Penis-Transplantation – Bestandsaufnahme nach 2 Jahren: Junger Mann hat alle sexuellen und urologischen Funktionen zurück

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

7. September 2017

Einen langen Leidensweg hat der junger Mann hinter sich.  Nun sagt er wieder von sich, dass er glücklich ist. Denn eine Transplantation  hat ihm alle sexuellen und urologischen Funktionen zurückgegeben, nachdem eine  Gangrän als Folge einer rituellen Beschneidung seinen Penis verstümmelt hatte. Es  handelt sich um die erste erfolgreiche Operation dieser Art – und sie bedeutet  Hoffnung für Kriegs- und Unfallopfer, Krebspatienten und Männer mit schweren  angeborenen Missbildungen.

Ethische, psychologische, soziokulturelle und  medizinische Probleme

Obwohl die Ärzte um Dr. André van  der Merwe vom Tygerberg Academic Hospital in Kapstadt, Südafrika, mit den 2-Jahres-Ergebnissen  in diesem Sommer eine Erfolgsgeschichte präsentiert haben, verschweigen sie in  ihrer Lancet-Publikation nicht die  Schwierigkeiten und Rückschläge, die es dabei gab [1]. Diffizil war z.B. die  Auswahl des Patienten, weil gewährleistet sein sollte, dass er emotional stabil  blieb.

Nicht nur der Verlust eines Körperteils greife das Ego an, auch das eines  anderen Menschen zu bekommen, könne das Selbstbild erschüttern und in  Psychosen, Depressionen, ja Ablehnung münden, erläutern die Nephrologen und  Urologen, die durch ihr Fachgebiet – Nierentransplantationen – Erfahrung mit ähnlichen  Problemen haben. Als warnendes Beispiel hatten sie die 1. Penisübertragung 2005  in China vor Augen: Das Transplantat war nach 2 Wochen wieder entfernt worden, auch  weil die Frau des Empfängers es nicht akzeptieren konnte.

Hinzu kommt, dass die  soziokulturellen Verhältnisse in Südafrika eine extreme Sensibilität erfordern, um Diskriminierung zu  verhindern. Und nicht zuletzt galt es, den Nutzen des ja nicht lebensnotwendigen  Eingriffs gegen die Risiken einer lebenslangen Immunsuppression abzuwägen. Ein Unsicherheitsfaktor war  dabei die Therapietreue: Sie ist gerade im jungen Erwachsenenalter oft  besonders niedrig, wie von Transplantationen allgemein bekannt ist.

Daher begannen die Ärzte  bereits 2 Jahre vor der geplanten Operation, geeignete Kandidaten auszusuchen  und mit ihnen ethische, psychologische und medizinische Fragen zu besprechen.  Außerdem trainierten sie an anatomischen Präparaten die operative  Technik.

9 Stunden Operation

Als ein Spender zur Verfügung stand, wählten sie aus der Warteliste von 12  Männern aufgrund von Blutgruppe und Gewebetyp einen 21-Jährigen aus, der durch eine Gangrän nach einer  Beschneidung 3 Jahre zuvor aphallisch geworden war. Nach der Entnahme wurde das  Spenderorgan 16 Stunden mit einer eiskalten Lösung gespült, und zwar per  direkter Injektion in die Corpora cavernosa. Die lange Kühlung war deshalb unumgänglich,  weil dasselbe Team in 1. Priorität  anderen Patienten die Nieren des Spenders übertrug.

Die anschließende  Penistransplantation dauerte 9 Stunden. Da bei dem  Patienten auch die Anschlüsse zu den dorsalen Penisgefäßen durch Infektion und  Ischämie zerstört waren, sicherten die Chirurgen die Blutversorgung des Spenderorgans, indem sie dessen Aa. dorsalis mit Nebenästen der A. epigastrica und A. pudendaper Anastomose  vernähten. Zum  Blutabfluss diente eine Verbindung der V. dorsalis penis mit einen Ast der V. epigastrica. Nach dem Öffnen der Klammern setzte sofort die Durchblutung des  Penis ein. Ebenso wurden Harnleiter und Gewebe zusammengefügt sowie beide  dorsale Nerven unter der Lupe repariert.

Die Chronik der Rekonvaleszenz

Die Immunsuppression mit Antithymyozyten-Globulin,  Methylprednisolon, Tacrolimus, Mycophenolatmofetil und Prednison wurde sofort  begonnen; nach einer Woche folgte zusätzlich eine 3-monatige Medikation mit dem  PDE5-Hemmer Tadalafil.

Nach 8 Stunden machte ein  Thrombus im Spenderorgan einen Notfalleingriff erforderlich. Am 3. Tag äußerte der Patient zum 1. Mal den Wunsch, „seinen“ Penis zu  sehen, was die Autoren als Ausdruck dafür werten, dass er das Organ bereits in  sein Körperbild integriert und als sein eigenes angenommen hatte. Nach dem  Entkleiden habe er große Freude geäußert.

Nach 6 Tagen mussten ein  infiziertes Hämatom und eine Hautnekrose chirurgisch behandelt werden.

Nach 3 Wochen berichtete der Patient erstmals über Erektionen und zeigte  zum Beweis Fotos.

Nach 4 Wochen wurde er entlassen.

Nach 5 Wochen berichtete er von befriedigendem Geschlechtsverkehr, trotz  der Anweisung mindestens 3 Monate abstinent zu bleiben. Doch waren bei der  Untersuchung weder Hämatome noch Anastomosenlecks zu entdecken. Ein halbes Jahr  später berichtete er, dass seine Partnerin im 3. Monat schwanger sei. Die  Entbindung fand zwar fristgerecht statt, doch wurde das Baby leider tot  geboren.

Nach 7 Monaten verschlechterte sich die Nierenfunktion, erholte sich jedoch  wieder durch Verringerung der Tacrolimusdosis.

Nach 8 Monaten erkrankte der  Patient an einer Phäohyphomykose des Fußes durch Alternaria alternata, die mit einem topischen Antimykotikum  langsam abheilte.

Nach 18 Monaten sagte er, das wertvollste Ergebnis der Transplantation sei,  dass er sich wieder glücklich fühle.

Nach 24 Monaten lag der Wert auf dem Fragebogen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Short-Form-36 Version 2, SF-36v2) in der Domäne „psychisches Wohlbefinden“ bei 46, im Vergleich zu 25 vor der  OP und 57 nach 6 Monaten. Die Harnflussrate war gut, die Blasenentleerung  funktionierte normal. Der Internationale  Index für die erektile Funktion (IIEF) ergab in allen Domänen hohe Werte, so etwa für die allgemeine Zufriedenheit 8 von  10 Punkte. Die Sensorik in dem Spenderorgan war voll wiederhergestellt. Der  Patient berichtete über regelmäßigen Geschlechtsverkehr in einer festen  Partnerschaft mit normalen Ejakulationen und Orgasmen.

Die Kosten für die Operation (18.653 US-Dollar) und die darauffolgende  Behandlung (1.184 US-Dollar monatlich) trägt nach Angaben der Autoren das  Gouvernement Westkap. Wie sie berichten, haben sie im April 2017 erneut eine  Penistransplantation vorgenommen. Ein Team aus Boston habe diesen Eingriff  voriges Jahr erstmals in den USA gewagt.

Aufbau eines Neophallus  unbefriedigend

Wie mangelhaft die konventionelle Alternative zur  Transplantation ist, schildern Dr. Nikolai A. Sopko und Prof. Dr. Arthur L Burnett von der Johns Hopkins University in Baltimore  in ihrem Kommentar [2].

So erfordert der Aufbau eines Neophallus mit  Lappenplastik und Implantaten, wie er meist auch bei Geschlechtsumwandlungen  praktiziert wird, eine Serie aufwendiger und teurer Operationen – für das  Medizinsystem in strukturschwachen Ländern im Hinblick auf Kosten und Expertise  eine Überlastung.

Durch Komplikationen wie Atrophien, Harnleiterstrikturen,  Fisteln oder Extrusion der Prothese beim Sex – in manchen Publikationen wird  eine Rate von 40% angegeben – sind häufig weitere Eingriffe unvermeidlich.  Zudem ist eine Erektion nur mit Hilfsmitteln möglich und es besteht die Gefahr,  dass die Arbeitsfähigkeit des Patienten dauerhaft beeinträchtigt ist, etwa wenn  der Gewebelappen aus dem Unterarm entnommen wird.

Tradition mit teils verheerenden Folgen

In Südafrika seien Komplikationen nach  Beschneidungszeremonien die Hauptursachen von Verstümmelungen bis hin zur  Amputation des Penis, erläutern van der Merwe und seine Kollegen. Beschneidungen gehören beim Stamm  der Xhosa zu den Initiationsriten, mit denen junge Männer aufs Erwachsenenleben  vorbereitet werden.

Die Teilnahme an dieser tiefverwurzelten Tradition zu  verweigern, würde eine Stigmatisierung nach sich ziehen. Die Jugendlichen  „gehen in den Busch“, das heißt, sie verbringen 8 Tage abgesondert in einem  Lager, wo sie unter anderem Unterricht in Sexualkunde und über ihre Pflichten  als Familienvater erhalten.

Der Beschneider, meist ohne eine klinische Ausbildung zu  besitzen oder Desinfektionsmittel zu verwenden, entfernt die Vorhaut mit einem  Assegai, einem traditionellen Speer. Danach umwickelt er den Penis in voller  Länge eng mit blutstillenden Heilkräutern in einem Leder- oder Stoffverband –  so eng, vermuten die Autoren, dass Nekrosen begünstigt werden. Für kritisch  halten sie weiterhin, dass die jungen Männer angehalten werden, wenig zu  trinken, damit es nicht zu einer Urinretention kommt – um den Preis jedoch,  dass durch die Dehydratation das Thromboserisiko steigt.

Das sind wichtige Gründe, warum das sehnlich erwartete  Mannbarkeitsritual für jährlich rund 250 Südafrikaner in einem Verlust des  Penis endet, die Zahl der Todesopfer wird auf rund 100 pro Jahr geschätzt. So  stirbt fast ein Zehntel derer, die wegen nachfolgender Septikämien ins  Krankenhaus kommen.

Jedoch sind die Dunkelziffern hoch, weil Scham, Tabus und  Angst vor Strafe oder vor Verboten Mitwissern den Mund verschließen. Die  psychosozialen Folgen für einen jungen Mann könne man nur als verheerend  bezeichnen, so die Ärzte.



REFERENZEN:

1. van der Merve  A, et al: Lancet (online) 17. August 2017

2. Sopko NA, et al:  Lancet (online) 17. August 2017

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....