. Die Harnflussrate war gut, die Blasenentleerung funktionierte normal. Der Internationale Index für die erektile Funktion (IIEF) ergab in allen Domänen hohe Werte, so etwa für die allgemeine Zufriedenheit 8 von 10 Punkte. Die Sensorik in dem Spenderorgan war voll wiederhergestellt. Der Patient berichtete über regelmäßigen Geschlechtsverkehr in einer festen Partnerschaft mit normalen Ejakulationen und Orgasmen.
Die Kosten für die Operation (18.653 US-Dollar) und die darauffolgende Behandlung (1.184 US-Dollar monatlich) trägt nach Angaben der Autoren das Gouvernement Westkap. Wie sie berichten, haben sie im April 2017 erneut eine Penistransplantation vorgenommen. Ein Team aus Boston habe diesen Eingriff voriges Jahr erstmals in den USA gewagt.
Aufbau eines Neophallus unbefriedigend
Wie mangelhaft die konventionelle Alternative zur Transplantation ist, schildern Dr. Nikolai A. Sopko und Prof. Dr. Arthur L Burnett von der Johns Hopkins University in Baltimore in ihrem Kommentar [2].
So erfordert der Aufbau eines Neophallus mit Lappenplastik und Implantaten, wie er meist auch bei Geschlechtsumwandlungen praktiziert wird, eine Serie aufwendiger und teurer Operationen – für das Medizinsystem in strukturschwachen Ländern im Hinblick auf Kosten und Expertise eine Überlastung.
Durch Komplikationen wie Atrophien, Harnleiterstrikturen, Fisteln oder Extrusion der Prothese beim Sex – in manchen Publikationen wird eine Rate von 40% angegeben – sind häufig weitere Eingriffe unvermeidlich. Zudem ist eine Erektion nur mit Hilfsmitteln möglich und es besteht die Gefahr, dass die Arbeitsfähigkeit des Patienten dauerhaft beeinträchtigt ist, etwa wenn der Gewebelappen aus dem Unterarm entnommen wird.
Tradition mit teils verheerenden Folgen
In Südafrika seien Komplikationen nach Beschneidungszeremonien die Hauptursachen von Verstümmelungen bis hin zur Amputation des Penis, erläutern van der Merwe und seine Kollegen. Beschneidungen gehören beim Stamm der Xhosa zu den Initiationsriten, mit denen junge Männer aufs Erwachsenenleben vorbereitet werden.
Die Teilnahme an dieser tiefverwurzelten Tradition zu verweigern, würde eine Stigmatisierung nach sich ziehen. Die Jugendlichen „gehen in den Busch“, das heißt, sie verbringen 8 Tage abgesondert in einem Lager, wo sie unter anderem Unterricht in Sexualkunde und über ihre Pflichten als Familienvater erhalten.
Der Beschneider, meist ohne eine klinische Ausbildung zu besitzen oder Desinfektionsmittel zu verwenden, entfernt die Vorhaut mit einem Assegai, einem traditionellen Speer. Danach umwickelt er den Penis in voller Länge eng mit blutstillenden Heilkräutern in einem Leder- oder Stoffverband – so eng, vermuten die Autoren, dass Nekrosen begünstigt werden. Für kritisch halten sie weiterhin, dass die jungen Männer angehalten werden, wenig zu trinken, damit es nicht zu einer Urinretention kommt – um den Preis jedoch, dass durch die Dehydratation das Thromboserisiko steigt.
Das sind wichtige Gründe, warum das sehnlich erwartete Mannbarkeitsritual für jährlich rund 250 Südafrikaner in einem Verlust des Penis endet, die Zahl der Todesopfer wird auf rund 100 pro Jahr geschätzt. So stirbt fast ein Zehntel derer, die wegen nachfolgender Septikämien ins Krankenhaus kommen.
Jedoch sind die Dunkelziffern hoch, weil Scham, Tabus und Angst vor Strafe oder vor Verboten Mitwissern den Mund verschließen. Die psychosozialen Folgen für einen jungen Mann könne man nur als verheerend bezeichnen, so die Ärzte.
REFERENZEN:
1. van der Merve A, et al: Lancet (online) 17. August 2017
2. Sopko NA, et al: Lancet (online) 17. August 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Penis-Transplantation – Bestandsaufnahme nach 2 Jahren: Junger Mann hat alle sexuellen und urologischen Funktionen zurück - Medscape - 7. Sep 2017.
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